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Berufsunfähigkeits-Zusatzversicherung: Kündigung wegen Verstoß gegen die Nachmeldeobliegenheit

OLG Frankfurt – Az.: 7 U 124/10 – Urteil vom 20.04.2011

Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Landgerichts Frankfurt/M. vom 12.5.2010 wird zurückgewiesen.

Der Kläger hat die Kosten der Berufung zu tragen.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

Der Kläger kann die Vollstreckung der Beklagten durch Sicherheitsleistung in Höhe von 115 % des nach dem Urteil zu vollstreckenden Betrages abwenden, wenn nicht die Beklagte zuvor Sicherheit in Höhe von 115 % des jeweils zur Vollstreckung gebrachten Betrages leistet.

Gründe

I)

Der 1961 geborene Kläger, der aufgrund einer MS-Erkrankung seit … 2008 berufsunfähig ist, macht gegenüber der Beklagten Ansprüche aus einer Berufsunfähigkeits-Zusatzversicherung geltend.

Der Kläger unterzeichnete am … 2005 den von dem Versicherungsagenten A ausgefüllten Antrag auf Abschluss einer Lebens-/Rentenversicherung nebst Berufsunfähigkeits-Zusatzversicherung, wobei streitig ist, ob die Gesundheitsfragen seitens des Agenten vollständig vorgelesen wurden. Die Frage nach Gesundheitsstörungen, Beschwerden etc. in den letzten 5 Jahren wurde ebenso wie die Frage nach ärztlichen Untersuchungen, Beratungen etc. bejaht und insoweit angegeben „Bruch Mittelhand …“ sowie „Riss linkes Außenband Fuß …“. Als Arzt, der am besten über die Gesundheitsverhältnisse Auskunft erteilen könne, wurde Dr. C benannt. Auf die weitere Frage, wann und weshalb in Anspruch genommen, wurde … /2003 Riss des Außenbandes angegeben. Die Beklagte übersandte dem Kläger daraufhin ein Änderungsangebot nebst Kundeninformation, das eine Ausschlussklausel in Hinblick auf den erlittenen Bänderriss enthält und von dem Kläger am …2005 unterzeichnet wurde. Die Beklagte stellte daraufhin am …2005 den Versicherungsschein aus.

Zum Zeitpunkt der Antragsunterzeichnung war der Kläger krankgeschrieben (… – …2005). Unstreitig hatte er dem Versicherungsagenten A mitgeteilt, dass er unter Kribbeln in den Fingerspitzen leide und der Verdacht eines Zeckenbisses bestehe. Wegen des Kribbelns in den Händen hatte sich der Kläger zu seinem Hausarzt Dr. C begeben. Der Hausarzt überwies den Kläger am …2005 zum Neurologen wegen Kraftlosigkeit im linken Arm. Des Weiteren erfolgte eine Überweisung zum Radiologen Dr. B, weil sich die Kribbelgefühle beim Beugen des Kopfes verstärkten und teilweise bis in die Beine ausstrahlten. Am …2005 führte Dr. B ein MRT der HWS durch. In seinem Bericht an den Hausarzt Dr. C führte er aus, dass der dringende Verdacht auf Demyelisierungsherd des Halsmarkes bestehe und empfahl ein MRT des Schädels, das am …2005 durchgeführt wurde. In der Zeit vom … bis …2005 befand sich der Kläger in stationärer Behandlung in den Städtischen Kliniken in O1, wo u.a. nach einer Lumbalpunktion eine Cortisontherapie mittels Infusionen durchgeführt und dem Kläger empfohlen wurde, sich künftig von einem Neurologen betreuen zu lassen. Anschließend war der Kläger noch vom … bis …2005 krankgeschrieben.

Dass es sich bei dem Kribbeln um die Anfänge einer Multiplen Sklerose gehandelt habe, will der Kläger erstmals Anfang 2006 von der Neurologin Dr. D erfahren haben. Demgegenüber hat die Beklagte behauptet, dass dem Kläger die Diagnose MS sowohl von der Neurologin Dr. D am …2005 als auch anlässlich seines Krankenhausaufenthaltes in O1 mitgeteilt worden sei.

