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Berufsunfähigkeits-Zusatzversicherung: Berufsunfähigkeit wegen psychischer Störung

LG Arnsberg, Az.: 2 O 26/13, Urteil vom 29.01.2016

Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger 81.907,36 EUR nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz aus einem Teilbetrag von 33.726 56 seit dem 01.05.2011, aus einem Teilbetrag von jeweils weiteren 2.409,04 EUR seit dem 1. eines jeden Monats ab dem 01.06.2011 bis einschließlich 01.01.2013 zu zahlen.

Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger aus der Berufsunfähigkeitszusatzversicherung zur Versicherungsscheinnummer 000 000 000 beginnend ab Februar 2013 bis längstens 30.04.2028 bis zum 1. eines jeden Monats jeweils eine Berufsunfähigkeitsrente in Höhe von 2.299,44 EUR nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz, und zwar ab dem 2. des jeweiligen Monats, zu zahlen.

Die Beklagte wird verurteilt, den Kläger von der Prämienzahlungspflicht für die Risikolebensversicherung, für die Berufsunfähigkeitszusatzversicherung und für die Unfallzusatzversicherung zur Versicherungsscheinnummer 000 000 000 beginnend ab dem 01.02.2013 bis längstens zum 30.04.2028 freizustellen.

Die Kosten des Rechtsstreits trägt die Beklagte.

Das Urteil ist gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages vorläufig vollstreckbar.

Tatbestand

Die Parteien streiten über Ansprüche des Klägers aus einer Berufsunfähigkeitsversicherung.

Der Kläger ist Inhaber des Bestattungshauses B in N. Er arbeitete zunächst von Montag bis Freitag regelmäßig 9 Stunden, samstags regelmäßig 4 Stunden, am Sonntag bei Bedarf und war sonst im Rahmen des Notdienstes Tag und Nacht erreichbar. Er übte die in der Klageschrift (auf Bl. 4-9 der Akte) aufgeführten Tätigkeiten aus, die insbesondere die Bereiche Bestattungsvorsorge, Kundenkontakt, Vorbereitung und Durchführung von Bestattungen, Beurkundungen sowie Buchhaltung/Rechnungswesen und allgemeine Besorgungen umfassten. Wegen der Einzelheiten und des zeitlichen Umfangs der Tätigkeiten wird auf die Klageschrift (Bl. 4-9 der Akte) verwiesen.

Am 07.06.2006 schloss der Kläger bei der Beklagten die streitgegenständliche Berufsunfähigkeitszusatzversicherung zu einer Risikolebensversicherung mit Unfallzusatzversicherung unter der Versicherungsnummer 000 000 000 mit einer Laufzeit bis zum 30.04.2028 ab. Vereinbart war, dass der Kläger bei einer Berufsunfähigkeit von mindestens 50 % ab dem 01.05.2009 eine monatliche Berufsunfähigkeitsrente in Höhe von 2.299,44 EUR beziehen und eine Befreiung von den Prämien in Höhe von 109,60 EUR verlangen können sollte. Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf den Versicherungsschein (Anlage K 1) sowie auf die Versicherungsbedingungen (Anlage K 3) verwiesen.

Ende 2009 wurde der Kläger wegen psychischer Erkrankungen arbeitsunfähig. Er ist seit dem 12.03.2010 ununterbrochen krankgeschrieben.

Mit Antrag vom 13.09.2010 (Anlage K 14) machte der Kläger erstmalig Ansprüche aus der Berufsunfähigkeitsversicherung bei der Beklagten geltend. Die Beklagte beauftragte den Zeugen Dr. L sowie die Dipl.-Psychologin S mit der Erstellung eines Gutachtens zur Berufsunfähigkeit des Klägers. Der Zeuge Dr. L kam in seinem Gutachten vom 14.03.2011 (Anlage K 15) unter Einbeziehung der Ergebnisse aus dem neuropsychologischen Zusatzgutachten der Dipl.-Psych. S (Anlage K 16) zu dem Schluss, dass bei dem Kläger allenfalls eine leichte depressive Symptomatik und eine nur geringfügige Beeinträchtigung der Berufsfähigkeit vorlägen. Er stützte sich dabei im Wesentlichen darauf, dass die Beschwerden, die von dem Kläger in der Untersuchung und im Rahmen der von der Dipl.-Psych. S durchgeführten Tests geschildert wurden, zwar unter anderem zu einer schweren Depression gepasst hätten, sich aber im Rahmen einer Beschwerdevalidierung erhebliche Diskrepanzen zwischen den Angaben des Klägers und den Ergebnissen der neuropsychologischen Diagnostik ergeben hätten. Der Kläger habe starke Aggravationstendenzen erkennen lassen; die vorgetragenen Beschwerden seien nicht schlüssig gewesen.

