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Berufsunfähigkeitsversicherung – ärztliche Anordnung eines Gerichtssachverständigen

LG Heidelberg – Az.: 1 O 83/10 – Urteil vom 25.03.2011

1. Die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin aus der Berufsunfähigkeitszusatzversicherung zur Risikolebensversicherung, Versicherungsnr. …, Leistungen in Höhe von monatlich 1.900,28 € zuzüglich der jährlichen Überschussbeteiligung für den Zeitraum vom 01. August 2008 bis längstens zum 30. April 2025, zahlbar vierteljährlich im Voraus, zu bezahlen zuzüglich Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz aus 5.700,84 € seit dem 01. August 2008, aus weiteren 5.700,84 € seit dem 01. November 2008, aus weiteren 5.700,84 € seit dem 01.02.2009, aus weiteren 5.700,84 € seit dem 01. Mai 2009, aus weiteren 5.700,84 € seit dem 01. August 2009, aus weiteren 5.700,84 € seit dem 01. November 2009, aus weiteren 5.700,84 € seit dem 01. Februar 2010, aus weiteren 5.700,84 € seit dem 01. Mai 2010, aus weiteren 5.700,84 € seit dem 01. August 2010, aus weiteren 5.700,84 € seit dem 01. November 2010, aus weiteren 5.700,84 € seit dem 01. Februar 2011.

2. Es wird festgestellt, dass die Beklagte verpflichtet ist, die Klägerin von der Beitragszahlungspflicht für die Risikolebensversicherung auf den Todesfall nach Tarif 20, Versicherungsnr. …, sowie der Zusatzversicherung über den 01. August 2008 hinaus bis längstens zum 30. April 2025 freizustellen.

3. Die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin 1.999,32 € außergerichtliche Anwaltskosten nebst Zinsen hieraus in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 25.09.2008 zu bezahlen.

4. Die Klägerin wird verurteilt, an die Beklagte 11.525,42 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 04.11.2008 zu bezahlen.

5. Von den Kosten des Rechtsstreits tragen die Klägerin 12 % und die Beklagte 88%.

6. Das Urteil ist jeweils gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 120 % des zu vollstreckenden Betrags vorläufig vollstreckbar.

Tatbestand

Die Parteien streiten mit Klage und Widerklage um weitere Leistungen aus einer Berufsunfähigkeitszusatzversicherung und Beitragsfreistellung zur Risikolebensversicherung.

Die Klägerin unterhält bei der Beklagten zur Versicherungsscheinnummer seit dem 01.05.1999 eine Risikolebensversicherung auf den Todesfall sowie eine Zusatzversicherung (Berufsunfähigkeitszusatzversicherung) nach Tarif B (Beitragsbefreiung) sowie Berufsunfähigkeitszusatzversicherung nach Tarif R (Rente). Dem Vertrag liegen die Allgemeinen Bedingungen für die Risikoversicherung, die Bedingungen für die Berufsunfähigkeitszusatzversicherung und „Besondere Vereinbarungen“ zugrunde, wonach eine Tätigkeit als Zahnärztin versichert ist. Beiträge sind bis zum 30.04.2025 zu zahlen. Für den Fall der mindestens 50%-igen Berufsunfähigkeit ist eine Beitragsbefreiung für die Haupt- und Zusatzversicherung vereinbart und die Berufsunfähigkeitsrente vierteljährlich im Voraus, erstmals anteilig bis zum Ende des laufenden Versicherungsvierteljahrs zu bezahlen. Das Versicherungsjahr beginnt am 01. Mai.

In § 4 Abs. 3 der Bedingungen für die Berufsunfähigkeits-Zusatzversicherung heißt es:

Bei seelischen Erkrankungen sind Anordnungen, die der untersuchende oder behandelnde Arzt nach gewissenhaftem Ermessen trifft, um die Heilung zu fördern oder die Berufsunfähigkeit zu mindern, zu befolgen. Die Anordnungen müssen sich jedoch im Rahmen des Zumutbaren halten.

