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Berufsunfähigkeitsversicherung – Ausschlussklausel wegen Wirbelsäulenerkrankungen

Oberlandesgericht Jena – Az.: 4 U 633/18 – Urteil vom 02.10.2020

1. Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Landgerichts Erfurt vom 14.08.2018 – 10 O 795/15 – wird zurückgewiesen.

2. Der Kläger hat die Kosten des Berufungsverfahrens zu tragen.

3. Dieses Urteil und das angefochtene Urteil sind ohne Sicherheitsleistung vorläufig vollstreckbar. Der Kläger darf die Zwangsvollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht die Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet.

Gründe

I.

Mit der Klage macht der Kläger Leistungsansprüche aus einer Berufsunfähigkeits-Zusatzversicherung geltend, nämlich eine monatliche Rente in Höhe von 600 € bis zum Vertragsende. Außerdem verlangt er die Freistellung von der Beitragspflicht sowie Ersatz außergerichtlicher Rechtsanwaltskosten.

Der Kläger arbeitete am 21.06.2013 auf einer Baustelle. Aufgrund plötzlicher heftiger Schmerzen konnte er nicht weiterarbeiten. Ein MRT ergab einen Bandscheibeneinriss LWK 5 SWK 1.

Im Versicherungsschein haben die Parteien einen Leistungsausschluss vereinbart. Es heißt dort:

„Es ist vereinbart:

Ansprüche wegen Berufs- oder Dienstunfähigkeit sind vom Versicherungsschutz ausgeschlossen, sofern Erkrankung und Funktionsstörung der Wirbelsäule (einschließlich Bandscheiben) und nachgewiesene Folgen die Ursache bilden.

Berufsunfähigkeitsversicherung - Ausschlussklausel wegen Wirbelsäulenerkrankungen
(Symbolfoto: Von TB studio/Shutterstock.com)

Trotz des vereinbarten Leistungsausschlusses besteht voller Versicherungsschutz, wenn andere Gesundheitsschäden für sich allein – also ohne Mitrechnung des vorgenannten Leidens und seiner nachgewiesenen Folgen – zu einer Berufs- oder Dienstunfähigkeit führen.

Wenn ein die Wirbelsäulen-Funktion betreffender Grad der Berufsunfähigkeit ausschließlich den Folgen eines erst nach Vertragsbeginn erlittenen Unfalls oder den Folgen einer nach Vertragsbeginn neu aufgetreten entzündlichen Erkrankung der Wirbelkörper oder der Wirbelgelenke zuzuordnen ist, besteht auch für diese Folgen voller Versicherungsschutz.

Das gilt ebenso für die in der Wirbelsäule auftretenden Folgen einer Tumorerkrankung“.

Das Landgericht hat die Klage abgewiesen. Es sei nach Beweisaufnahme zu der Überzeugung gelangt, dass die vom Kläger behauptete Berufsunfähigkeit wegen des Bandscheibeneinrisses vom 21.06.2013 nicht auf einer neuen entzündlichen Erkrankung der Wirbelsäule beruhe, sondern vielmehr auf die bereits vorbestehende Erkrankung der Wirbelsäule zurückzuführen und daher von den vertraglichen Leistungsausschluss erfasst sei. Das Gericht stützt sich für diese Feststellung auf die schriftlichen und mündlichen Ausführungen des Sachverständigen Dr. F….

Weiter wird Bezug genommen auf die tatsächlichen Feststellungen im angefochtenen Urteil genommen (§ 540 Abs. 1 Nr. 1 ZPO).

Gegen diese Entscheidung wendet sich der Kläger mit seiner Berufung.

Der Kläger meint, nach Vertragsbeginn neu aufgetretene entzündliche Erkrankungen der Wirbelkörper oder der Wirbelgelenke unterfielen nicht dem Leistungsausschluss. Eine bloße Mitursächlichkeit einer neu aufgetretenen Rückenerkrankung genüge, um Versicherungsschutz zu erlangen. Weiter wird die Würdigung des Ergebnisses der der Beweisaufnahme gerügt. Die Berufsunfähigkeit sei allein die Folge der „Chronifizierung der Lumboischialgie“.

Der Kläger beantragt, unter Aufhebung des Urteils des Landgerichts Erfurt vom 14. August 2018 Az.: 10 O 759/15 die Beklagte nach den Schlussanträgen des Klägers in erster Instanz zu verurteilen.

Die Beklagte beantragt, die Berufung zurückzuweisen.

Sie verteidigt die erstinstanzliche Entscheidung.

II.

1. Die Berufung ist zulässig. Sie ist form- und fristgerecht eingelegt worden. Der Berufungsantrag (Bd. II Bl. 262 d.A.) ist dahingehend zu verstehen, dass die Beklagte entsprechend den mit der Klage angekündigten Leistungsanträgen (Bd. I Bl. 2 d.A.) verurteilt werden soll.

2. Die Berufung ist unbegründet. Einem Leistungsanspruch des Klägers aus der Berufsunfähigkeits-Zusatzversicherung steht der von den Parteien vertraglich vereinbarte Leistungsausschluss (Versicherungsurkunde vom 11.09.2009, S. 5 f., Anlagenband, Anlage K1) entgegen.

a. Dem Wortlaut des Absatzes 1 des Leistungsausschlusses kann der Versicherte entnehmen, dass Ansprüche wegen Berufs- oder Dienstunfähigkeit vom Versicherungsschutz ausgeschlossen sind, sofern Erkrankungen und Funktionsstörungen der Wirbelsäule (einschließlich Bandscheiben) und nachgewiesene Folgen die Ursachen bilden.

