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Berufsunfähigkeitsversicherung – Abgrenzung leidensbedingter und frei gewählter Berufswechsel

Oberlandesgericht Saarbrücken, Az.: 5 U 248/12, Urteil vom 26.02.2014

Auf die Berufung der Klägerin wird das Urteil des Landgerichts Saarbrücken vom 22.05.2012 – 14 O 310/11 – abgeändert.

Es wird festgestellt, dass der Versicherungsvertrag der Parteien über eine Berufsunfähigkeitszusatzversicherung vom 1.12.1998 – Versicherungsschein Nr. … – fortbesteht und nicht durch die Anfechtungserklärung der Beklagten vom 19-09.2011 unwirksam geworden ist.

Im Übrigen wird die Berufung der Klägerin zurückgewiesen.

Die Kosten der ersten Instanz trägt die Klägerin. Von den Kosten des Berufungsverfahrens trägt die Klägerin 4/5, die Beklagte 1/5.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Klägerin und Beklagte können die Vollstreckung jeweils durch Sicherheitsleistung in Höhe von 115 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages abwenden, sofern nicht die jeweils andere Partei Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

Der Streitwert für das Berufungsverfahren wird auf 55.954,43 Euro festgesetzt.

Gründe

I.

Die Klägerin unterhält bei der Beklagten seit dem 1.12.1998 eine Berufsunfähigkeitszusatzversicherung. Für den Fall, dass die Klägerin zu mindestens 50 % berufsunfähig wird, verspricht ihr der Vertrag eine monatliche Rente von 2000 DM (=1022,58 €). In dem Antrag auf Abschluss des Versicherungsvertrages vom 4.9.1998 hatte die Klägerin auf die Fragen der von ihr verlangten Gesundheitserklärung ein ausgeheiltes Karpaltunnelsyndrom, Heuschnupfen und Routineuntersuchen benannt.

Die Klägerin zeigte der Beklagten unter dem 15.12.2010 an, wegen eines Bandscheibenvorfalls berufsunfähig zu sein. Im Verlauf der Leistungsprüfung erfuhr die Beklagte, dass das Krankenblatt des Hausarztes der Klägerin von Januar 1994 bis Oktober 1998 regelmäßige Vorsprachen wegen Myalgien und Wirbelsäulensyndromen verzeichnet. Sie focht daraufhin den Versicherungsvertrag unter dem 19.9.2011 wegen arglistiger Täuschung an.

Die Klägerin, die in erster Instanz weder ihre zuletzt ausgeübte berufliche Tätigkeit dargestellt hatte noch Näheres zu dem Maß ihrer gesundheitlichen Beeinträchtigungen vorgetragen hatte, hat behauptet, sie habe nur gelegentlich Massagen wegen Verspannungen im Schulterbereich erhalten. Eine ärztliche Konsultation sei lediglich einmal erfolgt.

Das Landgericht Saarbrücken hat die auf die Verurteilung zur Zahlung einer monatlichen Berufsunfähigkeitsrente von 11.270,96 € nebst Zinsen seit dem 1.1.2011 sowie auf Feststellung der Verpflichtung der Beklagten zur Fortzahlung einer Berufsunfähigkeitsrente „bei andauernder Berufsunfähigkeit“ bis 30.11.2017 gerichtete Klage abgewiesen, weil die Arglistanfechtung der Beklagten erfolgreich sei.

Gegen dieses der Klägerin am 25.5.2012 zugestellte Urteil vom 22.5.2012 wendet sicher die Klägerin mit ihrer am 25.6.2012 eingelegten und nach Verlängerungen der Berufungsbegründungsfrist rechtzeitig am 10.9.2012 begründeten Berufung.

Die Klägerin vertritt die Auffassung, sie habe die Beklagte bei Antragstellung nicht arglistig getäuscht. Die vorvertraglichen Beschwerden, an denen sie gelitten habe, seien weder schwer noch erheblich noch chronisch. Sie habe sich auch nicht regelmäßig in ärztlicher Behandlung befunden.

