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Berufsunfähigkeitsversicherung – befristeter Tätigkeitswechsel vor Berufsunfähigkeit

Oberlandesgericht Saarbrücken – Az.: 5 U 17/19 – Urteil vom 07.07.2021

I. Auf die Berufung der Beklagten wird das am 22. Januar 2019 verkündete Urteil des Landgerichts Saarbrücken – 14 O 9/15 – abgeändert:

Die Klage wird abgewiesen.

II. Die Kosten des Rechtsstreits fallen der Klägerin zur Last.

III. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Die Klägerin darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 Prozent des auf Grund des Urteils vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht die Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110 Prozent des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet.

IV. Die Revision wird nicht zugelassen.

V. Der Streitwert für das Berufungsverfahren wird auf 56.560,- Euro festgesetzt.

Gründe

I.

Mit ihrer am 10. Februar 2015 zum Landgericht Saarbrücken erhobenen und in der Folge mehrfach erweiterten Klage hat die Klägerin die Beklagte auf Leistungen aus einer Berufsunfähigkeits-Zusatzversicherung in Anspruch genommen.

Die am … April 1983 geborene Klägerin unterhält bei der Beklagten eine Risiko-Lebensversicherung mit eingeschlossener Berufsunfähigkeits-Zusatzversicherung und Unfall-Zusatzversicherung (Versicherungsschein Nr. …, Bl. 11 ff. GA); der Versicherungsbeginn war am 1. November 2010, Versicherungsende ist am 1. November 2043. Die monatliche Rente wegen Berufsunfähigkeit beträgt 1.000,- Euro, die Prämie belief sich vom 1. Oktober 2013 bis zum 31. Oktober 2015 auf monatlich 18,18 Euro und seit dem 1. November 2015 auf monatlich 28,58 Euro. Dem Vertrag liegen u.a. die Bedingungen der Beklagten für die Berufsunfähigkeits-Zusatzversicherung Comfort-Schutz zu Grunde (BI. 13 ff. GA, im Folgenden: B-BUZ). Die Klägerin war vormals bei der Z., beruflich tätig. Dort arbeitete sie seit März 2008 zunächst an der Ein- und Ausgangswaage für Lkw, wo sie beim Einfahren der Lkw für die Kontrolle der Ladepapiere, nachfolgend für das Wiegen der Lkw sowohl beim Hereinfahren als auch beim Herausfahren und für die weitere Übergabe von Fahrzeugpapieren zuständig war. Dieser Tätigkeit ging sie bis zur Geburt ihres Sohnes im Juni 2011 nach; im Anschluss an die dadurch bedingte Unterbrechung nahm sie im August 2012 ihren Beruf wieder auf, wechselte dann aber auf eigenen Wunsch, von vornherein befristet auf 18 Monate, in die Verwaltung (Bereich Instandhaltung-Controlling), weil sie wegen des Kindes nicht mehr im Schichtdienst arbeiten wollte; danach sollte sie wieder an der Ein- und Ausgangswaage tätig werden. Seit dem 7. Oktober 2013 war sie arbeitsunfähig erkrankt, in der Zeit vom 12. November bis 3. Dezember 2013 unterzog sie sich einer Rehabilitationsmaßnahme, aus der sie laut ärztlichem Entlassungsbericht vom 16. Januar 2014 als vollschichtig einsetzbar entlassen wurde. Einen Antrag auf Leistungen wegen Erwerbsminderung lehnte die Deutsche Rentenversicherung mit Bescheid vom 6. Februar 2014 ab. Am 23. April 2014 stellte die Klägerin bei der Beklagten einen Antrag auf Leistungen aus der Berufsunfähigkeits-Zusatzversicherung, den diese nach Einholung verschiedener Auskünfte mit Schreiben vom 17. Juli 2014 ablehnte. Seit 1. März 2016 bezog die Klägerin von der Deutschen Rentenversicherung eine – befristete – Rente wegen voller Erwerbsminderung (BI. 286 GA).

Erstinstanzlich hat die Klägerin zuletzt die Zahlung einer monatlichen Rente wegen Berufsunfähigkeit ab Oktober 2013, die Feststellung der Leistungspflicht der Beklagten, die Freistellung von der laufenden Beitragszahlung sowie die Rückzahlung gezahlter Beiträge von Oktober 2013 bis 30. November 2017 geltend gemacht. Sie hat behauptet, seit Anfang April 2013 an einer „Arthropathia psoriatica“, einer Wirbelsäulen- und Gelenkerkrankung mit massiven chronischen Schmerzen, erkrankt gewesen zu sein; in der Folgezeit sei sie, unterbrochen von Zeiten der Arbeitsunfähigkeit, ihrer Berufstätigkeit nur unter Schmerzen nachgegangen, ein Wiedereingliederungsversuch ab 12. August 2013 sei nach wenigen Wochen gescheitert. Seit Montag, den 7. Oktober 2013 sei sie aufgrund ihrer Erkrankung zur Ausübung ihrer damaligen Tätigkeit außerstande gewesen; insoweit ging die Klägerin erstinstanzlich davon aus, dass die Tätigkeit als Sachbearbeiterin im Bereich „Instandhaltung-Controlling“ zugrunde zu legen sei, bei der es sich nach ihrer Darstellung nicht um eine reine Bürotätigkeit gehandelt habe, weil auch Zuarbeiten zur Dokumentation, zur Unterstützung der Buchhaltung und des Ersatzteillagers beinhaltet gewesen seien und sie deshalb weithin „am Regal“ tätig gewesen sei. Infolge schmerzhafter Entzündungen, die zunächst an der Wirbelsäule im Lenden- und Brustwirbelbereich aufgetreten seien und später auch Auge, Schlüsselbein und Rippe sowie Finger, Ellenbogen, Handgelenke und Knie betroffen hätten, sei sie nicht mehr in der Lage, konzentriert im Sitzen oder Stehen zu arbeiten und ihr übertragene Tätigkeiten zu Ende zu führen; das Heben und Tragen von Lasten sei ihr überhaupt nicht mehr möglich. Die Erkrankung sei auch dann schmerzhaft, wenn keine akuten Entzündungen vorlägen, und bei Eintreten eines Schubes sei keinerlei Tätigkeit mehr denkbar. Die Beklagte hat die Klage hinsichtlich des zeitlich nicht eingegrenzten Feststellungsantrages bereits für unzulässig und im Übrigen für unschlüssig gehalten. Das Berufsbild der Klägerin sei – bezogen auf die von ihr geschilderte Tätigkeit im Verwaltungsbereich – nicht ausreichend und zuletzt auch im Widerspruch zu der außergerichtlich erteilten Beschreibung dargestellt worden; nach einer Tätigkeitsbeschreibung des Arbeitgebers der Klägerin habe diese eine reine Bürotätigkeit wahrgenommen, die überwiegend im Sitzen ausgeübt worden sei und nicht körperlich belastende oder in Zwangshaltung vorzunehmende Tätigkeiten beinhaltet habe, die die Klägerin auch mit Rücksicht auf etwaige gesundheitliche Einschränkungen auszuüben in der Lage sei. Bedingungsgemäße Berufsunfähigkeit liege demgemäß bei ihr nicht vor.