Unter Bezugnahme auf das Gutachten des Zeugen Dr. L lehnte die Beklagte mit Schreiben vom 13.04.2011 den Leistungsantrag des Klägers ab.

Der Kläger behauptet, er befinde sich wegen seiner Beschwerden seit Oktober 2007 in Behandlung bei verschiedenen Ärzten und Psychotherapeuten, momentan noch bei Herrn Dr. med. I in N. Wegen der weiteren Einzelheiten zu den behaupteten Behandlungen wird auf Bl. 14 der Akte verwiesen.

Der Kläger behauptet, an folgenden Erkrankungen zu leiden, die bei ihm auch diagnostiziert worden seien:

  • Sozialphobie
  • rezidivierende mittelgradige bis schwere depressive Episoden
  • bipolare affektive Störung
  • ADHS-Störung
  • Zwangsgedanken und Zwangshandlungen gemischt
  • Panikstörung
  • akzentuierte, narzisstische Persönlichkeitsstörung
  • psychotische Symptome
  • Aktivitäts- und Aufmerksamkeitsstörung
  • Cluster-Kopfschmerz
  • häufiger Juckreiz

Er behauptet, dass sich folgende Symptome dieser Krankheiten zeigten:

Schlafstörungen; Konzentrationsstörungen; Antriebslosigkeit; Kraftlosigkeit; Energielosigkeit; schnelle Ermüdbarkeit; geringes Durchhaltevermögen; keine Entscheidungsfähigkeit; sinnloses Gedankenkreisen; zwanghaftes Überprüfen von bereits abgeschlossenen Tätigkeiten, Räumen, Türen, Wasserhähnen, Lichtschaltern; Unfähigkeit, angefangene Tätigkeiten zu Ende zu führen; Gefühl der Überforderung; Gereiztheit; Angespanntheit; Wutausbrüche; Vergesslichkeit; Angewidertheit von trauernden Menschen; Ängste, mit Menschen in Kontakt zu treten; Empathielosigkeit; innerliche Unruhe; Freudlosigkeit; Perspektivlosigkeit; Interessenlosigkeit; Stressanfälligkeit; ständiges Grübeln; zählen von Gegenständen; häufiger Zwang zum Waschen der Hände aufgrund von Verschmutzungsbefürchtungen; sozialer Rückzug; Schwindel; Cluster-Kopfschmerz; extreme Stimmungsschwankungen; mangelnde Impulskontrolle; Panikattacken.

Der Kläger behauptet, er könne einen Großteil der Arbeiten, die er vor seiner Erkrankung ausgeübt habe, nunmehr überhaupt nicht mehr durchführen, teilweise nur noch zu 50 %. Wegen der Einzelheiten zu den behaupteten Einschränkungen bei den jeweiligen Tätigkeiten wird auf die Ausführungen des Klägers in der Klageschrift (Bl. 16 f. der Akte) verwiesen.

Wegen der Einschränkungen durch die Erkrankung habe der Kläger seinen Betrieb komplett umgestellt; insbesondere übernähmen nunmehr vor allem der Lebensgefährte des Klägers, D U, und Herr V H den Großteil der früher von dem Kläger durchgeführten Arbeiten (wie auf Bl. 23 ff. d. A. dargestellt). Der Kläger behauptet, er selbst sei nur noch etwa zwei Stunden pro Tag mit Verwaltungsangelegenheiten beschäftigt. Mehr könne er nicht leisten.