Die 1964 geborene Klägerin war seit 1990 als angestellte und seit 1993 als freiberufliche Zahnärztin in eigener Praxis in Praxisgemeinschaft mit einem anderen Zahnarzt tätig. Sie hatte 5 Mitarbeiter/innen. An gesunden Tagen arbeitete sie an fünf Tagen in der Woche für jeweils ca. 8 Stunden täglich. Davon entfielen ca. 6 Stunden und 40 Minuten täglich auf die eigentliche, mit Patientenkontakt verbundene Zahnarzttätigkeit.

Die Klägerin ist allein erziehende Mutter einer 1997 geborenen Tochter, wegen der sie ihre Praxistätigkeit etwas reduzierte. Im Jahr 2002 erkrankte die Klägerin psychisch schwer. Die Beklagte erkannte unter dem 18.04.2005 den Anspruch auf die vertraglichen Leistungen wegen Berufsunfähigkeit unter Feststellung eines Grades der Berufsunfähigkeit von 80 % an. Dem lag die Diagnose „Rezidivierende depressive Störung, gegenwärtig schwere Episode mit wahnhaften Symptomen auf dem Boden einer selbstunsicheren dependenten Persönlichkeitsstruktur mit histrionischen Anteilen“ zugrunde.

Die Beklagte gewährte die vertraglichen Leistungen für die Zeit vom 01.04.2003 bis einschließlich 31.07.2008.

In der Zwischenzeit besserte sich der Zustand der Klägerin. Über den Umfang der Besserung besteht Streit. Die Klägerin nahm auf ärztlichen Rat hin eine Teilzeittätigkeit als Ernährungsberaterin auf. Sie trat vorübergehend dem Bund der Selbständigen bei und war vorübergehend in Teilzeit als Lehrbeauftragte für Ernährung und Stressmanagement an der Berufsakademie … tätig. Sie wirkte unentgeltlich bei 8 Fernsehspots mit Ernährungstipps im Regionalfernsehen mit und hielt vereinzelt anderweitige Vorträge. Auch gab sie einmal im Radio kurz Antwort auf Ernährungsfragen. Derzeit arbeitet sie im Auftrag des Gesundheitsamts stundenweise als Schulzahnärztin.

Die Klägerin befindet sich bis heute in ambulanter Behandlung eines Psychiaters, den sie wöchentlich aufsucht. Eine stationäre Behandlung fand nicht statt.

Mit Einstellungsmitteilung vom 24.06.2008, auf die verwiesen wird, teilte die Beklagte der Klägerin mit, dass eine Berufsunfähigkeit von leistungsrelevantem Umfang, also mindestens 50 %, nicht mehr vorliege, und stellte die Leistungen mit Wirkung vom 01.08.2008 ein. Der Einstellungsmitteilung war das Gutachten des Arztes für Neurologie und Psychiatrie Dr. … vom 02.01.2008 beigefügt, der auch für die beiden anderen Versicherungen tätig war, bei denen die Klägerin gegen Berufsunfähigkeit versichert ist und Leistungen bezog. Auf das Gutachten wird verwiesen.

Der Klägerin suchte einen Rechtsanwalt auf, der die Leistungseinstellung zurückwies. Hierfür wurden am 10.09.2008 außergerichtliche Rechtsanwaltskosten in Höhe von 1.999,32 € in Rechnung gestellt und von der klägerischen Rechtsschutzversicherung bezahlt. Die Rechtsschutzversicherung hat die Klägerin zur Prozessführung ermächtigt (AS 89).

Am 25.09.2008 erhob die Klägerin Klage.

Mit einer geänderten Einstellungsmitteilung vom 19.12.2008 stellte die Beklagten nochmals die Leistungen, mit Wirkung vom 01.02.2009, ein und fügte auch das dem Anerkenntnis zugrunde liegende Gutachten aus dem Jahr 2004 bei. Das Schreiben gab oben nur den Namen des Sachbearbeiters an. Die Unterschriften waren unleserlich und nicht erläutert. Die Klägerin wies die Einstellungsmitteilung zurück mit Schriftsatz vom 02.01.2009.

Mit Schreiben vom 29.06.2009 macht die Klägerin erneut Ansprüche ab dem 01.08.2008 geltend. Die Beklagte lehnte diese ab.