Das Landgericht Saarbrücken hat die Klägerin im Wege der Rechtshilfe durch das Amtsgericht Stendal anhören lassen; sodann hat es Beweis erhoben durch Einholung eines medizinischen Sachverständigengutachtens sowie durch Vernehmung des Zeugen T.. Mit dem zur Berufung angefallenen Urteil, auf dessen Inhalt auch hinsichtlich der darin enthaltenen Feststellungen gemäß § 540 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 ZPO Bezug genommen wird, hat es die Beklagte – unter Klageabweisung im Übrigen – zur Zahlung rückständiger Berufsunfähigkeitsrente von 22.000,- Euro nebst Zinsen für die Zeit von November 2013 bis August 2015 sowie zur Beitragsrückgewähr in Höhe von 1.150,82 Euro für den Zeitraum vom 1. November 2013 bis 30. November 2017 verurteilt; außerdem hat es festgestellt, dass die Beklagte verpflichtet sei, der Klägerin für die Dauer ihrer Berufsunfähigkeit ab 1. September 2015 bis längstens 1. November 2043 eine monatliche Rente in Höhe von 1.000,- Euro zuzüglich Überschussbeteiligung zu zahlen und sie von der laufenden Beitragszahlung in Höhe von derzeit monatlich 28,58 Euro ab dem 1. Dezember 2017 freizustellen. Die Klage sei insgesamt zulässig, die zeitlich nicht eingefassten Feststellungsanträge könnten dahin ausgelegt werden, dass die Feststellung der Leistungspflicht für die Zeit nach der Bezifferung und längstens für die Dauer der Laufzeit des Versicherungsvertrages begehrt werde. In der Sache sei die Beklagte auch eintrittspflichtig, weil die Klägerin mit dem eingeholten Sachverständigengutachten eine bedingungsgemäße Berufsunfähigkeit hinsichtlich prägender Einzeltätigkeiten ihres zuletzt ausgeübten Berufes als Sachbearbeiterin im Bereich „Instandhaltung-Controlling“ bei der Z. nachgewiesen habe. Nach den sachverständigen Feststellungen seien prägende Tätigkeiten, insbesondere das Ablaufen der Regale, das Stehen im Lager sowie hockende und bückende Tätigkeiten nicht mehr möglich, und die weiteren Tätigkeiten setzten regelmäßige Pausen voraus, auf deren Durchführung die Klägerin keinen Anspruch habe.

Mit ihrer Berufung beanstandet die Beklagte im Wesentlichen eine fehlerhafte Tatsachenfeststellung und -würdigung durch das Landgericht, von dessen Entscheidung zugunsten der Klägerin sie nach dem bisherigen Verfahrensablauf überrascht worden sei. Die erstinstanzliche Tätigkeitsbeschreibung habe das Landgericht nicht wie offenbar geschehen als unstreitig zugrunde legen dürfen, nachdem die Klägerin ihre Angaben später wesentlich geändert und insbesondere entgegen ihrer früheren Darstellung zuletzt behauptet habe, zumeist am Regal stehend gearbeitet zu haben. Die Einordnung einzelner körperlich belastender Teiltätigkeiten als prägend sei vor diesem Hintergrund nicht statthaft. Aus dem Gutachten folge überdies, dass von dem Sachverständigen angenommene körperliche Einschränkungen allenfalls während eines akuten Entzündungsschubes bestünden, mithin von vorübergehender Natur seien. Die Notwendigkeit, „Pausen“ zu machen, bedeute lediglich die Einnahme einer anderen Körperhaltung und keine echte Arbeitspause.

Die Beklagte beantragt (Bl. 517 GA), unter Abänderung des Urteils des Landgerichts Saarbrücken vom 22. Januar 2019 – 14 O 9/15 – die Klage abzuweisen.

Die Klägerin beantragt (Bl. 534 GA), die Berufung zurückzuweisen.

Sie verteidigt das angefochtene Urteil.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen, die Sitzungsniederschriften des Landgerichts vom 15. September 2015, 19. September 2017 und 4. Dezember 2018 (Bl. 117 f., 316ff., 475 ff. GA), des Amtsgerichts Stendal vom 19. Januar 2016 (Bl. 186 ff. GA) sowie des Senats vom 29. Januar 2020 und vom 19. Mai 2021 (Bl. 559 ff., 678 ff. GA) verwiesen. Der Senat hat die Parteien darauf aufmerksam gemacht, dass zur Beurteilung der Frage der Berufsunfähigkeit von der zuletzt in gesunden Tagen ausgeübten Tätigkeit der Klägerin an der Ein- und Ausgangswaage ausgegangen werden müsse (Bl. 546, 562 GA). Er hat antragsgemäß den Ehemann der Klägerin als deren bevollmächtigten und informierten Vertreter angehört und Beweis erhoben durch Einholung eines weiteren Sachverständigengutachtens nebst mündlicher Erläuterung. Wegen des Ergebnisses der Beweisaufnahme wird auf das schriftliche Gutachten des Sachverständigen Dr. R. vom 10. August 2020 (Bl. 587 ff. GA) und die vorerwähnten Sitzungsniederschriften des Senats (Bl. 559 ff., 678 ff. GA) Bezug genommen.

II.

Die gemäß §§ 511, 513, 517, 519 und 520 ZPO zulässige Berufung der Beklagten ist begründet. Die Beklagte ist bei Zugrundelegung der für die Beurteilung ihrer Eintrittspflicht maßgeblichen Tatsachen nicht gehalten, der Klägerin Leistungen aus dem Versicherungsvertrag zu erbringen. Die Klägerin hat nicht bewiesen, dass sie bedingungsgemäß berufsunfähig ist.

1.