Der Kläger beantragt,

1. die Beklagte zu verurteilen, an den Kläger 81.907,36 EUR nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz aus einem Teilbetrag von 33.726 56 seit dem 01.05.2011, aus einem Teilbetrag von jeweils weiteren 2.409,04 EUR seit dem 1. eines jeden Monats ab dem 01.06.2011 bis einschließlich 01.01.2013 zu zahlen.

2. die Beklagte zu verurteilen, an den Kläger aus der Berufsunfähigkeitszusatzversicherung zur Versicherungsscheinnummer 000 000 000 beginnend ab Februar 2013 bis längstens 30.04.2028 bis zum 1. eines jeden Monats jeweils eine Berufsunfähigkeitsrente in Höhe von 2.299,44 EUR nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz, und zwar ab dem 2. des jeweiligen Monats, zu zahlen.

3. die Beklagte zu verurteilen, den Kläger von der Prämienzahlungspflicht für die Risikolebensversicherung, für die Berufsunfähigkeitszusatzversicherung und für die Unfallzusatzversicherung zur Versicherungsscheinnummer 000 000 000 beginnend ab dem 01.02.2013 bis längstens zum 30.04.2028 freizustellen.

Die Beklagte beantragt, die Klage abzuweisen.

Die Beklagte behauptet unter Bezugnahme auf das Gutachten des Zeugen Dr. L vom 14.03.2011, der Kläger sei nicht berufsunfähig im Sinne der Versicherungsbedingungen.

Im Übrigen behauptet sie, bei vielen der von dem Kläger zunächst ausgeübten Tätigkeiten handele es sich um Routinearbeiten, bei denen keine besondere Konzentration (mehr) erforderlich sei, weshalb insoweit keine oder allenfalls eine leichte Beeinträchtigung durch die von dem Kläger vorgetragenen Beschwerden bestehe. Auch sei es nicht Aufgabe eines Bestattungsunternehmens, Rechtsfragen zu den Themen Rente und Versicherungen zu beantworten.

Weiter meint die Beklagte, aus bestimmten von dem Kläger genannten medizinischen Diagnosen sei nicht zwingend auf eine Berufsunfähigkeit zu schließen. Sie behauptet unter Berufung auf das Gutachten des Zeugen Dr. L, beim Kläger habe allenfalls eine leichte depressive Symptomatik vorgelegen.

Wegen der weiteren Einzelheiten zum Sach- und Streitstand wird auf die wechselseitigen Schriftsätze nebst Anlagen Bezug genommen.

Das Gericht hat Beweis erhoben durch Einholung eines schriftlichen Gutachtens des Sachverständigen Dr. O samt zweier Ergänzungsgutachten sowie durch Anhörung des Sachverständigen in der mündlichen Verhandlung und durch Vernehmung des Zeugen Dr. L. Wegen des Ergebnisses der Beweisaufnahme wird auf die zu den Akten gereichten schriftlichen Gutachten des Sachverständigen Dr. O sowie auf das Sitzungsprotokoll vom 09.10.2015 (Bl. 278 ff. d. A.) verwiesen.

Entscheidungsgründe

Die Klage hat in vollem Umfang Erfolg.

Sie ist zulässig, insbesondere ist das Landgericht Arnsberg wegen § 215 Abs. 1 VVG örtlich zuständig, da sich der Wohnsitz des Klägers im Bezirk des Landgerichts Arnsberg befindet. Die Klageanträge zu 2) und 3) sind als Klage auf wiederkehrende Leistung gemäß § 258 ZPO zulässig.

Die Klage ist auch begründet. Der Kläger hat gegen die Beklagte einen Anspruch auf Zahlung der monatlichen Berufsunfähigkeitsrente seit dem 01.04.2010 bis längstens zum 30.04.2028 sowie auf Befreiung von den Versicherungsprämien für denselben Zeitraum.

Der Anspruch ergibt sich aus § 172 VVG i.V.m. § 1 Abs. 1 der Versicherungsbedingungen (Anlage K 3). Nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme steht zur Überzeugung des Gerichts fest, dass der Kläger jedenfalls seit März 2010 berufsunfähig war.