Im Jahre 2008 kam es zu einem schubförmigen Ausbruch der Krankheit. Der Kläger machte daraufhin am 16.9.2008 Ansprüche aus der Berufsunfähigkeits-Zusatzversicherung gegenüber der Beklagten geltend, die eine Auskunft der Krankenkasse sowie einen Arztbericht von Dr. D einholte.

Mit Schreiben vom 17.12.2008 trat die Beklagte wegen Verletzung der vorvertraglichen Anzeigepflicht von der Zusatzversicherung zurück und erklärte zugleich die Anfechtung. Der Kläger beauftragte daraufhin seinen jetzigen Prozessbevollmächtigten mit der Wahrnehmung seiner Rechte. Nach weiterem Schriftverkehr und der Einholung ergänzender Auskünfte (Arztbericht Dr. C vom 5.2.2009 / Befundbericht der Städtischen Kliniken O1) bekräftigte bzw. erklärte die Beklagte mit Schreiben vom 2.3.2009 erneut den Rücktritt von der Berufsunfähigkeits-Zusatzversicherung sowie die Anfechtung.

Das Landgericht hat den Kläger in der mündlichen Verhandlung vom 2.12.2009 angehört und durch Urteil vom 12.5.2010 – auf dessen Inhalt (Bl. 246 ff d.A.) wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes Bezug genommen wird – die Klage abgewiesen. Zur Begründung hat es ausgeführt, dass dem Kläger kein Anspruch auf bedingungsgemäße Leistungen aus der Berufsunfähigkeits-Zusatzversicherung zustehe, da die Beklagte wirksam vom Versicherungsvertrag zurückgetreten sei und § 21 VVG nicht eingreife. Da der Versicherungsfall vor dem 31.12.2008 eingetreten sei, gelte sowohl für die tatbestandlichen Voraussetzungen als auch für die Rechtsfolgen das VVG alter Fassung. Gemäß § 16 VVG a.F. bestehe die vorvertragliche Anzeigepflicht bis zum Vertragsschluss. Insoweit sei der Kläger verpflichtet gewesen, den Krankenhausaufenthalt sowie die damit verbundene Diagnose und Behandlung anzugeben. Darauf, ob ihm die Diagnose MS zu diesem Zeitpunkt bekannt gewesen sei, komme es nicht an. Der Kläger hätte sich bereits aufgrund der ihm mitgeteilten Nervenentzündung, die eine Cortisonbehandlung sowie die Empfehlung, sich einer neurologischen Betreuung zu unterziehen zur Folge gehabt habe, zu einer Unterrichtung der Beklagten aufgerufen fühlen müssen.

Hiergegen wendet sich der Kläger mit der Berufung. Er rügt die Verletzung materiellen Rechts sowie fehlerhafte Tatsachenfeststellung.

Zwar treffe es zu, dass die tatbestandlichen Voraussetzungen der Verletzung der Anzeigepflicht an § 16 VVG a.F. zu messen seien. Demgegenüber seien die Rechtsfolgen nach neuem Recht zu beurteilen. Dies ergebe sich aus Art. 1 II EGVVG, der nur auf den Versicherungsfall – „insoweit“ – die Anwendung alten Rechts postuliere. Der Gesetzgeber habe die befristete Fortdauer des alten Rechts nur auf den Leistungsfall als solchen beschränken wollen. Die Rücktritts- und Anfechtungserklärung der Beklagten vom 17.12.2008 sei daher unwirksam, weil die Beklagte sich nicht über die anwendbaren Alternativen des § 19 II – IV VVG erklärt habe. Auf die weitere Erklärung mit Schreiben vom 2.3.2009 könne die Beklagte sich ohnehin nicht stützen, da ihr keine neuen Erkenntnisse vorgelegen hätten, die einen eigenen Rücktritts- oder Anfechtungsgrund bilden könnten.