Auf eine einstweilige Verfügung des Landgerichts Heidelberg vom 24.10.2008 (7 O 313/08) zahlte die Beklagte am 04.11.2008 an die Klägerin zur Abwendung der Zwangsvollstreckung 11.988,65 € (Rente und Beitragsrückerstattung für den Zeitraum vom 01.08.2008 bis zum 31.01.2009 zuzüglich Zinsen). Die einstweilige Verfügung wurde durch rechtskräftiges Urteil vom 18.12.2008 aufgehoben. Die Klägerin zahlte trotz Aufforderung vom 29.12.2008 mit Fristsetzung zum 15.11.2009 nur 463,23 € zurück.

Die Klägerin wurde in einem Parallelrechtsstreit beim Landgericht Stuttgart (18 O 386/08), dem ein Versicherungsvertrag mit einer anderen Versicherung der Klägerin zugrunde liegt, bei dem nicht nur die Tätigkeit als Zahnärztin versichert ist, begutachtet. Danach ist seit dem 01.10.2008 eine Berufsfähigkeit von 15 – 20 % gegeben. In dem Gutachten vom 20.05.2009 heißt es auch:

Aufgrund der Schwere der Depression ist eine (teil-)stationäre Aufnahme in einer psychiatrischen Klinik dringend indiziert. Sie selbst habe dies wegen ihrer Tochter abgelehnt. Inzwischen gibt sie jedoch an, dass sie sich dies durchaus vorstellen könne, insbesondere wenn sie eine Klinik fände, die ihre Tochter mit aufnehme bzw. wo die Tochter auch mitbetreut würde. (S. 10).

… neben der Antidepressiva Gabe und anhaltenden Psychotherapie bisher keine konsequente antidepressive pharmakologische Therapie, insbesondere durch Einsatz einer Lithium-Augmentation und der Gabe von atypischen Neuroleptika unternommen worden. Unabhängig vom Ausgang dieses zivilrechtlichen Prozesses ist jedoch aus psychiatrischer Sicht eine solche stationäre Behandlung dringend angezeigt, zumal immer wiederkehrende, auch suizidale Impulse bei Frau … vorliegen. Die Chance für eine Remission oder deutliche Besserung bis zur Berufsfähigkeit ist inzwischen mit weniger als 30 % zu beziffern. (S. 14/15)

Die Klägerin behauptet, sie sei auch über den 01.08.2008 hinaus zu mindestens 50 % berufsunfähig im Sinne der vereinbarten Versicherungsbedingungen. Eine Willensanspannung für die Überwindung der Auswirkungen ihrer Gesundheitsstörung auf die Wiederaufnahme und regelmäßige Ausübung ihrer Berufstätigkeit im Umfang von mindestens 50 % des bisherigen Umfangs sei ihr unmöglich und nicht zumutbar. Der Patientenkontakt, insbesondere unangemeldete Schmerzpatienten, welche die nachfolgenden Behandlungen verzögerten, setzten sie unter erhöhten Stress. Die Stressbelastungen des Patientenkontakts am Behandlungsstuhl würden sie überfordern und zu einer Akzentuierung der psychosomatischen Beschwerden führen. Diese Stressoren seien auch nicht reduzierbar. Sie habe einen Arbeitsaufnahmeversuch wieder abbrechen müssen. Die Tätigkeit als Ernährungsberaterin sei planbar gewesen und verursache höchstens geringen Stress. Sie müsse sich ohnehin nicht auf andere Tätigkeiten verweisen lassen. Soweit sie mit dem Auto gefahren sei, habe sie sich oft auch fahren lassen. Eine längere stationäre Heilbehandlung würde die schon angegriffene Gesundheit ihrer Tochter gefährden. Sie habe keine Möglichkeit, die Tochter längere Zeit bei anderen Personen unterzubringen. Solange begründete Aussichten auf eine Besserung des Gesundheitszustands im Rahmen einer ambulanten Behandlung bestünden, werde eine stationäre Maßnahme aus medizinischer Sicht nicht befürwortet. Die Gesundheit habe sich wegen der Leistungseinstellungen der Versicherer wieder verschlechtert.