Berufsunfähigkeits-Zusatzversicherung: Berufsunfähigkeit wegen psychischer Störung
Symbolfoto: Sam Wordley/Bigstock

Berufsunfähigkeit liegt gemäß § 2 der Versicherungsbedingungen vor, wenn der Kläger infolge von ärztlich nachgewiesener Krankheit, Körperverletzung oder Kräfteverfall bei Antragstellung bereits sechs Monate außerstande gewesen ist, seinen Beruf zu mehr als 50 % auszuüben, oder wenn zum Zeitpunkt der Antragstellung davon auszugehen war, dass er seinen Beruf voraussichtlich sechs Monate lang nicht ausüben können werde. Keine Berufsunfähigkeit liegt bei dem Kläger als Selbständigem vor, wenn er nach einer zumutbaren Umorganisation gleichwertige andere Tätigkeiten ausüben kann.

Zur Beurteilung der Frage, ob der Kläger seinen Beruf nicht mehr ausüben kann, muss zunächst gefragt werden, wie der normale Tagesablauf des Klägers vor dem Auftreten seiner Beschwerden war. In diesem Zusammenhang ist der Vortrag des Klägers auf Bl. 4 ff. der Akte jedenfalls im Hinblick auf die zeitliche Belastung nachvollziehbar, die auch – anders als die Anforderungen bei den einzelnen Aufgaben – unbestritten geblieben ist. Die geschilderten Tätigkeiten gehören zum Kernbestand der Aufgaben eines Bestatters und machen das Wesen dieses Berufs aus.

Der Sachverständige Dr. O hat zur Überzeugung des Gerichts dargelegt, dass der Kläger seinen Beruf zum Zeitpunkt der Antragstellung überwiegend nicht mehr ausüben konnte und bis heute nicht kann.

Der Sachverständige hat überzeugend dargelegt, dass der Kläger ausgehend von den von ihm geschilderten Symptomen an den folgenden psychischen Störungen leidet:

bipolare affektive Störung mit derzeit schwerer Episode, ohne wahnhafte Symptome

Zwangsstörung im Sinne von überwiegenden Zwangsritualen

schädlicher Konsum von Alkohol und Hypnotika

Dass der Sachverständige sich hierbei im Wesentlichen auf die Angaben des Klägers persönlich sowie auf die Befunde der den Kläger seit Oktober 2007 behandelnden Ärzte und Psychotherapeuten stützt, mindert die Verwertbarkeit des Gutachtens nicht. Soweit der Sachverständige auf die früheren Untersuchungen des Klägers Bezug nimmt – die die Beklagte angesichts der vorgelegten schriftlichen Dokumentation der durchgeführten Behandlungen und gestellten Diagnosen nicht pauschal bestreiten kann – dienen diese Befunde sogar als besonders gute Basis für eine fundierte Einschätzung des psychischen Gesundheitszustands des Klägers über einen Zeitraum von mehreren Jahren. Die Beschwerden, die der Kläger in dieser Zeit den behandelnden Personen geschildert hat, sind konsistent. Insbesondere betrifft dies die wiederholte Schilderung von Zwängen sowie von negativen Gedanken, Schwermütigkeit und Antriebslosigkeit in verschiedenen Ausformungen, die sich mit euphorischen Phasen – teils auch nach Behandlung – abwechseln. Auch die Schilderung der Lebensgeschichte und der wichtigen Ereignisse in der Kindheit und Jugend – schwierige Vater-Sohn-Beziehung, unklare Berufsaussichten („Zufälle“), Lernschwierigkeiten – tauchen wiederholt auf. Es gibt keinen Anhaltspunkt, an der Richtigkeit der Angaben des Klägers zu zweifeln, insbesondere auch unter Berücksichtigung des Umstands, dass für den Kläger, der sich in Behandlung begeben haben dürfte, um seine Leiden zu lindern, keine Veranlassung bestand, seine Situation schlimmer darzustellen, als sie war.