In den Jahren 1973-2001 sei sie beruflich bei verschiedenen Arbeitgebern kaufmännisch – als kaufmännische Angestellte, als Sekretärin und Büroleiterin. tätig gewesen. Nach zwei Bandscheibenvorfällen habe sie sich beruflich umorientiert. Seit 2004 sei sie bis 2007 mit einer Arbeitszeit von wöchentlich zweieinhalb Stunden als Fingernagelstylistin und im Übrigen mit allen in einem Haushalt anfallenden Arbeiten – wöchentlich 1456 Minuten im Durchschnitt – beschäftigt gewesen. Sie gehe davon aus, dass sie trotz leidensbedingter Veränderungen ihrer beruflichen Tätigkeit „im Rahmen ihrer Haushaltstätigkeit und ihrer Tätigkeit als Fingernagelstylistin … ausreichend tätig gewesen sei. Erst aufgrund einer deutlichen Verschlechterung ihrer gesundheitlichen Lage, vor allem aufgrund starker Schmerzen im Lendenbereich mit Ausstrahlung in die Beine, könne sie keine Arbeiten mehr ausführen, bei denen sie sich bücken müsse, den Körper verdrehen müsste, Lasten heben müsse oder längere Zeit im Sitzen verharren müsse. Auch ihre frühere kaufmännische Tätigkeit, die ein regelmäßig langes Sitzen am Schreibtisch erforderlich gemacht habe, sei ihr nicht mehr möglich.

Die Klägerin beantragt,

1.

die Beklagte zu verurteilen, an sie 12.270,58 € nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz aus 1.022,58 € seit dem 1.1.2011, und jeweils aus dem gleichen Betrag seit dem 1.2.2011, sei dem 1.3.2011, seit dem 1.4.2011, seit dem 1.5.2011, seit dem 1.6.2011, seit dem 1.7.2011, seit dem 1.8.2011, seit dem 1.9.2011, seit dem 1.10.2011, seit dem 1.11.2011 und seit dem 1.12.2011 zu zahlen,

2.

festzustellen, dass die Beklagte bei andauernder Berufsunfähigkeit der Klägerin verpflichtet ist, ab dem 1.1.2012 längstens bis zum 20.11.2017 eine monatliche Berufsunfähigkeitsrente von mindestens 1.022,58 € nebst Zinsen in Höhe von 5%-Punkten über dem Basiszinssatz jeweils zur Fälligkeit zu zahlen, hilfsweise festzustellen, dass der Versicherungsvertrag zwischen den Parteien mit der Versicherungsscheinnummer… nicht durch die Anfechtungserklärung vom 19.9.2011 beendet worden ist sondern vielmehr wie ursprünglich geschlossen fortbesteht, sowie festzustellen, dass die Beklagte die Klägerin von den Beiträgen zu dem Versicherungsvertrag mit der Nummer… ab dem 1.1.2011 freizustellen und eventuell bereits gezahlte Beiträge an sie zu erstatten hat bis zum Ende der Berufsunfähigkeit der Klägerin.

Die Beklagte beantragt, die Berufung zurückzuweisen.

Sie hält die Antragserweiterung in zweiter Instanz für unzulässig und das erstmalige Vorbringen zur beruflichen Tätigkeit der Klägerin für verspätet. Im Übrigen sieht sie sich angesichts der ihr verschwiegenen Arztbesuche und der Dauer der Inanspruchnahme medizinischer Hilfen bei Antragstellung arglistig getäuscht. Die Klägerin hält sie nicht für berufsunfähig.

Der Senat hat Beweis erhoben durch Vernehmung der Zeugen Z. und Dr. K. sowie durch Einholung und Erläuterung eines Gutachtens des Sachverständigen Prof. Dr. …. Auf die Niederschriften der mündlichen Verhandlung vom 27.3.2013 (Bl. 206 ff.) und 27.1.2014 (Bl. 400 ff.) sowie das orthopädisch-unfallchirurgische Sachverständigengutachten vom 29.5.2013 (Bl. 224) wir Bezug genommen.

II.