Die Klägerin trägt vor, die Beklagte sei aufgrund des Anerkenntnisses im Nachprüfungsverfahren darlegungs- und beweisbelastet dafür, dass es zu einem Wegfall ihrer Berufsunfähigkeit gekommen sei. Die Mitteilung über die Leistungseinstellung vom 18.04.2008 sei mangels hinreichender und nachvollziehbarer Begründung nicht wirksam gemäß § 7 Abs. 4 BB-BZ erfolgt. Insbesondere seien zwei Stunden des Bohrens und Füllens unberücksichtigt geblieben. Der Sachverständige habe sich auch nicht nur über die Tätigkeit als Zahnärztin geäußert. Anders als im Schreiben der Beklagten vom 24.06.2008 dargestellt, sei § 2 Abs. 1 der Bedingungen für die Berufsunfähigkeits-Zusatzversicherung, der eine Verweisung auf gleichwertige Tätigkeiten vorsehe, gerade nicht vereinbart. Nach den Besonderen Vereinbarungen liege Berufsunfähigkeit vor, wenn sie – die Klägerin – einer Tätigkeit als Zahnärztin nicht nachgehen könne. Die Einstellungsmitteilung habe sie über die Erfolgsaussichten, dagegen vorgehen zu können, getäuscht. Das Gutachten „ZBS (2004)“ sei nicht beigefügt gewesen.

Die Einstellungsmitteilung vom 19.12.2008 sei mangels leserlicher Unterschriften ohne Zusatz unwirksam.

Die Klägerin hält die §§ 4 Abs. 3, 8 der Bedingungen für die Berufsunfähigkeits-Zusatzversicherung für unwirksam. § 4 Abs. 3 sei auch nicht erfüllt, weil der Gerichtsgutachter kein untersuchender oder behandelnder Arzt im Sinne dieser Bedingung sei und auch keine Anordnung in diesem Sinne getroffen habe. Eine Anordnung wäre auch nicht zumutbar, da die (teil-)stationäre Behandlung keine sichere Aussicht auf Heilung oder Besserung habe.

Die Klägerin beantragt nunmehr:

1. Die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin aus der Berufsunfähigkeitszusatzversicherung zur Risikolebensversicherung, Versicherungsnr. …, Leistungen in Höhe von monatlich 1.900,28 € zuzüglich der jährlichen Überschussbeteiligung für den Zeitraum vom 01. August 2008 bis längstens zum 30. April 2025, zahlbar vierteljährlich im Voraus, zu bezahlen zuzüglich Zinsen in Hohe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz aus 5.700,84 € seit dem 01. August 2008, aus weiteren 5.700,84 € seit dem 01. November 2008, aus weiteren 5.700,84 € seit dem 01.02.2009, aus weiteren 5.700,84 € seitdem 01. Mai 2009, aus weiteren 5.700,84 € seit dem 01. August 2009, aus weiteren 5.700,84 € seit dem 01. November 2009, aus weiteren 5.700,84 € seit dem 01. Februar 2010, aus weiteren 5.700,84 € seit dem 01. Mai 2010, aus weiteren 5.700,84 € seit dem 01. August 2010, aus weiteren 5.700,84 € seit dem 01. November 2010, aus weiteren 5.700,84 € seit dem 01. Februar 2011.

2. Es wird festgestellt, dass die Beklagte verpflichtet ist, die Klägerin von der Beitragszahlungspflicht für die Risikolebensversicherung auf den Todesfall nach Tarif 20, Versicherungsnr. …, sowie der Zusatzversicherung über den 01. August 2008 hinaus bis längstens zum 30. April 2025 freizustellen.

3. Die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin 1.999,32 € außergerichtliche Anwaltskosten nebst Zinsen hieraus in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit zu bezahlen.

Die Beklagte beantragt, Klagabweisung.