Wirbelsäulenbeschwerden führen also nach Absatz 1 der Vereinbarung prinzipiell nicht zu einem Leistungsanspruch gegen die BU-Versicherung.

Hiervon gibt es nach dem Wortlaut des Absatzes 3 des Risikoausschlusses zwei Ausnahmen. Es sind dies ein Unfall oder eine „nach Vertragsbeginn neu aufgetretene entzündliche Erkrankungen der Wirbelkörper oder der Wirbelgelenke“.

b. Da die hier zur Entscheidung stehende Berufsunfähigkeit auf eine Erkrankung der Wirbelsäule zurückzuführen ist, greift grundsätzlich der Leistungsausschluss des Absatzes 1. Die Einschränkung des Leistungsausschlusses nach Absatz 3 begründet keinen Leistungsanspruch für den Kläger.

aa. Zu einem „Unfall“ hat der Kläger nichts vorgetragen.

bb. Auch eine „neu aufgetretene entzündliche Erkrankung, der Wirbelkörper oder Wirbelgelenke“ liegt nicht vor.

Das Landgericht hat eine solche nach Vertragsbeginn aufgetretene entzündliche Erkrankung unter Bezugnahme auf die Ausführungen des Sachverständigen Dr. F… abgelehnt. Dies trifft im Ergebnis auf keine Bedenken.

Im schriftlichen Sachverständigengutachten vom 13.06.2017 heißt es hierzu (S. 21 des Gutachtens, Bd. I Bl. 166 d.A.):

„Es ergibt sich kein Anhaltspunkt für eine entzündliche Erkrankung der Wirbelsäule, die im Zusammenhang mit dem Geschehen vom 21.06.2013 neu aufgetreten sein könnte. Es zeigen sich hier degenerative Veränderungen.“

Die vom Kläger mit Schriftsatz vom 2. Oktober 2017 vorgelegten ergänzenden Behandlungsunterlagen des Allgemeinmediziners Dr. med. R. K… wurden für die ergänzende Stellungnahme des Sachverständigen Dr. F… vom 07.02.2018 berücksichtigt. Dieser geht weiter von einem degenerativen Zustand aus. Auf S. 11 des Gutachtens heißt es:

„Entzündliche Veränderungen der Wirbelsäule als abzugrenzende eigene Erkrankung sind nicht erkennbar. Sofern entzündliche Veränderungen im Rahmen der Erkrankung von Bedeutung sind, handelt es sich um entsprechende Veränderungen der Facettengelenke als Reizzustand derselben, auf dem Boden degenerativer Veränderungen.“

In der mündlichen Verhandlung vom 26.06.2018 erklärte der Sachverständige Dr. F… zu möglichen Widersprüchen in seinem Gutachten, es sei zwischen primär entzündlichen Erkrankungen und entzündlichen Erkrankungen als Folge von degenerativen Erkrankungen zu unterscheiden. Denkbar sei, dass zunächst eine Entzündung vorliege. Es handele sich dabei um Erkrankungen aus dem rheumatischen Formkreis. Hier sei es jedoch „andersrum“. Zunächst liege die degenerative Erkrankung der Bandscheibe vor, dann sei entzündliches Gewebe entstanden.

Diese Darlegungen erklären gut nachvollziehbar und überzeugend die Ausführungen im Gutachten. Die Bekundungen des Sachverständigen Dr. F… sind mithin nur scheinbar widersprüchlich.

c. Ein entzündlicher Prozess, der sich aufgrund einer degenerativen Veränderung der Wirbelsäule gebildet hat, fällt nicht unter Absatz 3 des Leistungsausschlusses, der ausnahmsweise zu einer Leistungspflicht führt. Dies folgt aus einer Auslegung der Erklärung.

Für die Auslegung ist vom Wortlaut der Klausel auszugehen. Gefragt werden muss, wie ein durchschnittlicher Versicherungsnehmer die Regelung versteht. AVB sind so auszulegen, wie ein durchschnittlicher Versicherungsnehmer die allgemeinen Bedingungen bei verständiger Würdigung, aufmerksamer Durchsicht und Berücksichtigung des erkennbaren Sinnzusammenhangs verstehen muss (BGH r + s 2012, 192 Rn. 16; BGH r + s 1993, 351, 352). Entsprechendes muss für Individualvereinbarungen gelten.

Ein verständiger Versicherungsnehmer wird bei Vereinbarung eines Leistungsausschlusses, wie ihn hier die Parteien dem Versicherungsvertrag zugrundegelegt haben, davon ausgehen, dass eine Berufsunfähigkeit, die primär auf einen Unfall oder auf eine entzündliche Erkrankung (Beispiel: Spondylodiszitis) der Wirbelsäule zurückzuführen ist, ausnahmsweise (mit Blick auf den Risikoausschluss in Absatz 1) zu einer Leistung führen wird. Wenn aus der Laienperspektive ein „Verschleiß“ zur Berufsunfähigkeit führt, dann soll eine Leistung nicht geschuldet sein. Da die Wirbelsäulenbeschwerden des Klägers auf degenerative Veränderungen der Wirbelsäule zurückzuführen sind, besteht kein Leistungsanspruch.

3. Da der Hauptanspruch nicht gegeben ist, besteht auch kein Anspruch auf Erstattung der vorgerichtlichen Anwaltskosten.

4. Dem Kläger sind die Kosten des erfolglosen Rechtsmittels aufzuerlegen, § 97 Abs. 1 ZPO. Die vorläufige Vollstreckbarkeit bestimmt sich nach §§ 708 Nr. 10, 711. Gründe, die Revision zuzulassen, sind nicht gegeben.

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