Die Berufung ist, soweit sie den hilfsweise gestellten Feststellungsantrag betrifft, begründet. Im Übrigen ist sie – ungeachtet des Umstands, dass das angefochtene Urteil rechtsfehlerhaft ist – unbegründet.

1.

Der Klägerin stehen keine Ansprüche aus dem mit der Beklagten geschlossenen Vertrag über eine Berufsunfähigkeitszusatzversicherung zu, weil sie nicht in bedingungsgemäßem Maße, nämlich zu 50 %, berufsunfähig ist.

a.

Die letzte berufliche Tätigkeit der Klägerin in gesunden Tagen, die der Prüfung zugrunde zu legen ist, ob sie sie noch mehr als halbschichtig fortführen kann, setzt sich zusammen aus einer selbständigen Tätigkeit als Fingernagelstylistin zu rund 180 Minuten wöchentlich und aus Hausarbeit zu 1456 Minuten wöchentlich oder 208 Minuten täglich.

Der Klägerin ist es nicht genommen, mit der Berufung erstmals ihre in gesunden Tagen letzte berufliche Tätigkeit zu substantiieren und zu den funktionellen Auswirkungen ihrer Erkrankung vorzutragen.

Das wäre allerdings schon in erster Instanz zur Schlüssigkeit ihrer Klage notwendig gewesen. Dennoch ist ihr Vorbringen in zweiter Instanz nah § 531 Abs. 2 ZPO zuzulassen, weil das Landgericht vor dem Hintergrund der rechtlich nicht haltbaren Annahme einer wirksamen Arglistanfechtung einen entsprechenden Hinweis unterlassen hat.

aa.

Darauf und nicht auf die bis zum Jahr 2011 ausgeübte Tätigkeit als kaufmännische Angestellte ist abzustellen. Allerdings führt ein leidensbedingter Berufswechsel, also die nach und nach erfolgende Zurücknahme des Maßes der bisherigen beruflichen Tätigkeit oder ihre Veränderung durch den Wechsel zu gesundheitlichen noch erträglichen Aufgaben, nicht dazu, dass die in gesunden Tagen zuletzt ausgeübte berufliche Tätigkeit nicht mehr für die Bemessung der Fähigkeit zur Berufsausübung maßgeblich wäre (BGH, Urt.v. 22.9.1993 . IV ZR 203/92 – VersR 1993, 1470; Senat, Urt.v. 13.11.2003 – 5 U 359/12). Andernfalls würde in den Fällen langsam fortschreitender Erkrankungen der Versicherungsfall häufig nicht mehr eintreten, obwohl die gesundheitlichen Beeinträchtigungen des Versicherungsnehmers seine Leistungsfähigkeit in gesunden Tagen längst erreicht oder überschritten haben.

Das gilt jedoch nicht stets. Abgesehen davon, dass die Klägerin selbst vorgetragen hat, sie gehe davon aus, nach Auftreten ihrer Wirbelsäulenerkrankung im Jahr 1999 zu einer einen Versicherungsfall ausschließenden beruflichen Tätigkeit noch in der Lage gewesen zu sein, hat sie sich bewusst beruflich „umorientiert“, eine Kombination aus der selbständigen Arbeit als Fingernagelstylistin und der Führung des ehelichen Haushalts gewählt und war bis zur Anzeige des Versicherungsfalls rund 8 Jahre auf diese Weise tätig. Zwischen einem leidensbedingten Berufswechsel (der es notwendig macht, weiter an Art und Maß der früheren beruflichen Tätigkeit anzuknüpfen) und einem frei gewählten Berufswechsel (der es notwendig macht, an die neue berufliche Tätigkeit anzuknüpfen) kann nur aufgrund einer wertenden Betrachtung aller Umstände des Einzelfalls unterschieden werden. Insoweit kommt es auf die vorgetragenen konkreten Gründe des Berufswechsels und darauf an, ob der frühere Beruf in fachlicher, wirtschaftlicher oder sozialer Hinsicht weiterhin den beruflichen Status des Versicherungsnehmers prägt, oder ob das nicht mehr der Fall ist.