Sie behauptet, dass sich der Gesundheitszustand der Klägerin laufend so gebessert habe, dass sie nur noch maximal zu 20 % berufsunfähig sei. Denn seit 2007 betreibe sie 4-6 Stunden pro Woche eine Praxis als Ernährungsmedizinerin und nehme auch sonst rege am gesellschaftlichen Leben teil. Die Beklagte trägt weiter vor, das der Einstellungsmitteilung zugrunde liegende Gutachten sei nicht zu beanstanden. Es entspreche allgemeiner Erfahrung, dass besonders bei psychischen Erkrankungen keine Heilung erzielt werden könne, wenn durch Wegfall der Berufsunfähigkeitsleistungen der Lebensunterhalt gefährdet werde. Die Klägerin stehe mit insgesamt 3 Versicherungen sogar deutlich besser da, als wenn sie wieder berufstätig wäre. Die Leistungseinstellung sei gemäß § 7 der Bedingungen für die Berufsunfähigkeits-Zusatzversicherung sowohl in formeller als auch in materieller Hinsicht wirksam. Die Klägerin habe sich noch nicht einer stationären Behandlung unterzogen. Dass eine Verweisung auf den Beruf der Ernährungsmedizinerin nicht möglich wäre, sei unerheblich. Aus dieser Tätigkeit folge die Möglichkeit einer mehr als 50 %-igen Tätigkeit als Zahnärztin. Dies folge auch aus den in diesem Zusammenhang zurückgelegten beachtlichen Fahrstrecken. Die Klägerin fahre ausweislich der von ihr selbst angegebenen Benzinkosten im Monat 2000 bis 3000 km, z. B. zu einem Bekannten nach …. Die zweite Einstellungsmitteilung sei ebenfalls wirksam. Auf die Unleserlichkeit der Unterschriften komme es nicht an, weil § 174 BGB den Rechtsverkehr nicht besser stellen solle als bei Handeln ohne Vertreter. Die Vertretungsberechtigung des unterzeichnenden Vorstandsmitglieds und eines Prokuristen ergebe sich aus dem Handelsregister.

Die Beklagte hält die Angaben der Klägerin unter Androhung der Leistungseinstellung wegen Verweigerung der Mitwirkungspflicht nach § 7 Abs. 2 der Versicherungsbedingungen für ungenügend. Hinsichtlich der vorgerichtlichen Rechtsanwaltskosten verweist die Beklagte auf § 67 VVG.

Die Beklagte beruft sich für die Zeit ab dem 01.07.2009 bis zur Aufnahme einer teil- oder vollstationären Behandlung auf Leistungsfreiheit nach § 4 Abs. 3 und § 8 der Bedingungen für die Berufsunfähigkeits-Zusatzversicherung, da das Gutachten vom 20.05.2009 der Klägerin spätestens im Laufe des Juni 2009 zugegangen sei und die Klägerin die dort dringend empfohlene (teil-)stationäre Therapie nicht begonnen habe. Für die inzwischen 13-jährige Tochter sei der Klägerin eine hinreichende Unterstützung auch bei tagesklinischer Behandlung möglich.

Die Beklagte meint, die Klägerin habe gemäß §§ 717 Abs. 2 Satz 1, 945 ZPO den zur Abwendung der Zwangsvollstreckung aus der einstweiligen Verfügung geleisteten Betrag auf jeden Fall zurückzuzahlen.

Die Beklagte beantragt widerklagend: Die Klägerin wird verurteilt, an den Beklagten 11.525,42 € nebst 5 Prozentpunkten Zinsen über dem Basiszinssatz seit dem 04.11.2008 zu bezahlen.

Die Klägerin beantragt, Abweisung der Widerklage.

Sie meint, nach dem Abschluss des Nachprüfungsverfahrens durch die Einstellungsmitteilungen vom 24.06.2008 und 19.12.2008 habe sie keine Auskunftspflicht mehr, weder nach den Versicherungsbedingungen (§ 7 Abs. 2 BB-BUZ) noch nach Treu und Glauben.