Die auf die Gewährung von Leistungen aus dem Versicherungsvertrag gerichtete Klage ist allerdings insgesamt zulässig. Dem steht insbesondere nicht entgegen, dass die Feststellungsanträge hinreichender Bestimmtheit ermangeln würden. Wie das Landgericht zutreffend angenommen hat, sind diese dahin auszulegen, dass die jeweilige Feststellung der Eintrittspflicht der Beklagten erst ab dem Zeitpunkt begehrt wird, von welchem an keine bezifferten Leistungen mehr geltend gemacht werden, und dies jeweils auch nur längstens bis zum Ablauf des Versicherungsvertrages am 1. November 2043 (§§ 133, 157 BGB). Denn bei der Auslegung eines Klageantrags ist nicht allein auf den Wortlaut abzustellen, sondern im Zweifel wegen des verfassungsrechtlichen Anspruchs auf effektiven Rechtsschutz und rechtliches Gehör das als gewollt anzusehen, was nach den Maßstäben der Rechtsordnung vernünftig ist und der recht verstandenen Interessenlage der erklärenden Partei entspricht (BGH, Urteil vom 21. Juni 2016 – II ZR 305/14, WM 2016, 1599). In Anwendung dieser Grundsätze hat das Landgericht die Feststellungsanträge der Klägerin hier zutreffend in dem oben beschriebenen Sinne ausgelegt, und die Klägerin hat sich dieses Verständnis auch durch die Verteidigung des sie insoweit begünstigenden erstinstanzlichen Urteils zu eigen gemacht.

2.

Die Klage ist aber unbegründet, weil auf der Grundlage des für die Beurteilung der Frage einer bedingungsgemäßen Berufsunfähigkeit zugrunde zu legenden Sachverhaltes nicht festgestellt werden kann, dass die Klägerin bedingungsgemäß außerstande wäre, ihrem vormals ausgeübten Beruf in seiner hier maßgeblichen Ausgestaltung „in gesunden Tagen“ weiter nachzugehen.

a)

Nach dem Versicherungsvertrag schuldet die Beklagte auf der Grundlage der vereinbarten Bedingungen für die Berufsunfähigkeits-Zusatzversicherung (B-BUZ, Bl. 13 ff. GA) bei bedingungsgemäßer Berufsunfähigkeit von mindestens 50 Prozent eine monatliche Rente in Höhe von 1.000,- Euro sowie die Befreiung von der Beitragszahlungspflicht für Haupt- und Zusatzversicherung (§ 1 Abs. 1 B-BUZ). Vollständige Berufsunfähigkeit liegt vor, wenn die versicherte Person infolge Krankheit, Körperverletzung oder mehr als altersentsprechenden Kräfteverfalls, die ärztlich nachzuweisen sind, bereits sechs Monate ununterbrochen außer Stande gewesen ist oder nach ärztlicher Prognose voraussichtlich sechs Monate ununterbrochen außer Stande sein wird, ihren zuletzt ausgeübten Beruf – so wie er ohne gesundheitliche Leistungsbeeinträchtigungen ausgestaltet war – auszuüben. Die Berufsunfähigkeit tritt rückwirkend zu dem Zeitpunkt ein, ab dem die versicherte Person ununterbrochen außer Stande war, ihren Beruf auszuüben. Sie liegt nicht vor, wenn die versicherte Person eine andere Tätigkeit ausübt, die ihren Kenntnissen und Fähigkeiten sowie ihrer bisherigen Lebensstellung entspricht (§ 2 Abs. 1 Satz 1 bis 3 B-BUZ). Teilweise Berufsunfähigkeit liegt vor, wenn die in § 2 Abs. 1 B-BUZ genannten Voraussetzungen nur in einem bestimmten Grad voraussichtlich oder tatsächlich für mindestens sechs Monate erfüllt sind (§ 2 Abs. 2 B-BUZ). Die Beweislast für diese Voraussetzungen trifft nach allgemeinen Grundsätzen den Versicherungsnehmer, hier: die Klägerin, die hierzu nachweisen muss, dass sie zu der versicherten beruflichen Tätigkeit in einem Ausmaß nicht mehr imstande ist, welches nach den Versicherungsbedingungen einen Anspruch auf die Versicherungsleistungen begründet, und dass sie auch keine andere, ihren Kenntnissen und Fähigkeiten sowie ihrer bisherigen Lebensstellung entsprechende Tätigkeit ausübt (BGH, Urteil vom 12. Januar 2000 – IV ZR 85/99, VersR 2000, 349; Rixecker, in: Beckmann/Matusche-Beckmann, Versicherungsrechts-Handbuch 3. Aufl., § 46 Rn. 143 ff.). Für diesen Beweis gilt der Maßstab des § 286 ZPO (Senat, Urteil vom 18. April 2018 – 5 U 23/16, VersR 2018, 1314). Das erfordert die Überzeugung des Richters von der zu beweisenden Tatsache im Sinne eines für das praktische Leben brauchbaren Grades von Gewissheit, der den Zweifeln Schweigen gebietet, ohne sie völlig auszuschließen (vgl. BGH, Urteil vom 8. Juli 2008 – VI ZR 274/07, VersR 2008, 1126).

b)

Diese Voraussetzungen einer Leistungspflicht der Beklagten liegen im Streitfall nicht vor. Die Klägerin hat nicht bewiesen, dass sie aus gesundheitlichen Gründen ihre frühere berufliche Tätigkeit an der Ein- und Ausgangswaage der Firma Z., die bei zutreffender Betrachtung trotz des vorübergehenden befristeten Wechsels der Klägerin in den Innendienst für die Beurteilung der Eintrittspflicht der Beklagten maßgeblich geblieben ist, im bedingungsgemäßen Umfange nicht mehr ausüben kann oder konnte:

aa)

Zur Beurteilung der Frage, ob Berufsunfähigkeit der Klägerin in ihrem früheren Beruf vorliegt, ist – entsprechend dem wiederholten Hinweis des Senats, 546, 562 GA und anders als in erster Instanz von den Beteiligten angenommen – von der in gesunden Tagen ausgeübten Tätigkeit der Klägerin an der Ein- und Ausgangswaage für Lkw auszugehen; diese und nicht die erst kurz vorher und von vornherein nur für einen vorübergehendenden Zeitraum übernommene Tätigkeit im Innendienst ist für diese Beurteilung maßgeblich geblieben.