Kaufmännische Kenntnisse und Erfahrungen spielten für die neu gewählte berufliche Tätigkeit der Klägerin zum Zeitpunkt der Anzeige des Versicherungsfalls allenfalls noch am Rande eine Rolle. Die funktionellen Anforderungen ihrer neuen Tätigkeit aber auch deren wirtschaftliche Erträgnisse waren und sind in keiner Weise vergleichbar mit ihrer früheren Tätigkeit als kaufmännische, abhängig tätige Angestellte. Danach kann nicht von einem leidensbedingten Berufswechsel ausgegangen werden.

bb.

Der maßgebliche Beruf der Klägerin beschränkt sich nicht auf ihre selbständige Tätigkeit als Fingernagelstylistin mit einer wöchentlichen Arbeitszeit von 2 1/2 Stunden. Vielmehr ist – zusätzlich und im Wesentlichen – die Versorgung des Haushalts als (Teil-)Beruf anzusehen.

Allerdings versteht das Recht der Berufsunfähigkeitsversicherung unter einem Beruf nur eine – jedoch auch jede – Tätigkeit, die auf Dauer angelegt ist und die der Schaffung oder Erhaltung einer Lebensgrundlage zu dienen bestimmt ist. In einer Haushaltstätigkeit kann ein – versicherter – Beruf gesehen werden, wenn ihre Übernahme – wie hier – auf einer bewussten beruflichen Entscheidung beruht, und unter Aufgabe des bisherigen Berufs zum Lebensunterhalt einer Familie oder Partnerschaft nunmehr ganz oder teilweise und nicht nur vorübergehend aufgrund von Arbeitslosigkeit, der Erziehung von Kindern oder der Pflege von Angehörigen durch Hausarbeit beiträgt und beitragen soll (BGH, Urt.v.30.11.2011 – IV ZR143/10 . VersR 2012, 213 Tz. 30; Prölss/Martin/Lücke, 28. Aufl., § 172 Rdn. 54; VersRHdb/Rixecker, 2. Aufl., 2. Aufl., Rdn. 35,36).  Davon ist nach dem Vorbringen der Klägerin und der Vernehmung ihres Ehemannes, des Zeugen Z., auszugehen.

Danach ist die Klägerin „aus mehreren Gründen“ aus den Unternehmen ihres Ehemannes, in dem sie bis 2001 gearbeitet hat, ausgeschieden, hat sich zunächst arbeitslos gemeldet und, als sie keinen neuen Arbeitsplatz wegen ihres Alters gefunden hat, eine Ausbildung zur Nagelstylistin gemacht, ist so fortan in geringem Umfang tätig gewesen und hat nebenher den Haushalt auch kurze Zeit noch für ihren erwachsenen Sohn, der ihr ein Haushaltsgeld gezahlt habe, geführt, während ihr Ehemann ausschließlich als Immobilienkaufmann tätig gewesen ist und sich nicht an der Hausarbeit beteiligt hat.

Daraus muss abgeleitet werden, dass die Klägerin nicht jede auf die Schaffung einer Lebensgrundlage in wirtschaftlicher Hinsicht gerichtete Tätigkeit aufgegeben hat und folglich nicht aus dem „Berufsleben“ ausgeschieden ist, sondern zu dem „Familieneinkommen“ bewusst durch dauerhafte Übernahme aller Haushaltstätigkeiten beitragen wollte. Wäre unter solchen Umständen der Schutz der Berufsunfähigkeitsversicherung beschränkt auf das Ausscheiden aus dem Beruf erfassende Fälle, in denen der Versicherungsnehmer gesundheitlich zu überhaupt keiner halbschichtigen, ihm nach seinen Kenntnissen und Fähigkeiten möglichen und seiner bisherigen Lebensstellung entsprechenden Tätigkeit mehr imstande ist, wäre nicht nur der gesellschaftliche Wert von Tätigkeiten im Haushalt verkannt und könnte eine mittelbare Diskriminierung von noch in solchen Lebensgestaltungen überwiegend tätigen Frauen vorliegen, sondern es würde auch der vertraglich versprochene Versicherungsschutz vom Versicherungsnehmer nicht ohne Weiteres erkennbar im Laufe des Vertragsverhältnisses vermindert. Das darf nicht sein.

b.