Die Akten des Landgerichts Heidelberg (7 O 313/08) und des Landgerichts Stuttgart (… gegen … 18 O 386/08) wurden beigezogen. Mit Beschluss vom 23.06.2010 ordnete das Gericht die Verwertung des Gutachtens des Sachverständigen Dr. … vom 20.05.2009 aus dem Verfahren 18 O 386/08 und dessen Erläuterung in der dortigen mündlichen Verhandlung vom 14.10.2009 im hiesigen Verfahren an und holte ein Ergänzungsgutachten des Sachverständigen ein. In dem Ergänzungsgutachten vom 15.12.2010 ist festgestellt:

Leider wurde bis heute trotz unserer gutachterlichen Empfehlung im Mai 2009 das therapeutische Setting nicht verändert. Es besteht weiterhin eine ein- bis zweistündige ambulante Psychotherapie bei Prof. Dr. … pro Woche. Eine tagesklinische oder vollstationäre Behandlung wurde nicht begonnen, da Frau Dr. … weiterhin meint, dies ihrer Tochter nicht zumuten zu können (S. 9).

Ob sich diese Berufsunfähigkeit eventuell bei intensivierter pharmakotherapeutischer und tageklinischer verhaltenstherapeutischer Therapie mit Expositionsübungen und Aufhellung des Umfeldes weiter bessert, wäre frühestens in einem Jahr nach entsprechender Therapie zu beantworten. Es würde die Einschätzung der Berufsunfähigkeit für die Jahre bis 2010 jedoch nicht verändern (S. 11).

Im Übrigen wird auf das Gutachten vom 15.12.2010 verwiesen.

Entscheidungsgründe

Die Klagen und die Widerklage sind zulässig und begründet.

I. Klage-Antrag Ziff. 1:

Die Klägerin hat die geltend gemachten und der Höhe nach unstreitigen Ansprüche aus dem Versicherungsvertrag Nr. …, weil sie nach wie vor zu mehr als 50 % berufsunfähig in Bezug auf die versicherte Tätigkeit als Zahnärztin ist. Auf die formelle Wirksamkeit der Einstellungsmitteilungen kommt es daher nicht an.

1. Die Beklagte ist, nachdem sie den Versicherungsfall zunächst anerkannt hat, darlegungs- und beweispflichtig dafür, dass die Berufsunfähigkeit der Klägerin auf weniger als 50 % gesunken ist (LG Heidelberg, U. v. 18.12.2008 – 7 O 313/08 m. w. N.). Dieser Beweis ist ihr nicht gelungen. Keines der im Verfahren des Landgerichts Stuttgart (gegen …,18 O 386/08) und im vorliegenden Verfahren eingeholten bzw. ergänzend erläuterten Gutachten stellt eine Berufsunfähigkeit von weniger als 50 % fest. Im Gegenteil steht auf Grund der gemäß § 411a ZPO verwerteten und in diesem Verfahren eingeholten Gutachten fest, dass die Klägerin durchgehend zu mehr als 50 % nicht in der Lage war und ist, ihrem Beruf als Zahnärztin nachzugehen (Gutachten vom 20.05.2010, S. 14; vom 15.12.2010, S. 11: „… und es ist weiterhin durchgehend eine Berufsunfähigkeit von mehr als 50 % gegeben.“; vgl. auch Erläuterung vom 14.10.2009, S. 10).

Das Gericht schließt sich diesen umfangreichen und nachvollziehbaren Gutachten einschließlich der verwerteten Erläuterung vom 14.10.2009 nach eigener Prüfung an. Der Sachverständige hat alle von der Beklagten für relevant gehaltenen Tätigkeiten der Klägerin in der fraglichen Zeit eingehend und in Bezug auf die hier maßgebliche Fragestellung berücksichtigt und bewertet (vgl. Gutachten vom 15.12.2010, S. 9). Schon in der mündlichen Verhandlung vor dem LG Stuttgart am 14.10.2009 erklärte der Sachverständige, dass die Klägerin beispielsweise vor einer Gruppe habe sprechen können, weil zu ihrem Krankheitsbild nicht eine davon abzugrenzende soziale Phobie gehöre (Protokoll der mündlichen Verhandlung vor dem LG Stuttgart vom 14.10.2009, S. 10). An keiner Stelle konnte der Sachverständige eine Inszenierung (a. a. O., S, 8) oder Hinweise auf Aggravation oder Simulation (Gutachten vom 15.12.2010, S. 7 und vom 20.05.2009, S. 8) feststellen. Ein vereinzeltes Missverständnis bei der Anamnese (wohl kein Suizidversuch, sondern nur eine Suizidankündigung der Mutter) fällt gegenüber den von der Klägerin selbst erlebten belastenden Ereignissen wie ihrer Erkrankung in der Jugend, dem Unfalltod ihres ersten Partners und der Abtreibung ihres zweiten Kindes nicht ins Gewicht. Der Sachverständige hat sich auch ausführlich mit dem Gutachten der Beklagten (Dr. … vom 02.01.2008) auseinandergesetzt und festgestellt, dass Dr … nicht einmal eine von der WHO anerkannte Diagnose stellte (Gutachten vom 20.05.2009, S. 12, 13).