Auch gegenüber dem Zeugen Dr. L hat der Kläger Angaben gemacht, die in etwa denen entsprechen, die er gegenüber früheren behandelnden Personen und gegenüber dem Sachverständigen Dr. O geäußert hat. Der Zeuge Dr. L und der Sachverständige Dr. O sind also überwiegend von denselben Gegebenheiten ausgegangen. Auch wurden von beiden Seiten jeweils durch Einschaltung einer Diplom-Psychologin neuropsychologische Tests durchgeführt, die teilweise identisch waren, jedenfalls aber vergleichbar. In beiden Fällen ergaben sich aus den Tests deutliche Beeinträchtigungen auf Seiten des Klägers, die auf eine mittelschwere bis schwere Depression, auf erhöhte Angst und Sensibilität und auf geringe Belastbarkeit hinwiesen.

Soweit der Zeuge Dr. L in seinem Gutachten dann zu dem Ergebnis gekommen ist, dass bei dem Kläger allenfalls eine leichte depressive Symptomatik vorliege, bezieht er sich hauptsächlich auf seine Einschätzung aus seiner zweistündigen Untersuchung des Klägers und auf die Ergebnisse von Beschwerdevalidierungstests. Er meint, dass die Testergebnisse nicht mit dem Auftreten des Klägers bei der Exploration zusammenpassten und hier „erhebliche Diskrepanzen“ bestünden (S. 29 des Gutachtens des Zeugen Dr. L). Es sei von Aggravationstendenzen auszugehen, also davon – laienhaft gesprochen – dass der Kläger sich kränker mache, als er tatsächlich ist.

Diese Einschätzung konnte der Sachverständige Dr. O in seinen – wiederholten und längeren – Untersuchungen nicht nachvollziehen. Im Gegenteil legt er nachvollziehbar dar, dass es gerade zum Krankheitsbild der bipolaren Störung gehört, dass sich positive Zustände mit depressiven Episoden abwechseln, so dass es durchaus in Betracht kommt, dass der Kläger bei der Begutachtung durch den Zeugen Dr. L einen anderen Eindruck gemacht hat als bei den Untersuchungen durch den Sachverständigen Dr. O. Wenn der Sachverständige dann darauf verweist, dass insgesamt über einen langen Zeitraum konsistent von einer bipolaren Störung auszugehen ist, erscheint dies wiederum unter Berücksichtigung der Schilderungen des Klägers bei früheren Behandlungen plausibel. Auch der Zeuge Dr. L konnte dies auf entsprechende Nachfrage nicht ausschließen. Zwar mag es sein, dass nicht alle Patienten mit bipolarer Störung zwingend in ihrem beruflichen Leben beeinträchtigt sind; das Gericht geht aber mit dem Sachverständigen Dr. O davon aus, dass dies beim Kläger der Fall ist.

Soweit die Beklagte sich darauf beruft, der Sachverständige Dr. O habe keine ausreichenden Beschwerdevalidierungstests vorgenommen, sondern lediglich aufgrund seiner persönlichen Einschätzung Aggravations- oder Simulationstendenzen verneint, ist zunächst festzustellen, dass auch der Zeuge Dr. L sich auf seine eigene Wahrnehmung in der Explorations- bzw. Testsituation gestützt hat. Darüber hinaus war der Zeuge Dr. L auch auf wiederholte Nachfrage nicht bereit, Einzelheiten zu den von ihm durchgeführten Beschwerdevalidierungstests und den Testergebnissen des Klägers offenzulegen, weshalb die Angaben des Zeugen Dr. L hierzu nicht überprüft werden können.

Zudem ist wiederum das Gutachten des Sachverständigen Dr. O überzeugend, soweit der Sachverständige darin auf die Stellungnahme der Deutschen Gesellschaft für Psychiatrie, Psychotherapie und Nervenheilkunde (DGPPN) vom 28.01.2011 (Bl. 192 ff.) eingeht. Der Sachverständige erläutert nachvollziehbar, dass der Einsatz von Beschwerdevalidierungstests bei psychiatrischen Gutachten nicht zwingend ist (s. Bl. 192) und dass diese Tests nur zusätzliche Informationen für eine umfassende psychiatrische Gesamtbeurteilung liefern können (Bl. 194 Mitte, „Fazit für die Praxis“). Auch wenn der Zeuge Dr. L diese Auffassung für nicht maßgeblich hält, hat sich doch bei seiner Vernehmung gezeigt, dass im Bereich der Wissenschaft zumindest keine Einigkeit über das Erfordernis und den Umfang von Beschwerdevalidierungstests besteht.