Indem er den Agenten über die ihm bekannten Symptome informiert habe, sei er seinen gesetzlichen Obliegenheiten nachgekommen. Auch im Rahmen des Änderungsangebotes sei er nur verpflichtet gewesen, ggf. auf weitere Fragen zu antworten. Im Übrigen beruhe das Urteil auf der Unterstellung, dass er nach der stationären Behandlung gewusst habe, dass das Kribbeln nicht auf einem Zeckenbiss beruhe, sondern eine behandlungsbedürftige Entzündung darstelle. Dass die Cortisonbehandlung zur Bekämpfung der Entzündung gedient habe, habe er von den Klinikärzten nicht erfahren. Nach der Lumbalpunktion sei ihm lediglich erklärt worden, dass das Ergebnis „positiv“ sei. Gleichzeitig sei klargestellt worden, dass dies auch bei Gesunden vorkomme. Angesichts derart unklarer und unvollständiger Auskünfte fehle es jedenfalls am erforderlichen Verschulden.

Der Kläger beantragt, unter Abänderung des angefochtenen Urteils die Beklagte zu verurteilen,

1. an ihn eine vierteljährliche Rente von 2.955,- Euro zu zahlen, erstmals zum 1.6.2008, längstens bis zum Ablauf der vertraglichen Leistungszeit am 1.6.2026, abzüglich am 17.12.2008 gezahlter 1.337,30 Euro;

2. festzustellen, dass die Beklagte verpflichtet ist, ihn in der bei ihr bestehenden Rentenversicherung mit Berufsunfähigkeits-Zusatzversicherung zur Versicherungsscheinnummer … mit Wirkung ab dem 1.6.2008 freizustellen;

3. die Beklagte zu verurteilen, an ihn weitere 1.747,40 Euro an eingezogenen Versicherungsprämien für die Zeit von Oktober 2008 bis Mai 2009 zu zahlen, zuzüglich Prozesszinsen von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz p.a. hieraus ab Rechtshängigkeit;

4. die Beklagte zu verurteilen, an ihn Verzugszinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz p.a. aus jeweils 2.955,- Euro ab dem 2. Werktag des Oktober, Januar, April und Juli jeden Jahres zu zahlen, erstmalig für die Zeit ab 02.10.2010, letztmalig ab dem 02.06.2026 soweit die Beklagte die im Klageantrag zu 1. enthaltene vierteljährliche Rente nicht zum ersten Werktag eines jeden Kalendervierteljahres gezahlt hat;

5. die Beklagte zu verurteilen, an ihn vorgerichtliche Kosten der Rechtsverfolgung in Höhe von 2.015,38 Euro zuzüglich Verzugszinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz p.a. hieraus ab dem 12.6.2009 zu zahlen.

Die Beklagte beantragt, die Berufung zurückzuweisen.

Die Beklagte verteidigt das angefochtene Urteil.

Das Landgericht habe zu recht das VVG alter Fassung angewendet. Die vom Kläger behauptete Aufspaltung des Rechts lasse sich Art. 1 EGVVG nicht entnehmen. Im Übrigen sei der Rücktritt auch bei Anwendung von § 19 VVG n.F. wirksam.

Der Kläger habe bereits bei Antragstellung unzutreffende, nämlich bagatellisierende Angaben gemacht. Das Bestreiten des Klägers, dass ihm die Antragsfragen nicht vollständig vorgelesen worden seien, sei unsubstantiiert. Der Kläger habe unstreitig verschwiegen, dass er zum Zeitpunkt der Antragstellung arbeitsunfähig krankgeschrieben gewesen sei, nicht nur unter Parästhesien in den Fingern, sondern auch unter Kraftlosigkeit des linken Arms gelitten habe und bereits am …2005 eine Überweisung zum Neurologen erfolgt gewesen sei.

Darüber hinaus habe der Kläger – unabhängig von der Kenntnis der Diagnose – seine Nachmeldeobliegenheit verletzt. Wie der Kläger selbst bei seiner Anhörung eingeräumt habe, sei ihm nach der MRT-Untersuchung der HWS zumindest mitgeteilt worden, dass Entzündungen vorhanden seien. Seit …2005 sei er von der neurologisch-psychiatrischen Praxis Dres. E/D mitbehandelt worden. Am …2005 sei ein MRT des Schädels erfolgt. Bei seinem stationären Aufenthalt sei der Kläger nach seiner eigenen Einlassung zumindest darüber aufgeklärt worden, dass bei ihm eine Entzündung vorliege und er sich deshalb in neurologische Behandlung begeben müsse. Insofern habe der Kläger gewusst, dass das Kribbeln auf einer Nervenentzündung beruhe. Auch nach seiner Entlassung aus dem Krankenhaus sei der Kläger wegen Enzephalitis krankgeschrieben gewesen.