(1)

Zwar ist bei der Feststellung, ob bedingungsgemäße Berufsunfähigkeit vorliegt, grundsätzlich die letzte konkrete Berufsausübung des Versicherten maßgebend, so wie sie in gesunden Tagen ausgestaltet war, d.h. solange seine Leistungsfähigkeit noch nicht beeinträchtigt war (BGH, Urteil vom 22. September 1993 – IV ZR 203/92, VersR 1993, 1470; sog. „Stichtagsprinzip“). Hat der Versicherte vor Eintritt der behaupteten Berufsunfähigkeit seinen Beruf gewechselt, ohne dass gesundheitliche Umstände dafür ursächlich waren, ist deshalb regelmäßig auf die neue Tätigkeit abzustellen (BGH, Urteil vom 30. November 1994 – IV ZR 300/93, VersR 1995, 159; Senat, Urteil vom 16. Januar 2013 – 5 U 236/12-28, VersR 2014, 1114; Rixecker, in: Beckmann/Matusche-Beckmann, Versicherungsrechts-Handbuch 3. Aufl., § 46 Rn. 18; Dörner, in: MünchKomm-VVG 2. Aufl., § 172 Rn. 66 f.). Anderes gilt aber, wenn die neue Tätigkeit die Lebensstellung des Versicherten noch gar nicht zu beeinflussen begonnen hat (Senat, Urteil vom 16. Januar 2013 – 5 U 236/12-28, VersR 2014, 1114; Urteil vom 28. Mai 2014 – 5 U 355/12, VersR 2015, 226; Rixecker in: Langheid/Rixecker, VVG 6. Aufl., § 172 Rn. 11; ders., in Beckmann/Matusche-Beckmann, a.a.O., § 46 Rn. 16). Denn Sinn und Zweck einer Berufsunfähigkeitsversicherung ist es, den sozialen Abstieg zu verhindern, d.h. die Lebensstellung des Versicherten zu wahren, die aber erst dann durch den bisherigen Beruf geprägt wird, wenn dieser eine gewisse Zeit lang ausgeübt wird (vgl. Neuhaus, Berufsunfähigkeitsversicherung 4. Aufl., Kap. 5 Rn. 34 ff.). Eine frühere Tätigkeit bleibt deshalb maßgeblich, wenn der Versicherte sie für die Dauer von Erziehungs- oder Elternzeiten lediglich unterbricht, auch wenn er in dieser Zeit vorübergehend einer anderen Beschäftigung nachgeht (vgl. BGH, Urteil vom 30. November 2011 – IV ZR 143/10, VersR 2012, 213; Senat, Urteil vom 28. Mai 2014 – 5 U 355/12, VersR 2015, 226). Dasselbe gilt, wenn der Versicherte von seinem Arbeitgeber lediglich vorübergehend mit bestimmten anderen Tätigkeiten betraut wird oder Gelegenheitsarbeiten übernimmt (Dörner, in: MünchKomm-VVG, a.a.O., § 172 Rn. 67; Neuhaus, a.a.O., Kap. 5 Rn. 35; vgl. auch OLG Hamm, VersR 2007, 384, zur vorübergehenden Tätigkeit als Abwickler des vormals geführten Betriebes). All diesen Fällen ist gemein, dass die neue oder geänderte Tätigkeit aus der Sicht des Versicherten nicht oder noch nicht geeignet war, dessen Lebensstellung in erheblicher Weise zu prägen.

(2)

Bringt man diese Grundsätze zur Anwendung, so ist hier nicht die der Klägerin wenige Monate zuvor und lediglich vorübergehend zugewiesene Tätigkeit im Bereich „Instandhaltung-Controlling“ maßgebend, sondern die von ihr ursprünglich ausgeübte Tätigkeit an der Ein- und Ausgangswaage, auf die sie nach Ablauf des vereinbarten Zeitraumes der Kinderbetreuung auch erneut zurückkehren sollte. Diese ursprüngliche Tätigkeit hatte die Klägerin, wie sie im Rahmen ihrer Anhörung vor dem Amtsgericht Stendal ausführlich geschildert und auch ihr vom Senat als Vertreter (§ 141 Abs. 3 Satz 2 ZPO) angehörter Ehemann erneut bestätigt hat, über einen Zeitraum von mehreren Jahren – seit 2008 – ausgeübt, bevor sie im Juni 2011 ihren Sohn gebar. Soweit sie im August 2012 wieder angefangen hatte zu arbeiten und dann auf eigenen Wunsch in die Verwaltung gewechselt war, weil sie wegen ihres Sohnes nicht mehr im Schichtdienst arbeiten wollte, war dieser Wechsel von vornherein auf einen Zeitraum von 18 Monaten befristet, der „Job“ war deswegen „extra für sie geschaffen“ worden (Bl. 560 GA), und es war von vornherein geplant, dass sie nach Ablauf dieser Zeit wieder an der Ein- und Ausgangswaage tätig werden würde. Gegenüber dem Sachverständigen hat die Klägerin dementsprechend angegeben, dass sie nach Ablauf der vorgesehenen Zeit bis zu ihrer Entlassung im Februar 2015 wieder „Mitarbeiterin Pforte“ gewesen sei (Bl. 254 GA), mag sie dorthin auch wegen Arbeitsunfähigkeit nicht zurückgekehrt sein. Weil sie aber schon alsbald nach ihrem vorübergehenden Wechsel in den Innendienst unter gesundheitlichen Beschwerden gelitten haben und nach wiederholten Zeiten der Arbeitsunfähigkeit ab 7. Oktober 2013 berufsunfähig geworden sein will, war diese erst seit kurzem ausgeübte, ihr lediglich vorübergehend zugewiesene, „extra“ für sie geschaffene Tätigkeit im Innendienst nicht geeignet, ihre Lebensstellung dergestalt zu prägen, dass diese fortan für die Beurteilung des Vorliegens von Berufsunfähigkeit zugrunde gelegt werden müsste. Vielmehr blieb auch währenddessen ihre „Stammtätigkeit“ an der Ein- und Ausgangswaage maßgeblich, weil sie, von der familiär bedingten vorübergehenden Veränderung abgesehen, ihren „eigentlichen“ Beruf darstellte.

bb)

Dass die Klägerin diese Tätigkeit nicht mehr ausüben kann, kann der Senat aber nicht feststellen. Nach dem Ergebnis der weiteren Beweisaufnahme, insbesondere des im Berufungsrechtzug ergänzten Sachverständigengutachtens, sind erhebliche gesundheitlich bedingte Einschränkungen, die die Klägerin an der Ausübung dieser Tätigkeit in bedingungsgemäßem Umfange hindern könnten, nicht mit dem erforderlichen Grad an Gewissheit (§ 286 ZPO) erwiesen.

(1)

Hinsichtlich der Ausgestaltung der für die Beurteilung maßgeblichen Tätigkeit an der Ein- und Ausgangswaage ist von der Schilderung auszugehen, die die Klägerin in ihrer Anhörung durch das Amtsgericht Stendal mit den Ergänzungen ihres vom Senat angehörten Ehemannes abgegeben hat (Bl. 186 ff., 559 ff. GA), soweit die Beklagte dem nicht ausdrücklich entgegen getreten ist (§ 138 Abs. 3 ZPO).