Im Übrigen hat der Sachverständige Dr. O auf S. 13 ff. seines Ergänzungsgutachtens vom 25.02.2015 zu den in dem Schreiben der DGPPN (Bl. 194) aufgelisteten Faktoren für die Beschwerdevalidierung Stellung genommen, soweit sie hier von Bedeutung sind, und nachvollziehbar dargelegt, dass unter Berücksichtigung dieser Faktoren von einer Konsistenz zwischen den von dem Kläger geschilderten Beschwerden und den festgestellten Befunden auszugehen ist. Anhaltspunkte für das Erfordernis zusätzlicher Untersuchungen oder gar für das Vorhandensein abweichender Ergebnisse ergeben sich für die Kammer nach alldem nicht.

Da das Gericht die Feststellungen des Sachverständigen Dr. O für vollständig und ausreichend hält, bedarf es nicht der von der Beklagten beantragten Einholung eines neuen Gutachtens. Entgegen der Ansicht der Beklagten ist davon auszugehen, dass der gerichtlich bestellte Sachverständige trotz einiger Lücken im Lebenslauf als langjährig im Bereich der Neurologie, Psychiatrie und Psychotherapie tätiger Arzt eine ausreichende Qualifikation zur Beurteilung des Krankheitsverlaufs des Klägers besitzt.

Insgesamt folgt die Kammer nach den überzeugenden Ausführungen des Sachverständigen Dr. O dessen Einschätzung, dass der Kläger durchschnittlich 2 bis 3 Stunden am Tag arbeiten kann, ihm dabei aber Kontakte mit Verstorbenen und Kunden nicht zumutbar sind. Diese Einschätzung erscheint wegen der festgestellten Beeinträchtigungen des Klägers und den damit einhergehenden Symptomen plausibel. Da der Kundenkontakt und die Arbeit mit Verstorbenen aber – wie oben dargestellt – zum Kernbestand der Tätigkeiten eines Bestatters gehören und das Wesen dieses Berufs ausmachen, ist davon auszugehen, dass der Kläger diese nicht mehr zu mehr als 50 % ausüben kann.

Neben der Berufsunfähigkeitsrente steht dem Kläger gemäß § 1 Abs. 1 a) der Versicherungsbedingungen ein Anspruch auf Befreiung von den Versicherungsbeiträgen zu.

Die Ansprüche stehen dem Kläger auch in der geltend gemachten Höhe zu. Anspruchsbeginn ist gemäß § 1 Abs. 3 der Versicherungsbedingungen das Ende des Monats, in dem die Berufsunfähigkeit eingetreten ist, hier März 2010. Bei einer monatlichen Rente von 2.299,44 EUR zuzüglich dem von dem Kläger noch gezahlten Versicherungsbeitrag von 109,60 EUR errechnet sich für den Zeitraum von April 2010 bis Januar 2013 (Zeitpunkt der Klageerhebung) der mit dem Klageantrag zu 1) geltend gemachte Betrag von 81.907,36 EUR. Den Klageanträgen zu 2) und 3), mit denen die Ansprüche für die Zeit nach Klageerhebung bis maximal zum Ende der Laufzeit der Versicherung geltend gemacht werden, war nach Maßgabe der obigen Ausführungen ebenfalls zu entsprechen.

Der Zinsanspruch ergibt sich aus § 286 Abs. 1, Abs. 2 Nr. 1 und 3, § 288 Abs. 1 BGB.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 91 Abs. 1 S. 1 ZPO, die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit aus § 709 S. 1 und 2 ZPO.

Der Streitwert wird festgesetzt auf 183.087,04 EUR.

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