2. Eine Leistungsverweigerung wegen einer Obliegenheitspflichtverletzung kommt nicht in Betracht.

a. Nach § 7 Abs. 2 der Bedingungen für die Berufsunfähigkeitszusatzversicherung kann die Beklagte zur Nachprüfung der Berufsunfähigkeit zwar jederzeit sachdienliche Auskünfte und einmal jährlich umfassende Untersuchungen durch von ihr zu beauftragende Ärzte verlangen. Die Klägerin hat jedoch keine Auskünfte auf Fragen der Beklagten oder des von dieser beauftragten Arztes verweigert; sie hat sich vielmehr – wie aus dem Gutachten des Dr. … vom 02.01.2008 hervorgeht – durch den von der Beklagten beauftragten Arzt umfassend untersuchen lassen und auch gegenüber dem gerichtlichen Sachverständigen ohne Hinweise auf das Verschweigen bestimmter Sachverhalte die erforderlichen Auskünfte erteilt, wovon die Beklagte durch die Gutachten Kenntnis erhalten hat

b. Nach § 4 Abs. 3 der Bedingungen für die Berufsunfähigkeitszusatzversicherung muss die Klägerin bei seelischen Erkrankungen Anordnungen folgen, die der untersuchende oder behandelnde Arzt nach gewissenhaftem Ermessen trifft, um die Heilung zu fördern oder die Berufsunfähigkeit zu mindern, sofern die Anordnungen sich im Rahmen des Zumutbaren halten.

Hiergegen hat die Klägerin nicht verstoßen. Der gerichtliche Sachverständige ist kein Arzt im Sinne dieser Bedingung (OLG Karlsruhe, U. v. 03.04.2003 – 12 U 57/01, juris). Einer entsprechenden Empfehlung eines behandelnden Arztes wäre unter dem Gesichtspunkt der Zumutbarkeit auch nur zu folgen, wenn sichere Aussicht auf Besserung bis zur Leistungsgrenze bestünde (OLG Karlsruhe, a. a. O.; OLG Hamm, VersR 92, 1120). Vorliegend bestand im Zeitpunkt der Empfehlung des Gerichtsgutachters nur eine Wahrscheinlichkeit von unter 30 % für eine Besserung und zwar auch unter stationären Bedingungen, wie daraus hervorgeht, dass die entsprechende Aussage im Anschluss an die Empfehlung einer stationären Behandlung gemacht wurde (Gutachten vom 20.05.2009, S. 14/15). Im Übrigen wäre die Empfehlung auch nicht konkret genug, um als Anordnung im Sinne der Versicherungsbedingungen zu gelten. Die für die Bindung an die Anordnung ausdrücklich maßgebliche Zumutbarkeit der Anordnung kann nämlich nur in Bezug auf eine nach Art (hier: stationär oder teil-/tagesstationär), Ort und voraussichtliche Dauer konkretisierte Maßnahme beurteilt werden (vgl. OLG Karlsruhe, a. a. O., Rn. 26).

3. Die Forderung ist auch nicht durch die Zahlung von 11.525,42 € teilweise erloschen.

Nach § 362 Abs. 1 BGB erlischt das Schuldverhältnis durch Bewirken der geschuldeten Leistung an den Gläubiger. Eine solche Erfüllungswirkung hat die Zahlung zur Abwendung der Zwangsvollstreckung (hier: aus einer einstweiligen Verfügung) nicht. Eine Erfüllungswirkung wird auch nicht mit Rechtskraft dieses Urteils eintreten, wie es der Fall wäre, wenn die Klägerin den Betrag wegen der Vollstreckung aus einem für vorläufig vollstreckbar erklärten und später rechtskräftig gewordenen Urteil erhalten hätte (BGH NJW 1990, 2756). Denn die einstweilige Verfügung, auf der die Zahlung beruhte, wurde rechtskräftig aufgehoben. Durch die Erhebung des Anspruchs nach § 945 ZPO hat die Beklagte auch zum Ausdruck gebracht, dass die Zahlung der Klägerin gerade nicht verbleiben, also in jedem Fall nicht als Erfüllung gelten, soll.