Im übrigen wiederholt die Beklagte ihren Vortrag, dass der Kläger über die Diagnose MS aufgeklärt worden sei, und bezieht sich zusätzlich auf den Zeugen Dr. B zum Beweis dafür, dass dieser den von ihm gehegten Verdacht einer MS mit dem Kläger besprochen habe.

Der Senat hat den Kläger in der mündlichen Verhandlung vom 16.3.2011 persönlich angehört.

II)

Die zulässige Berufung des Klägers hat in der Sache keinen Erfolg.

Dem Kläger steht gegenüber der Beklagten kein Anspruch auf bedingungsgemäße Leistungen aus der Berufsunfähigkeits-Zusatzversicherung zu. Die Beklagte ist wirksam mit Schreiben vom 17.12.2008 vom Versicherungsvertrag betreffend die Berufsunfähigkeits-Zusatzversicherung wegen Verletzung der vorvertraglichen Anzeigepflicht gemäß §§ 16, 17 VVG a.F. zurückgetreten. § 21 VVG a.F. greift nicht ein, da der Versicherungsfall aufgrund der den verschwiegenen Befunden zugrunde liegenden MS-Erkrankung eingetreten ist.

Da es sich um einen sog. Altvertrag handelt und der Versicherungsfall vor dem 31.12.2008 eingetreten ist, gilt gemäß Art. 1 II EGVVG das VVG alter Fassung, und zwar sowohl hinsichtlich der tatbestandlichen Voraussetzungen der Anzeigepflichtverletzung als auch deren Rechtsfolgen.

Darüber, dass die tatbestandlichen Voraussetzungen einer Anzeigepflichtverletzung bei einem Altvertrag nach §§ 16,17 VVG a.F. zu beurteilen sind, herrscht Einigkeit (vgl. Prölss/Martin, VVG-Komm., 28. Aufl., Art. 1 EGVVG Rz. 9; Schneider VersR 2008, 859). Dies stellt auch der Kläger nicht in Abrede. Entgegen der Auffassung des Klägers gilt jedoch auch für den Rücktritt das VVG a.F. In der Gesetzesbegründung (vgl. BT-Drucksache 16/3945, S. 118) heißt es zu Art. 1 II EGVVG, dass bei Eintritt des Versicherungsfalls bis zum 31.12.2008 auf die sich hieraus ergebenden Rechte und Pflichten der Vertragsparteien weiterhin das VVG a.F. anwendbar sei. Danach ist die Anknüpfung an den Eintritt des Versicherungsfalls rein formal als zeitliche Schranke zu verstehen. Für noch im Jahre 2008 eingetretene Versicherungsfälle wird insoweit die Anwendung alten Rechts perpetuiert; dies gilt jedenfalls soweit es sich um materiell-rechtliche Vorschriften handelt (vgl. Prölss/Martin, a.a.O., Art. 1 Rz. 16; Muschner in Rüffer/Halbach/Schimikowski, Versicherungsvertragsgesetz, Art. 1 EGVVG Rz. 10; LG Dortmund VersR 2010, 515). Ob und ggf. unter welchen Voraussetzungen bei Eintritt des Versicherungsfalls in 2008 und Ausübung des Rücktrittsrechts in 2009 neues Recht anwendbar ist, wird – soweit ersichtlich – allein von Grote/Finkel (VersR 2009, 312) problematisiert. Wie der Kläger selbst ausführt, ist vorliegend jedoch auf den mit Schreiben vom 17.12.2008 erklärten Rücktritt abzustellen, da das Schreiben vom 2.3.2009 keine neuen Rücktrittsgründe enthält, sondern lediglich den bereits erklärten Rücktritt nochmals bekräftigt.