Die Klägerin ist jedoch gesundheitlich nicht außerstande, diese Tätigkeiten in einem prägenden Element oder insgesamt mehr als halbschichtig fortzuführen.

Ihre Behauptung, sie sei zu bestimmten Arbeiten – der Fingernagelmodellage insgesamt und zumindest den mit längerem Sitzen, dem Bücken oder Drehen oder dem Heben schwerer Lasten verbunden Haushaltstätigkeiten gar nicht mehr oder nur noch unter dem zumutbaren Schmerzen in der Lage, hat sie nicht zu beweisen vermocht.

Sie hat zwar in ihrer Anhörung bekundet, sich nicht mehr bücken und Lasten heben zu können. Dadurch sei es ihr verwehrt, die Geschirrspül- und die Waschmaschine zu bedienen sowie bodentiefe Fenster zu putzen, Getränkekisten zu besorgen und Mülltüten zu entsorgen. Bei Drehbewegungen im Haushalt empfinde sie Schmerzen. Das ist von ihrem Ehemann, dem Zeugen Z., bestätigt worden. Er hat ausgeführt, selbst wesentliche Teile der Hausarbeit aufgrund des Leidens seiner Ehefrau übernommen zu haben.

Der Überzeugung (§ 286 ZPO), die Klägerin sei aufgrund ihrer Wirbelsäulenbeschwerden gehindert, als Fingernagelstylistin und im Haushalt zu mehr als 50 % tätig zu sein, steht jedoch das Gutachten des Sachverständigen Prof. Dr. … entgegen, das die Klägerin nicht zu erschüttern vermocht hat.

Der Sachverständige Prof. Dr. … hat unter Auswertung aller ihm auch von der Klägerin vorgelegten Befunde, einschließlich des in der mündlichen Verhandlung vorgelegten MRT-Befundes, ausgeführt, die bildgebende Diagnostik habe lediglich bestimmte strukturell-anatomische physische Veränderungen gezeigt, nämlich eine deutlich altersvorauseilende Höhenminderung zwischen den Wirbeln L5/S1 und eine grenzwertige Höhenminderung zwischen den Wirbeln L4/L5 bei Nachweis eines vor Jahren abgelaufenen Bandscheibenvorfalls L5/S1 und eines im Ausmaß nicht ganz klaren Bandscheibenprolaps L4/L5. Auch die Untersuchung funktioneller Störungen habe lediglich geringgradig nachteilige Abweichungen von den altersentsprechenden Erwartungen ergeben. Hinweise für eine Nervenwurzelkompression lägen – über eine Untersuchungsdauer von mehr als 10 Jahren – ebenso wenig vor wie feststellbare Verschlechterungen oder Veränderungen der die untere Lendenwirbelsäule umgebenden Strukturen. Daher sei die von der Klägerin geschilderte Schmerzsymptomatik objektiv nicht erklärlich. Diese sachverständigen Feststellungen stimmen uneingeschränkt mit allen Vorbefunden überein und sind von der Klägerin als solche auch nicht angegriffen worden.

Daraus hat der Sachverständige zunächst gefolgert, dass die Tätigkeit der Klägerin als Fingernagelstylistin nicht nennenswert eingeschränkt sei. Da diese Tätigkeit im Sitzen ausgeführt werde und dabei eine lange andauernde Haltungskonstanz – im Sinne eines Zwangs zur starren Immobilität – nicht erforderlich sei, könne die Klägerin diese selbständige Tätigkeit fortführen. Insoweit ist im Übrigen zu bedenken, dass die Klägerin ihre Behandlungstermine frei wählen kann, also nicht gezwungen ist, durchgehend 2 1/2 Stunden nacheinander zu arbeiten.

