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Berufsunfähigkeits Zusatzversicherung – Nachprüfungsentscheidung Versicherer

OLG Hamm – Az.: I-20 U 96/17 – Beschluss vom 27.09.2017

Der Senat beabsichtigt, die Berufung der Beklagten gemäß § 522 Abs. 2 S. 1 ZPO zurückzuweisen.

Es wird Gelegenheit gegeben, binnen drei Wochen Stellung zu nehmen.

Gründe

I.

Der Senat ist einstimmig davon überzeugt, dass die Berufung offensichtlich keine Aussicht auf Erfolg hat, die Rechtssache keine grundsätzliche Bedeutung hat, weder die Fortbildung des Rechts noch die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung auf Grund mündlicher Verhandlung erfordern und eine mündliche Verhandlung auch sonst nicht geboten ist.

1. Das Landgericht hat zurecht entschieden, dass die Änderungsmitteilung formell unwirksam war, weil das Gutachten, das Grundlage der Leistungseinstellung war, lediglich unvollständig und teilweise geschwärzt übergeben wurde. Auch die neue, mit der Berufungsbegründung vorgetragene Einstellungsmöglichkeit behebt diesen Mangel nicht.

Die Berufungsangriffe der Beklagten, wegen deren Einzelheiten auf die Berufungsbegründung (GA 186-193) verwiesen wird, greifen daher nicht durch.

a) Es entspricht ständiger Rechtsprechung und der allgemeinen Auffassung in der Literatur, dass die Änderungsmitteilung nicht nur nachvollziehbar begründet sein muss, sondern dem Versicherungsnehmer diejenigen Informationen an die Hand geben muss, die er benötigt, um sein Prozessrisiko abzuschätzen (vgl. nur BGH Urt. v. 17.2.1993 – IV ZR 206/91, BGHZ 121, 284 = juris Rn. 43; BGH Urt. v. 2.11.2005 – IV ZR 15/05, r+s 2006, 205 = juris Rn. 22 m. w. N.; Neuhaus, Berufsunfähigkeitsversicherung, 3. Aufl. 2014, M Rn. 66 f.; Dörner in MüKo-VVG, 2. Aufl. 2017, § 174 Rn. 19; Mertens in Rüffer/Halbach/Schimikowski, VVG, 3. Aufl. 2015, § 174 Rn. 12, 14; Mangen in BeckOK-VVG, 2. Edition, § 174 Rn. 22).

Darüber hinaus ist es allgemein anerkannt, dass der Versicherungsnehmer für die Abschätzung des Prozessrisikos die „unverkürzte Äußerung“ des medizinischen Sachverständigen vom Versicherer zur Verfügung gestellt werden muss (vgl. BGH Urt. v. 17.2.1993 – IV ZR 228/91, r+s 1993, 197 = juris Rn. 12, 23; BGH Urt. v. 12.6.1996 – IV ZR 106/95, r+s 1997, 79 = juris Rn. 12; Dörner in MüKo-VVG, 2. Aufl. 2017, § 174 Rn. 19; Mertens in Rüffer/Halbach/Schimikowski, VVG, 3. Aufl. 2015, § 174 Rn. 13). Neuhaus stellt dabei ausdrücklich und zutreffend – wie auch von der Beklagten in der Berufungsbegründung (Seite 6, GA 191) referiert – klar, was „unverkürzt“ bedeutet: „im vollen Wortlaut […]“ (Neuhaus, Berufsunfähigkeitsversicherung, 3. Aufl. 2014, M Rn. 103).

b) Hier fehlt es an der unverkürzten Übersendung des Gutachtens.

Dies ergibt sich aus der vollständigen Streichung der Zwischen- und Endergebnisse der Selbstbeurteilungstestung zu BDI, MWT-G und Rey Memory. Unerheblich ist es dabei, ob es sich dabei, was die Zeilenzahl angeht, nur um einen „Bruchteil“ des Gutachtens handelt. Die Ergebnisse der Selbstbeurteilungstestung sind wesentlicher, wenn auch möglicherweise nicht entscheidender Bestandteil der Begutachtung und deshalb dem Versicherungsnehmer zugänglich zu machen. Ob die Ergebnisse entscheidend sind, muss die Klägerin selbstständig, gegebenenfalls unter Hinzuziehung fachlicher Hilfe beurteilen können. Vernünftige Gründe für eine Zurückhaltung der Ergebnisse bringt die Beklagte nicht vor. Die Befürchtung zukünftige Testergebnisse könnten von der Klägerin beeinflusst werden, hat die Beklagte hinzunehmen. Ohnehin wird offenbar nicht vollständige Fragen und Antworten gewährt, sondern die Ergebnisse der Tests.