(a)

Danach ist davon auszugehen, dass die Tätigkeit an der Pforte in einem größeren Raum ohne besondere körperliche Belastungen in wechselnden Körperhaltungen – im stets möglichen Wechsel zwischen Sitzen, Stehen und Gehen – ausgeübt wurde; eine Schicht währte von 6 bis 14 bzw. von 14 bis 22 Uhr, an der Pforte waren drei Arbeitsplätze vorhanden, immer war jedenfalls eine weitere Arbeitskraft vor Ort. Die Klägerin hatte beim Einfahren der Lkw die Ladepapiere zu kontrollieren, nachfolgend war sie für das Wiegen des Lkw sowohl beim Hereinfahren als auch beim Herausfahren und für die weitere Übergabe von Fahrzeugpapieren zuständig. Diese Tätigkeit übte sie nach eigener Darstellung mit unterschiedlichen Zeitanteilen wechselnd im Sitzen, Stehen und im häufigen Hin- und Hergehen aus. Je nachdem wie viele Arbeitnehmer gerade an den Waagen tätig waren, wechselte sie zwischen Sitzen, Laufen und Stehen. Wenn mehrere Arbeitnehmer da waren, musste man überwiegend an der Anmeldung nur sitzen und die Papiere entgegennehmen und prüfen. Wenn nur zwei Arbeitnehmer da waren, lief man häufiger – innerhalb des ca. 10 m langen Raumes – zwischen den Waagen sowie zwischen den Lkw hin und her. Schwer Heben oder Tragen musste die Klägerin nicht.

(b)

Dieses von der Klägerin erstinstanzlich noch unbefangen geschilderte Tätigkeitsbild einer körperlich wenig anspruchsvollen, wechselnden Tätigkeit, die ausreichende Freiräume für freie Wechsel in der Körperhaltung und Schonung belässt, wird nicht dadurch in Frage gestellt, dass der Ehemann der Klägerin bei seiner Anhörung als Vertreter (§ 141 Abs. 3 Satz 2 ZPO) durch den Senat nunmehr angegeben hat, die Tätigkeit habe „insgesamt acht Stunden ohne Pause“ gedauert, regelrechte Pausenzeiten, in denen die Angestellten die Pforte verlassen konnte, habe es nicht gegeben, sie hätten „während der Arbeit“ etwas essen können, und es habe sich im eine „stressige Arbeit“ gehandelt, er selbst habe vor Ort die Frauen „immer nur rotieren“ und nicht sitzen gesehen. Die Beklagte ist dieser, mit der ursprünglichen Schilderung der Klägerin nicht zu vereinbarenden Darstellung entgegen getreten (Schriftsatz vom 20. Oktober 2020); Nachweise für dieses neue Vorbringen hat die Klägerin auch auf Hinweis des Senats (Beschluss vom 26. November 2020, Bl. 644 GA) nicht beigebracht. Dementsprechend hat der Senat vor der Anhörung des Sachverständigen darauf hingewiesen (Beschluss vom 26. November 2020, Bl. 644 GA und Hinweis Bl. 678 GA), dass das von der Klägerin dargelegte Tätigkeitsprofil – nur – so verstanden werden kann, als diese Tätigkeit im Wechsel zwischen Sitzen, Stehen und Gehen auszuüben war, wobei zwischen den einzelnen Wiegevorgängen ein (auch längeres) Sitzen möglich, aber nicht notwendig war, weil die Klägerin auch die (Warte-)zeit zwischen den Wiegevorgängen in wechselnden Körperhaltungen (Sitzen, Stehen, Gehen) verbringen konnte. Der Senat hat insbesondere darauf hingewiesen, dass für die zu treffende Entscheidung mangels entsprechender Belege auch nicht davon ausgegangen werden kann, dass die Klägerin während ihrer Schicht acht Stunden lang ununterbrochen ohne die Möglichkeit angemessener Pausen tätig gewesen ist, zumal dies auch weder arbeitsrechtlich zulässig, noch schlicht lebensnah wäre.

(2)

Hiervon ausgehend, vermag sich der Senat nicht davon zu überzeugen, dass die Klägerin aus gesundheitlichen Gründen während eines Zeitraumes von sechs Monaten ununterbrochen außer Stande gewesen ist, diesen zuletzt ausgeübten Beruf zu mindestens 50 Prozent nicht mehr auszuüben, oder dass eine solche Prognose, rückschauend betrachtet, zu einem bestimmten Zeitpunkt für die Dauer von sechs Monaten gestellt werden konnte. Erhebliche körperliche Einschränkungen, die eine solche Annahme rechtfertigen könnten, hat die im zweiten Rechtszug ergänzte Beweisaufnahme nicht ergeben; auf andere, insbesondere psychisch vermittelte Einschränkungen, hat sich die Klägerin trotz entsprechender gerichtlicher Hinweise ausdrücklich nicht berufen.

(a)

Der Senat hat auf der Grundlage der ergänzten Begutachtung durch den Sachverständigen Dr. R. bereits durchgreifende Zweifel daran, dass die Klägerin, entsprechend ihrer Behauptung, überhaupt an einer Erkrankung des rheumatischen Formenkreises leidet, die bei ihr, im Anschluss an das Auftreten einer Schuppenflechte, jetzt zu erheblichen Einschränkungen in der Beweglichkeit der Wirbelsäule, zu Schmerzausstrahlungen in andere Körperregionen und daraus resultierenden körperlichen Einschränkungen führt.

(aa)

Der gerichtliche Sachverständige, der die Klägerin wiederholt, im Abstand von mehreren Jahren, selbst begutachtet hat, hat in der mündlichen Erläuterung vor dem Senat unter Bezugnahme auf seine vorangegangenen schriftlichen Ausführungen deutlich gemacht, dass er aus verschiedenen Gründen erhebliche Bedenken gegen die Annahme einer solchen Erkrankung hegt, und dass all seine weiteren Feststellungen zu denkbaren Einschränkungen für die Berufstätigkeit der Klägerin auf der nicht ausreichend belegten Hypothese beruhen, dass diese Erkrankung tatsächlich vorhanden sei (Bl. 679 ff. GA). Er hat dies nach Auffassung des Senats sehr schlüssig und nachvollziehbar mit zahlreichen Besonderheiten begründet, die durchgreifend gegen diese Annahme sprechen. So habe die Klägerin bei der ersten Begutachtung im Jahre 2016 noch unter einer – an sich indizierten – immunsuppressiven Therapie gestanden; im Jahre 2020 habe sie angegeben, diese abgesetzt zu haben und auch nicht mehr bei einem Rheumatologen in Behandlung zu sein. Gleichwohl habe sich bei beiden Untersuchungen ein nahezu identischer Befund ergeben, was bereits nicht unbedingt den typischen Verlauf einer solchen Krankheit darstelle, den der Sachverständige auf Nachfrage des Senats detailliert erläutert hat (Bl. 679 f. GA), und die dann ganz andere, wesentlich schwerere Anzeichen mit sich bringen müsste. Daraus schließt der Sachverständige nachvollziehbar, dass die Klägerin möglicherweise einen leichten Verlauf habe, oder dass die Erkrankung gar nicht vorliege (Bl. 679 GA).