Die Klage hat daher in der Hauptsache Erfolg. Der Zinsanspruch folgt aus §§ 286 Abs. 2 Nr. 1,288 Abs. 1 BGB.

II. Der Klage-Antrag Ziff. 2 ist zulässig und nach dem oben Gesagten auch begründet. Das Feststellungsinteresse, § 256 ZPO, besteht im Interesse der Rechtssicherheit, damit nicht erst bei Eintritt des Versicherungsfalls Streit über die Leistungspflicht nach unterlassener Beitragszahlung entsteht und auszutragen ist.

III. Der Anspruch auf Ersatz der vorgerichtlichen Rechtsanwaltskosten ergibt sich aus §§ 86 VVG, 185 BGB, 54 ZPO und §§ 280 Abs. 1 und 2, 286 Abs. 2 Nr. 1 BGB und ist gemäß §§ 291, 288 Abs. 1 BGB ab Rechtshängigkeit zu verzinsen.

IV. Die Widerklage ist zulässig und begründet.

Nach § 945 ZPO hat die Beklagte der Klägerin den Schaden zu ersetzen, der sich aus der Vollziehung der einstweiligen Verfügung vom 24.10.2008 (7 O 313/08), die sich im Urteilsverfahren mangels Verfügungsgrundes als von Anfang an ungerechtfertigt erwiesen hat, ergibt. § 717 Abs. 2 ZPO ist entsprechend anwendbar (Zöller/Herget, ZPO, 28. Aufl., § 717 Rn. 3).

Die Ersatzpflicht erstreckt sich gemäß § 249 BGB auf die Wiederherstellung des früheren Zustands durch Rückgabe alles dessen, was der Schuldner gezahlt oder geleistet hat (Zöller/Herget, ZPO, 28. Aufl., § 717 Rn. 3, 6). Nur bei Unterlassungsansprüchen wird kein Schaden angenommen, wenn der Schuldner sachlich-rechtlich ohnehin zur Unterlassung verpflichtet war (vgl. BGHZ 126, 374). Schadenskausal ist auch eine freiwillige Zahlung, wenn mit ihr eine drohende Zwangsvollstreckung abgewendet werden sollte (Zöller/Herget, ZPO, 28 Aufl., § 717 Rn. 7). Hatte der Schuldner zur Abwendung der Vollstreckung geleistet, kann gegen dessen Rückforderungsanspruch nicht mit dem Anspruch aufgerechnet werden, der zunächst tituliert worden war (Zöller, a. a. O., § 717 Rn. 11 m. w. N.). In der Zahlung liegt auch deshalb ein Schaden, weil mangels Erfüllungswirkung die Klage in vollem Umfang Erfolg hatte.

Die Widerklage hat daher Erfolg.

Der Zinsanspruch folgt aus § 717 Abs. 2 Satz 2, 2. Hs. ZPO entsprechend in Verbindung mit §§ 288 Abs. 1, 291 BGB.

V. Die Kostenentscheidung folgt aus § 92 Abs. 1 ZPO. Wegen der wirtschaftlichen Identität von Klage und Widerklage handelt es sich zwar um denselben Gegenstand im Sinne des § 45 Abs. 1 Satz 3 GKG (vgl. Zöller/Herget, ZPO, 28. Aufl., § 3 Rn. 16 Widerklage m. w. N.). Für die Kostenentscheidung war aber von einem fiktiven Streitwert aus Klage und Widerklage auszugehen (vgl. Zöller, a. a. O., § 92 Rn. 11; die dortigen Erwägungen treffen auch den vorliegenden Fall).

Der Ausspruch über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 709 ZPO.

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