Der Kläger hat gegen die ihm bis zum Vertragsschluss obliegende Anzeigepflicht verstoßen, da er jedenfalls seiner Nachmeldeobliegenheit nicht nachgekommen ist.

Gemäß § 16 VVG a.F. hat der Versicherungsnehmer bei Schließung des Vertrages alle ihm bekannten Umstände, die für die Übernahme der Gefahr erheblich sind, dem Versicherer anzuzeigen, wobei ein Umstand, nach dem der Versicherer ausdrücklich und schriftlich fragt, im Zweifel als erheblich gilt.

Auf die Frage, bestehen oder bestanden in den letzten 5 Jahren Gesundheitsstörungen, Beschwerden, Verletzungen oder Infektionen, die sodann im Klammerzusatz auf eine Reihe von Organen bzw. Krankheitsbilder – u.a. auch Gehirn, Nervensystem – bezogen werden, wurde lediglich der Mittelhandbruch und der Außenbandriss am Fuß im Versicherungsantrag eingetragen. Gleiches gilt soweit nach ärztlichen Untersuchungen, Beratungen etc. in den letzten 5 Jahren bzw. danach gefragt wurde, ob ärztliche Untersuchungen vorgesehen sind. Tatsächlich litt der Kläger jedoch zum Zeitpunkt der Antragstellung unter Kribbelparästhesien in den Fingerspitzen und einer Kraftlosigkeit des linken Armes, weshalb er auch seinen Hausarzt aufgesucht hatte, der ihn bereits am …2005 zum Neurologen überwiesen hatte. Nach seinem eigenen Vortrag in der Klageschrift verstärkten sich des weiteren die Kribbelgefühle beim Beugen des Kopfes bis in die Arme, weshalb sein Hausarzt auch eine orthopädische Abklärung für notwendig erachtet hatte. Die vorstehenden Beschwerden und (beabsichtigten) Arztbesuche hätte der Kläger angeben müssen. Dass dem Kläger die Fragen hinreichend zur Kenntnis gebracht wurden, ergibt sich bereits daraus, dass der Kläger sich aufgerufen sah, den Agenten A mündlich, wie unstreitig geschehen, über das Kribbeln in den Fingerspitzen – den insoweit bestehenden Verdacht eines Zeckenbisses – und den Besuch bei seinem Hausarzt zu unterrichten. Da der Agent Auge und Ohr des Versicherers ist, ist zwar alles, was diesem mitgeteilt wird, auch zur Kenntnis des Versicherers gelangt (vgl. Römer, VVG-Komm., 2. Aufl., § 16 Rz. 21). Der Versicherer muss sich insofern die Kenntnis der – abweichend vom schriftlichen Antrag – mündlich gemachten Angaben zurechnen lassen. Ein kollusives Zusammenwirken zwischen dem Kläger und dem Agenten A liegt nicht vor, da der Kläger auf die Beratung seitens A, dass das Kribbeln in den Fingerspitzen nicht anzeigepflichtig sei, vertraut hat.

Ob der Kläger allein aufgrund der Mitteilung – er leide unter Kribbeln in den Fingerspitzen und es bestehe der Verdacht eines Zeckenbisses – seiner Anzeigepflicht zum Zeitpunkt der Antragstellung nachgekommen ist oder aber eine dem tatsächlichen Krankheitsbild nicht gerecht werdende Verharmlosung vorliegt, da insbesondere die Kraftlosigkeit des linken Arms sowie die insoweit erfolgte Überweisung zum Neurologen nicht angegeben worden sind, erscheint fraglich. Auch wenn die angegebenen Beschwerden möglicherweise als Hinweis auf einen neurologischen Befund zu deuten waren, lag jedenfalls keine umfassende, zutreffende Unterrichtung des Agenten vor. Letztlich mag dies dahingestellt bleiben.

Der Kläger hat jedenfalls gegen die – nach altem Recht – bis zum Vertragsschluss bestehende Nachmeldeobliegenheit verstoßen.