(bb)

Hinzu kommt, dass das Ergebnis der medizinischen Untersuchung und die vorgelegten Röntgenbilder nach den Feststellungen des Sachverständigen zwar gewisse Anhaltspunkte für eine solche Erkrankung enthalten, aber auch hier keine ausreichenden typischen Symptome festzustellen waren. So sei zwar bei beiden Untersuchungen an einer Stelle eine Hautveränderung festzustellen gewesen, die wie eine Schuppenflechte aussehe, und des Weiteren auch eine einzige Beeinträchtigung eines Gelenks, und zwar im Bereich des linken Schlüsselbeines. Klassische Anzeichen für das Vorliegen der Erkrankung, etwa Veränderungen der Fingernägel oder –gelenke, seien aber nicht festzustellen, auch das rechtfertige ein „großes Fragezeichen“ (Bl. 679 GA). Aus der Feststellung, dass die Muskulatur der Klägerin keine Verschmächtigungen aufweise, sei zu schließen, dass Schmerzen wohl doch nicht in dem Ausmaß vorlägen, dass es zu Schonungen komme, d.h.: die Krankheit liege entweder nicht vor oder sie habe einen leichten Verlauf, oder aber auch, dass – wie hier nach Angaben der Klägerin jedoch nicht – die Krankheit vorliege und medikamentös behandelt werde (Bl. 680 GA). Die (subjektiven) Schmerzangaben der Klägerin – Stärke 10 bei einer Schmerzskala von 1 bis 10 – seien „schon schwer nachvollziehbar und kaum glaubhaft“, wenn auch im Falle eines akuten Schubes nicht auszuschließen; Anhaltspunkte für einen solchen Schub habe er bei der Klägerin aber nicht gesehen (Bl. 681 GA). Letztlich sei zu erwarten, dass bei entsprechenden Beschwerden eine Vorstellung bei einem Arzt erfolge, die hier ebenfalls nach Angaben der Klägerin unterblieben sei; auch dies erscheine ihm „etwas lebensfremd“ (Bl. 680 GA). Insgesamt sei die Erkrankung, die außerdem glücklicherweise nur selten auftrete, nicht auszuschließen, aber auch nicht mit der gewünschten Wahrscheinlichkeit zu belegen (Bl. 679 GA).

(cc)

Der Senat sieht das nach eigener, kritischer Überprüfung genauso. Er hält die sachverständigen Ausführungen, die entgegen der zuletzt geäußerten Auffassung der Klägerin durchaus auch schon in der vorangegangenen schriftlichen Begutachtung – wenn auch nur subtil – angeklungen waren (vgl. nur Ergänzungsgutachten vom 10. August 2020, Seite 18 = Bl. 603 GA: „…der meines Erachtens nach wie vor fraglichen Psoriasis-Athropathie“; a.a.O. Seite 28 = Bl. 613 GA: „Die festgestellte, anscheinend vorliegende Psoriasis-Athropathie“), für absolut überzeugend. Von der spezifisch medizinischen Begründung abgesehen, die der Sachverständige nachvollziehbar dargelegt hat, leuchtet insbesondere nicht ein, weshalb die Klägerin offenbar von jeder Behandlung Abstand nimmt, obschon diese – auch mit Erfolg – möglich wäre; ein solches Verhalten spricht entscheidend gegen das Vorhandensein einer schweren Erkrankung. Dem Senat war es auch nicht möglich, sich von der Klägerin und ihrer persönlichen gesundheitlichen Situation einen eigenen Eindruck zu verschaffen, nachdem diese, wie schon vor dem Landgericht, nicht selbst zum Termin erschienen ist und sich durch die – prozessual zulässige – Vertretung durch den Ehemann (§ 141 Abs. 3 Satz 2 ZPO) dieser Möglichkeit begeben hat.

(b)

Der Senat hält die Klägerin, das Vorliegen dieser – allenfalls leichten – Erkrankung zu ihren Gunsten als gegeben unterstellt, deswegen aber auch nicht für bedingungsgemäß berufsunfähig. Die aus der – hypothetischen – Annahme einer solchen Erkrankung folgenden denkbaren gesundheitlichen Einschränkungen rechtfertigen unter Zugrundelegung des hier maßgeblichen Berufsbildes diese Annahme nicht.

(aa)

Schon in seinem Gutachten für das Landgericht, das allerdings noch auf die vorübergehende Tätigkeit der Klägerin im Innendienst abzielte, hat der Sachverständige Dr. R. ausgeführt, dass Auswirkungen auf die Fähigkeit zur Berufsausübung durch die angenommene Erkrankung vor allem darin bestünden, dass daraus Probleme bei der Überkopfbeweglichkeit und Einschränkungen der linksseitigen Schulterbelastung sowie ferner der Sitz- und Stehfähigkeit resultierten und dass diese Einschränkungen Einfluss auf die berufliche Tätigkeit nur insoweit hätten, als nur noch Tätigkeiten, die im Sitzen mit teilweisen Unterbrechungen im Laufen und Stehen ausgeübt werden, möglich seien, wobei nach einer gewissen Tätigkeitsdauer, üblicherweise von etwa einer Stunde, eine ca. viertelstündige „Pause“ eingelegt werden sollte. Ebenfalls möglich seien Tätigkeiten in wechselnden Körperhaltungen zwischen Gehen und Stehen, dies allerdings nur während kürzerer Zeiträume, bei einer längeren Dauer von 30 min bis 1 Stunde hingegen nur unter entsprechender Medikation (Bl. 265 GA). Dagegen seien Tätigkeiten in körperlich belastenden und Zwangshaltungen komplett zu unterlassen. Auf mündliche Nachfrage hat der Sachverständige präzisiert, dass Schmerzempfindungen bei der Klägerin auch grundsätzlich nur während des Vorliegens von Entzündungsschüben vorhanden seien; diese träten unregelmäßig und unvorhersehbar auf, erforderten dann eine Pause und dauerten typischerweise 14 Tage bis 3 Wochen an; nur in dieser Zeit sei die Klägerin „krank“, im Übrigen sei sie auch in ihrer Arbeitsgeschwindigkeit nicht messbar eingeschränkt (Bl. 319 GA).