Davon abgesehen hat der Sachverständige – unter Heranziehung eines medizinisch/berufskundlichen Einschätzungskonsenses im Haftpflicht- und Sozialrecht, der bei wertender Betrachtung der funktionellen Auswirkungen der Krankheit der Klägerin durchaus beachtlich ist – lediglich Einschränkungen der Fähigkeit der Klägerin zur Hausarbeit deutlich unter 50 % ihres früheren Einsatzes anzunehmen für vertretbar erachtet und in seinem schriftlichen Gutachten ausgeführt, bei Vermeidung bestimmter Schmerz auslösender Faktoren, also bei Meiden des Hebens schwerer Lasten von 10 kg und mehr, Meiden des Bückens bis auf den Boden ohne Abstützung, Meiden eines mehr als gelegentlichen Verwindens des Körpers und des längeren konstanten Sitzens ohne Wechsel der Position, sei die Klägerin allenfalls zwischen 10 % und (bei bestimmten Gartenarbeiten und bodennahem Fensterputzen) 40 % gehindert.

Dabei handelt es sich um eine prozentuale quantitative Minderung der Arbeitsleistung, die sich im Wesentlichen in der zeitlichen Dauer des möglichen Arbeitseinsatzes niederschlägt. In seiner Anhörung hat er dies dahin unter Erläuterung seines schon in seinem schriftlichen Gutachten erteilten Hinweises auf die Scheingenauigkeit derartiger prozentualer Angaben ergänzt, die Klägerin könne leichte bis mittelschwere Tätigkeiten im Sitzen, Stehen und Gehen vollschichtig ausüben. Auch Arbeiten im Bücken mit starker Vorneigung seien, wenn die Klägerin sich abstützen könne, weiterhin uneingeschränkt möglich.

Dem stehen keine anderen medizinischen Erkenntnisse entgegen. Die Klägerin hat gegen das Sachverständigengutachten – außer ihrer gewiss verständlich subjektiven Bewertung ihre Einschränkungen – nichts ins Gewicht Fallendes vorgetragen.

Soweit die Klägerin früher schwere, über 10 kg hinausgehende Lasten getragen haben sollte – was nicht feststeht – und soweit sie Arbeiten mit erheblicher Rumpfbeugung (vor allem das Ausräumen der Waschmaschine und das Putzen bodentiefer Fenster) vorgenommen hat, handelt es sich nicht um in diesem konkreten Bewegungsablauf ihre Haushaltstätigkeit prägende berufliche Tätigkeiten. Da die Klägerin ihre Haushaltstätigkeiten selbst zeitlich und funktionell organisieren kann, Pausen einlegen kann, ihre Bewegungsabläufe zu kontrollieren und schmerzauslösende Haltungen zu vermeiden vermag, ohne dass der Leistungserfolg beeinträchtigt würde, weil sie zu hebende Gewichte verringern und zumutbare Hilfsmittel einsetzen kann, ist der Senat nicht überzeugt, dass sie den ehelichen Haushalt krankheitsbedingt nur noch allenfalls zur Hälfte führen kann.

2.

Auf den mit der Berufung erstmals zulässigerweise (§ 533 ZPO) erhobenen Hilfsantrag ist festzustellen, dass der Versicherungsvertrag der Parteien fortbesteht, weil der Beklagten das Recht zu seiner Anfechtung wegen arglistiger Täuschung nicht zusteht.

Das folgt zwar nicht daraus, dass seit der Antragstellung der Klägerin im Jahr 1998 bis zur Anfechtungserklärung der Beklagten im Jahr 2011 13 Jahre verstrichen sind.

Insoweit zur Recht hat die angefochtene Entscheidung darauf aufmerksam gemacht, dass ein Recht zur Arglistanfechtung nach 10 Jahren nach § 124 Abs. 3 BGB in der Fassung des am 1.1.2002 in Kraft getretenen Gesetzes zur Modernisierung des Schuldrechts verwirkt ist, diese Frist jedoch nach Art. 229 § 6Abs. 4, 5 EGBGB erst mit dem 1.1.2002 zu laufen begonnen hat.