Der Kläger hat nachträglich im Rahmen der MRT-Untersuchungen am …2005 und …2005 sowie anlässlich des stationären Aufenthaltes in den Städtischen Kliniken O1 im … 2005 Kenntnis von Umständen mit erheblichem Gewicht erlangt, deren Bedeutung für den Versicherer sich ihm aufdrängen musste. Dass der Kläger erst Anfang 2006 erstmals Kenntnis von der Diagnose der MS-Erkrankung erhalten haben will, kann daher dahingestellt bleiben.

Wie der Kläger anlässlich seiner Anhörung vor dem Landgericht bzw. dem Senat eingeräumt hat, ist ihm nach Durchführung der MRT-Untersuchungen mitgeteilt worden, dass sowohl im Spinalkanal als auch im Gehirn Entzündungen vorhanden waren, die mit einer Cortison-Infusion im Krankenhaus behandelt werden mussten. Wie er weiter ausgeführt hat, habe die Cortisonbehandlung dazu geführt, dass die Entzündungen abgeklungen seien, d.h. die Entzündungsherde seien nicht mehr aktiv gewesen und auch das Kribbeln sei verschwunden. In Bezug auf das positive Ergebnis der Lumbalpunktion soll dem Kläger zwar mitgeteilt worden sein, dass dies auch bei Gesunden vorkomme. Der Kläger wusste jedoch, dass die Entzündungsherde auch nach der Cortisonbehandlung noch vorhanden und lediglich derzeit nicht aktiv waren. Er hat auch eingeräumt, dass er sich nach dem Rat der Ärzte im Krankenhaus in weitere neurologische Betreuung begeben sollte.

Danach hat der Kläger nachträglich Kenntnis davon erlangt, dass bei ihm ein krankhafter Befund von erheblichem Gewicht – nämlich einer Entzündung der Nerven – vorlag, der lediglich symptomatisch behandelt werden konnte. Diese ihm bekannt gewordenen Umstände, deren Gefahrerheblichkeit auf der Hand liegt, hätte der Kläger der Beklagten mitteilen müssen. Nach § 16 VVG a.F. bestand bis zum Vertragsschluss die sog. Nachmeldeobliegenheit, welche der Kläger auch schuldhaft verletzt hat.

Zwar kann nicht davon ausgegangen werden, dass die sog. Nachmeldeobliegenheit einem durchschnittlichen Versicherungsnehmer ohne weiteres bekannt ist. Voraussetzung für die Bejahung einer Verletzung der Nachmeldeobliegenheit ist daher, dass der Versicherungsnehmer bei Aufnahme des Antrages ausdrücklich über sie belehrt worden ist oder es sich jedenfalls um nachträglich eingetretene oder festgestellte erhebliche Verschlechterungen seines Gesundheitszustandes handelt, deren Bedeutung für den Versicherer sich ihm aufdrängen muss (vgl. OLGR Saarbrücken 2007, 898; OLG Köln VersR 2007, 1502). An einer ausdrücklichen Belehrung fehlt es vorliegend zwar. Der Kläger hat jedoch nachträglich Kenntnis von Umständen mit erheblichem Gewicht erlangt, deren Bedeutung für den Versicherer sich ihm aufdrängen musste.

Zum Zeitpunkt der Antragstellung war die Ursache der Kribbelparästhesien unklar. Es bestand zwar der Verdacht, dass Ursache der Beschwerden ein Zeckenbiss sein könne, was als Hinweis auf eine ernsthafte neurologische Erkrankung zu deuten sein konnte, dem Kläger aber offensichtlich nicht bewusst war. Alternativ war auch eine orthopädische Ursache – im Sinne eines Cervikalsyndroms – in Betracht zu ziehen.