(bb)

Im Einklang mit dieser früheren Einschätzung hat der Sachverständige auf der Grundlage der erneuten Untersuchung der Klägerin auch in seiner gutachterlichen Stellungnahme für den Senat daran festgehalten, dass die Klägerin – ihre behauptete Erkrankung als gegeben unterstellt – gesundheitsbedingt in der Lage ist, länger als eine Stunde zu stehen, länger als eine Stunde zu sitzen und länger als eine Stunde zu laufen (Bl. 612 GA). Erneut stellte er klar, dass es zu Einschränkungen in Gestalt von Beeinträchtigungen der Beweglichkeit des Achsenorgans und zu einer deutlichen Beeinträchtigung des Befindens der Klägerin mit entsprechendem Schmerzempfinden – nur – bei entsprechenden entzündlichen Schüben kommt; nur insoweit lägen Einschränkungen in der Fähigkeit zur Berufsausübung vor (Bl. 614; auch Bl. 684 GA). Soweit er auf Grund der ihm zunächst unterbreiteten Ausgestaltung der beruflichen Tätigkeit der Klägerin unter Einschluss auch der erst später dezidiert bestrittenen Behauptung, es habe keine Möglichkeit zu Pausen bestanden, diese berufliche Tätigkeit für „nicht geeignet“ gehalten hat, weil sie es nicht ermögliche, die Pausenzeiten entsprechend den Beschwerden zu wählen (Bl. 615 GA), hat er in seiner Anhörung vor dem Senat, im Anschluss an die Vorgaben zum maßgeblichen Berufsbild, ausdrücklich klargestellt, dass unter dieser Prämisse ein überwiegendes Leistungsvermögen der Klägerin verbleibe, und nur von einer Einschränkung von 40 Prozent ausgegangen werden könne (Bl. 683 GA).

(cc)

Hiervon ausgehend, kann eine Berufsunfähigkeit der Klägerin in ihrer Tätigkeit an der Ein- und Ausgangswaage – selbst bei Bejahung des Vorliegens der behaupteten Erkrankung – nicht angenommen werden. Auf der Grundlage der unstreitigen Darstellung der Klägerin zu dieser Tätigkeit, ohne Berücksichtigung der zweitinstanzlichen Behauptungen zur fehlenden Möglichkeit, Pausen zu machen, handelte es sich um eine solche, die mit unterschiedlichen Zeitanteilen wechselnd im Sitzen, im Stehen und auch im häufigen Hin- und Hergehen, jeweils ohne schweres Heben oder Tragen, ausgeübt werden konnte, d.h. um eine körperlich leichte, in stetig wechselnder Körperhaltung ausgeübte Tätigkeit, die kein längerfristiges Verharren in einer bestimmten Körperhaltung voraussetzt, und von der nach den Feststellungen des Sachverständigen angenommen werden muss, dass sie der Klägerin weiterhin möglich und zumutbar ist. Denn alle genannten Einzeltätigkeiten können von ihr weiterhin in angemessenem Umfange – jeweils mindestens eine Stunde lang – ausgeübt werden; auch existiert keine einzelne Tätigkeit, die von ihr nicht mehr absolviert werden könnte und die für den Beruf „prägend“ wäre (vgl. dazu BGH, Urteil vom 19. Juli 2017 – IV ZR 535/15, VersR 2017, 1134; Senat, Urteil vom 13. Januar 2010 – 5 U 339/06-49, VersR 2010, 799). Arbeiten im Sitzen ist nach den sachverständigen Feststellungen über einen längeren Zeitraum möglich, was nach der Darstellung der Klägerin an der Waage nicht einmal erforderlich ist. Entsprechendes gilt für Tätigkeiten im Stehen oder Gehen, wenn diese – wie hier – nur über kürzere Zeiträume hinweg ausgeübt werden müssen und – wovon der Senat entsprechend seinem Hinweis ausgehen muss – Pausen oder Haltungswechsel grundsätzlich möglich sind; für die abweichende Darstellung, es habe ständig Stress geherrscht und keine Zeit für Pausen gegeben, der die Beklagte nachdrücklich entgegen getreten ist, existieren keine Belege und auch sonst keine Anhaltspunkte. Andere taugliche Beweismittel, die jenseits der insoweit sehr eindeutigen und in sich schlüssigen Angaben des Sachverständigen die Annahme einer bedingungsgemäßen Berufsunfähigkeit stützen könnten, hat die Klägerin nicht angeboten. Dass sie zwischenzeitlich eine befristete Rente wegen voller Erwerbsminderung von der Deutschen Rentenversicherung bezog, hat allein für die hier entscheidende Frage, ob bedingungsgemäße Berufsunfähigkeit eingetreten ist, keine Aussagekraft (KG, VersR 2019, 150; vgl. auch BGH, Urteil vom 12. Juni 1996 – IV ZR 116/95, VersR 1996, 959), worauf die Beklagte schon mit ihrer Berufung zu Recht hingewiesen hat. Bei all dem kann die Behauptung, die Klägerin sei bedingungsgemäß berufsunfähig, hier nicht als erwiesen erachtet werden.

(3)

Gründe, ein weiteres Gutachten – auf demselben oder auf einem anderen medizinischen Fachgebiet – einzuholen, bestehen nicht.

(a)

Soweit die Klägerin im Anschluss an die mündliche Erläuterung durch den Sachverständigen Dr. R. die Einholung eines weiteren Ergänzungsgutachtens bzw. eines neuen Gutachtens eines anderen Sachverständigen beantragt hat (Schriftsatz vom 16. Juni 2021, Bl. 701 GA), besteht dafür keine Veranlassung. Der Sachverständige Dr. R. hat die Beweisfragen eindeutig und abschließend beantwortet; nachträgliche Zweifel, wie sie die Klägerin jetzt ausmacht, sind dadurch gerade nicht aufgetreten, sondern allenfalls, wenn auch nicht in ihrem Sinne, ausgeräumt worden. Für die Einholung eines weiteren Ergänzungsgutachtens existiert deshalb kein Grund. Auch die von der Klägerin reklamierte Einholung eines weiteren Gutachtens (§ 412 ZPO) kam vor diesem Hintergrund nicht in Betracht. Eine verfahrensrechtliche Pflicht hierzu besteht für das Gericht nur ausnahmsweise, nämlich im Falle einander widersprechender Sachverständigengutachten, bei besonders schwierigen Fragen, bei groben Mängeln der vorhandenen Gutachten und dann, wenn ein neuer Gutachter über überlegene Forschungsmittel verfügt (BGH, Urteil vom 4. März 1980 – VI ZR 6/79, VersR 1980, 533; Senat, Urteil vom 9. Mai 2018 – 5 U 23/16, VersR 2018, 1314; Greger, in: Zöller, Zivilprozessordnung 33. Aufl., § 412 ZPO Rn. 2). Keiner dieser Fälle liegt hier vor. Die von der Klägerin behaupteten Widersprüche zwischen dem schriftlichen Gutachten des Sachverständigen und der mündlichen Erläuterung bestehen nicht. Andere Gründe, die zu der Einholung eines weiteren Gutachtens nötigen könnten, sind nicht dargetan und auch für den Senat nicht ersichtlich. Die vorliegenden Gerichtsgutachten sind aus sich heraus schlüssig und nachvollziehbar, sie beruhen auf einer sorgfältigen, durch entsprechende Zusatzbegutachtungen gestützten Aufklärung des Sachverhaltes, die getroffenen Feststellungen werden durch die übrigen zur Akte gelangten ärztlichen Unterlagen nicht in Frage gestellt. Insbesondere das von der Klägerin zuletzt vorgelegte – erkennbar unvollständige, nicht unterzeichnete und seinen Aussteller nicht erkennen lassende – Schreiben des Krankenhauses der J. GmbH, St., vom 14. Mai 2021, wonach sich die Klägerin im März desselben Jahres dort in ambulanter Behandlung befunden haben soll und in dem zahlreiche, nicht näher begründete Diagnosen aufgeführt sind, die aus diesem Anlass gestellt worden sein sollen, führt nicht dazu, dass die Richtigkeit oder Vollständigkeit der Aussage des gerichtlichen Sachverständigen, gegen dessen fachliche Eignung Bedenken nicht geltend gemacht oder sonst erkennbar sind, auch nur ansatzweise in Zweifel gezogen werden müsste. Ebenso wenig ist ersichtlich, dass ein anderer Sachverständiger über bessere Erkenntnisse verfügen könnte, um die entscheidende Beweisfrage zu beantworten.