Die Klägerin hat die Beklagte bei Antragstellung nicht arglistig getäuscht. Von einer arglistigen Täuschung des Versicherers durch den Versicherungsnehmer bei Antragstellung  ist – nur dann – auszugehen, wenn feststeht, dass der Versicherungsnehmer vorsätzlich tatsächliche Umstände vorgespiegelt oder unterdrückt hat, um ihn zur Abgabe seiner Vertragserklärung zu veranlassen. Hat ein Versicherungsnehmer auf Gesundheitsfragen verschwiegen, an welchen Krankheiten, Störungen oder Beschwerden er im erfragten Zeitraum gelitten hat oder leidet, und dass er (ärztlich) untersucht, behandelt oder beraten wurde, so hat er allerdings den Versicherer bewusst in die Irre geführt. Daraus folgt jedoch noch nicht, dass dies arglistig geschehen ist. Davon kann nur dann ausgegangen werden, wenn der Versicherungsnehmer seine bewusst unzutreffenden Angaben nicht plausibel erklären kann oder – aufgrund der Schwere, der Dauer oder der Schadensneigung der verschwiegenen Leiden – auf der Hand liegt, dass seine Irreführung des Versicherers nur auf dem Willen beruhen kann, die Vertragsabschlussbereitschaft der Versicherers zu erreichen.

Davon kann nicht ausgegangen werden. Allerdings hat die Klägerin der Beklagten nicht offenbart, dass die ihren Hausarzt, den Zeugen Dr. K., in den vier der Antragstellung vorausgehenden Jahren mehrfach und auch noch in zeitlicher Nähe zur Antragstellung zu bewegen vermocht hat, Myalgien und Wirbelsäulensyndrome zu diagnostizieren und Massagen zu verordnen. Die Klägerin hat insoweit jedoch vorgetragen, sie habe lediglich an Muskelverspannungen gelitten, die bei einer einzigen Vorsorgeuntersuchung durch ihren Hausarzt festgestellt und zum Anlass einer ersten Massagenverordnung genommen worden seien; in der Folgezeit habe sie lediglich immer einmal wieder die Arztpraxis um Ausstellung eines Folgerezepts gebeten.

Das hat der Zeuge Dr. K. in seiner schriftlichen Aussage vom 30.1.2013 und seiner persönlichen Vernehmung durch den Senat am 27.03.2013 überzeugend bestätigt. Weil die Klägerin sich regelmäßig und lobenswerterweise Vorsorgeuntersuchungen unterzogen und er bei einem dieser Termine eine – von ihm auf die damalige berufliche Tätigkeit zurückgeführte – Schulterverspannung festgestellt habe, über die die Klägerin allerdings gar nicht geklagt habe, und weil die Klägerin ihre „Krankenkasse nie ausgenutzt“ habe, habe er ihr etwas Gutes erweisen wollen und ihr Massagen verordnet. Das sei in den folgenden Jahren mehrfach ohne erneute ärztliche Untersuchung wiederholt worden. Er selbst hätte sie, falls es „wesentlich mehr gewesen“ wäre, an einen Facharzt überwiesen; das habe er nie als notwendig erachtet.

Vor diesem Hintergrund ist es verständlich, dass die Klägerin dieses – im Rahmen der vorvertraglichen Anzeigepflicht durchaus zu offenbarende – Leiden für weniger gewichtig erachtet und gewissermaßen von dem Begriff der angegebenen „Routineuntersuchung“ ohne „Befund“ erfasst betrachtet und – aus ihrer subjektiven Sicht – für den Versicherer nicht bedeutsam erachtet hat. Arglist der Klägerin kann daher nicht angenommen werden.

III.

Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 91,97 ZPO. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 708Nr. 10 Satz 1, § 711 ZPO. Die Revision ist nicht zuzulassen, weil die Voraussetzungen einer Zulassung nach §546 ZPO fehlen. Der Streitwert des Hilfsantrags ist mit dem Streitwert des Hauptantrages nicht zusammenzurechnen (§ 45 Abs. 1 Satz 2 GKG) und beträgt, das der (künftige) Eintritt des Versicherungsfalls ungeklärt ist, 20 % des Streitwertes des Hauptantrags (BGH Beschl.v. 1.12.2004 – IV ZR 150/04 – VersR 2005, 959; Urt.v. 13.12.2000 – IV ZR 279/99 – VersR 2001,601).

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