Anlässlich der MRT-Untersuchungen sowie des Krankenhausaufenthaltes hat der Kläger jedoch nachträglich Kenntnis davon erlangt, dass bei ihm eine schwerwiegende neurologische Erkrankung – nämlich eine Nervenentzündung im Rückenmark und Gehirn – vorlag, die nur symptomatisch behandelt würde und mithin jederzeit wieder auftreten konnte. Bei Anwendung der gebotenen Sorgfalt muss jedem durchschnittlichen Versicherungsnehmer klar sein, dass die nachträgliche Feststellung einer solchen schwerwiegenden Erkrankung dem Versicherer anzuzeigen ist. Dies gilt erst recht vor dem Hintergrund, dass die Beklagte in Hinblick auf den Bänderriss im Jahre 2003 auf der Vereinbarung einer Ausschlussklausel bestanden hatte. Insofern wurde dem Kläger vor Augen geführt, dass die Beklagte auch bei scheinbar ausgeheilten Krankheiten nicht bereit ist, das Risiko im Rahmen der Berufsunfähigkeits-Zusatzversicherung zu übernehmen.

Der Kläger war der Nachmeldeobliegenheit auch nicht deshalb enthoben, weil er – wie er meint – seinen Anzeigepflichten bereits hinreichend durch die mündliche Unterrichtung des Agenten A bei Antragsaufnahme nachgekommen sei. Wie bereits ausgeführt, hat der Kläger den Agenten A jedenfalls nicht umfassend unterrichtet. Selbst wenn man davon ausgeht, dass die Angaben des Klägers gegenüber dem Agenten A – objektiv betrachtet – bereits hinreichenden Anlass für weitere Nachfragen im Rahmen einer Risikoprüfung gegeben hätten, kann der Kläger sich hierauf nicht berufen. Nachdem der Kläger Kenntnis von dem Vorliegen einer schwerwiegenden neurologischen Erkrankung erlangt hatte, war seinem Vertrauen auf den Rat des Agenten A, das Kribbeln in den Fingerspitzen stelle eine so banale Beschwerde dar, dass sie nicht anzeigepflichtig sei, die Grundlage entzogen. Die sog. Nachfrageobliegenheit des Versicherers beruht auf dem Grundsatz von Treu und Glauben (vgl. Römer, VVG-Komm., 2. Aufl., §§ 16, 17 VVG Rz. 35). Dem Versicherer, der bei der Schließung des Vertrages die Klärung erkennbar widersprüchlicher, unzulänglicher oder gar falscher Angaben seines künftigen Vertragspartners zurückstellt, ist es verwehrt, diese nach Eintritt des Versicherungsfalls zum Anlass für einen leistungsbefreienden Rücktritt zu nehmen. Das Unterlassen einer ordnungsgemäßen Risikoprüfung, die nur bei Schließung des Vertrages vorgenommen werden kann, nimmt dem Versicherer daher die Rücktrittsberechtigung (vgl. BGH VersR 1995, 80). Zu einer Risikoprüfung wäre die Beklagte jedoch erst durch eine nachträgliche Unterrichtung im Rahmen der sog. Nachmeldeobliegenheit in der Lage gewesen, was für den Kläger auch offenkundig war. Der Beklagten ist es daher nicht verwehrt, ihren Rücktritt auf die seitens des Klägers verschwiegenen Beschwerden zu stützen.

Danach war die Beklagte zum Rücktritt von der Berufsunfähigkeits-Zusatzversicherung berechtigt.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 I ZPO.

Die Entscheidungen über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgen aus §§ 708 Nr. 10, 711 ZPO.

Die Revision war nicht zuzulassen, da die hierfür erforderlichen Voraussetzungen gemäß § 543 II ZPO nicht gegeben sind. Hinsichtlich der Frage, ob die Voraussetzungen eines noch im Jahr 2008 erklärten Rücktritts bei einem Altvertrag nach dem VVG a.F. zu beurteilen sind, liegen keine Entscheidungen anderer Gerichte vor, die eine vom Senat abweichende Rechtsauffassung vertreten. Im Übrigen handelt es sich hinsichtlich der Frage der Verletzung der Anzeigepflicht gemäß § 16 VVG a.F. um eine Einzelfallentscheidung, der keine grundsätzliche Bedeutung zukommt. Nach neuem Recht besteht keine Nachmeldeobliegenheit mehr.

Der nicht nachgelassene Schriftsatz des Klägers vom 5.4.2011 gab keinen Anlass erneut in die mündliche Verhandlung einzutreten, da er nur Rechtsausführungen enthält.

 

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