(b)

Etwaige gesundheitliche Einschränkungen auf anderem medizinischen Fachgebiet, die ihre Fähigkeit zur Berufsausübung in Zweifel ziehen könnten, hat die Klägerin nicht behauptet, und auch die Aktenlage gibt dazu nichts Ausreichendes her. Das gilt insbesondere für eine mögliche psychiatrisch-psychosomatische Erkrankung oder daraus resultierende Beeinträchtigungen. Ohnehin existierte nur eine einzige, darauf möglicherweise hindeutende Diagnose einer „rezidivierenden depressiven Episode“, die in einer außergerichtlichen Stellungnahme vom 3. Dezember 2014 angedeutet worden war, worauf der Sachverständige in seinem Gutachten für das Landgericht hingewiesen hatte (Bl. 247, 318 GA). Einschränkungen für die Berufstätigkeit der Klägerin werden daraus aber nicht hergeleitet und von der Klägerin auch nicht ansatzweise beschrieben (zu dieser Anforderung Senat, Urteil vom 8. März 2006 – 5 U 269/05-22, VersR 2007, 974; Rixecker, in: Langheid/Rixecker, a.a.O., § 172 Rn. 26). Hierauf hat das Landgericht die Klägerin ausdrücklich hingewiesen (Bl. 319 GA); auch danach ist hierzu kein weiterer Vortrag oder Beweisantritt erfolgt. Bei dieser Sachlage begegnet es keinen Bedenken, dass das Landgericht sich mit dieser Hypothese nicht weiter befasst und insbesondere von der Einholung eines weiteren Sachverständigengutachtens auf psychiatrischem Fachgebiet abgesehen hat. Auch der Senat muss dem unter diesen Voraussetzungen nicht nachgehen. Auch im zweiten Rechtszug wurden eine dahin gehende Behauptung durch die Klägerin nicht aufgestellt oder andere konkrete Anhaltspunkte für eine solche Möglichkeit aufgezeigt; insbesondere folgt dies auch nicht aus der zuletzt eingereichten Stellungnahme der Klägerin zum Ergebnis der Beweisaufnahme oder dem ihr beigefügten – nicht unterzeichneten, unvollständigen – Schreiben der J. GmbH vom 14. Mai 2021, das insoweit keine Diagnosen enthält.

cc)

Aus all dem folgt zugleich, dass selbst unter der – unzutreffenden – Prämisse, dass zuletzt ausgeübte Tätigkeit der Klägerin ihre zwischenzeitliche Beschäftigung in der Verwaltung des Betriebes gewesen wäre, wovon erstinstanzlich noch beide Parteien und, ihnen folgend, das Landgericht ausgegangen sind, der erforderliche Nachweis bedingungsgemäßer Berufsunfähigkeit nicht geführt wäre. Die in der angefochtenen Entscheidung getroffene, von der Berufung bekämpfte Annahme, die Klägerin könne bestimmte, ihren früheren Beruf prägende Einzeltätigkeiten nicht mehr bedingungsgemäß ausüben, kann auf der Grundlage der im Berufungsrechtzug ergänzten Beweisaufnahme auch für diese nur kurz und vorübergehend ausgeübte Innendiensttätigkeit nicht getroffen werden, nachdem schon nicht mit ausreichender Gewissheit feststeht, dass die Klägerin überhaupt an der von ihr behaupteten Erkrankung leidet, und andere gesundheitliche Beschwerden zur Begründung nicht herangezogen, geschweige denn ausreichend nachvollziehbar vorgetragen werden; zur Vermeidung von Wiederholungen wird auf die obigen Ausführungen Bezug genommen.

c)

Fehlt es mithin am – erforderlichen – Nachweis einer bedingungsgemäßen Berufsunfähigkeit, weil nach der Beweisaufnahme schon das Vorliegen der behaupteten Erkrankung zweifelhaft geblieben ist, zudem das Ausmaß der daraus abgeleiteten Beschwerden und ihre Auswirkungen auf die Fähigkeit zur Berufsausübung zweifelhaft sind, so musste die auf Leistungen aus der Berufsunfähigkeits-Zusatzversicherung gerichtete Klage insgesamt der Abweisung unterliegen. Da das Landgericht die Beklagte zu Unrecht verurteilt hat, musste das angefochtene Urteil auf die Berufung hin entsprechend abgeändert werden.

3.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 91 Abs. 1 ZPO, die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit aus den §§ 708 Nr. 10, 711 ZPO.

Die Revision ist gemäß § 543 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 und 2 ZPO nicht zuzulassen. Weder hat die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung noch erfordert die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Revisionsgerichts.

Die Wertfestsetzung beruht auf den §§ 3, 4, 9 ZPO, §§ 47 Abs. 1 Satz 1, 48 Abs. 1 Satz 1 GKG. Der Wert der Feststellungsanträge auf Fortzahlung von Berufsunfähigkeitsrente und Beitragsfreistellung ist mit 80 Prozent des dreieinhalbfachen Jahresbetrages – hier in der Summe: 1.028,58 Euro – zu bemessen, er beträgt mithin 34.560,29 Euro. Hinzu kommen die bezifferten Klageanträge in Höhe von 14.000,- Euro, 7.000,- Euro und 1.000,- Euro.

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