c) Eine den formellen Anforderungen genügende Änderungsmitteilung ist durch die Änderungsmitteilung vom 10.05.2017 (Anl. … 10, GA 194 ff.) nicht nachgeholt.

d) Schließlich liegt auch kein Verfahrensfehler des Landgerichts vor. Dieses hat im Termin zur mündlichen Verhandlung ausdrücklich auf seine Sichtweise und „Tendenz“ hingewiesen (Protokoll vom 04.04.2017 Seite 2, GA 118) und damit dem Anspruch der Beklagten auf rechtliches Gehör genüge getan. Der Sitzungsvertreter der Beklagten hat daraufhin keinen Antrag gestellt, der Beklagten Gelegenheit zur Stellungnahme zu geben.

2. Es sei – ohne dass der Senat darauf für seine Entscheidung abstellt – auch darauf hingewiesen, dass bezüglich der Nachvollziehbarkeit der Vergleichsbetrachtung ebenfalls Bedenken bestehen. Denn bei Betrachtung der dem Anerkenntnis zugrunde liegenden Gutachten / Stellungnahmen einerseits und dem der Änderungsmitteilung zugrunde liegenden Gutachten andererseits entsteht mangels klarer vergleichender Darstellung der für die Schlussfolgerung „leichtgradige rezidivierende Depression“ im neuen Gutachten maßgeblichen Anknüpfungstatsachen der Eindruck, dass der neue Gutachter seinen ärztlichen Beurteilungsspielraum schlicht anders als der Vorgutachter ausgeübt haben könnte, also nur die subjektiven Maßstäbe der Gutachter differieren (vgl. BGH Urt. v. 28.4.1999 – IV ZR 123/98, VersR 1999, 958 = juris Rn. 11; BGH Urt. v. 17.2.1993 – IV ZR 206/91, BGHZ 121, 284 = juris Rn. 47 a. E.; siehe auch m. w. N. Rixecker in Langheid/Rixecker, VVG, 5. Aufl. 2016, § 174 Rn. 9). Sollte eine den Anforderungen genügende vergleichende Darstellung aufgrund ungenügender Tatsachenfeststellung zum Zeitpunkt des Anerkenntnisses ausgeschlossen sein oder nur der Erstgutachter falsch gelegen haben, geht dies zu Lasten der Beklagten, weil die irrtümliche Beurteilung des unverändert gebliebenen Gesundheitszustandes im Nachprüfverfahren nicht rückgängig gemacht werden kann (vgl. BGH Urt. v. 17.2.1993 – IV ZR 228/91, r+s 1993, 197 = juris Rn. 12).

3. Im Übrigen sei – ohne dass dies hier entscheidungserheblich ist – darauf hingewiesen, dass das neue Privatgutachten auf materieller Seite nicht als Grundlage für eine Einstellung geeignet erscheint. Die Begutachtungstiefe und -darstellung genügte nicht den zur Überzeugungsbildung erforderlichen Anforderungen und verkennt offenbar die Beweislast. Denn entgegen den Ausführungen auf Seite 1 des Gutachtens (GA 16) trägt nicht die Klägerin vor, weiterhin berufsunfähig zu sein, sondern die Beklagte trägt vor und muss beweisen, dass die Klägerin nicht mehr berufsunfähig ist. Zudem geht das Gutachten nicht darauf ein, was passieren würde, kehrte die Klägerin in ihren zuletzt in gesunden Tagen ausgeübten Beruf zurück; es ist zu klären, ob dies zu einer Verschlechterung des Zustandes und damit (wieder) zur Berufsunfähigkeit führte. Für eine rückwirkende Beurteilung durch einen Gerichtssachverständigen dürfte es damit zudem an ausreichenden Anknüpfungstatsachen fehlen.

II.

Auf die Gebührenermäßigung für den Fall der Berufungsrücknahme (KV Nr. 1222 GKG) wird hingewiesen.

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