Ein langjähriger Maschinenführer glaubte, seit Ende 2018 berufsunfähig zu sein, da ihn psychische und körperliche Beschwerden quälten. Er forderte von seiner seit 2004 bestehenden Versicherung die monatliche Berufsunfähigkeitsrente von 400 Euro und Beitragsbefreiung. Doch der Versicherer lehnte ab, da ein Gutachten zeigte: Seine Schwierigkeiten rührten von einer Persönlichkeitsstörung her, nicht von einer versicherten Krankheit.
Übersicht
- Das Wichtigste in Kürze
- Der Fall vor Gericht
- Warum konnte ein Maschinenführer trotz psychischer Probleme keine Berufsunfähigkeitsrente beanspruchen?
- Worum ging der Streit zwischen dem Mann und seiner Versicherung?
- Wie urteilte das erste Gericht und warum?
- Welche Regeln gelten für ein Berufungsverfahren?
- Was offenbarte das entscheidende Gutachten über den Gesundheitszustand des Klägers?
- Warum war die Mitarbeiterführung für das Gericht nicht entscheidend?
- Was ist der entscheidende Unterschied zwischen einer Krankheit und einer Persönlichkeitsstörung?
- Warum konnte die leichte Depression den Anspruch nicht begründen?
- Wichtigste Erkenntnisse
- Benötigen Sie Hilfe?
- Das Urteil in der Praxis
- Häufig gestellte Fragen (FAQ)
- Wann gilt eine psychische Beeinträchtigung im Rahmen einer Berufsunfähigkeitsversicherung als versicherte Krankheit?
- Wie wird der Grad der Berufsunfähigkeit bei verschiedenen Tätigkeitsbereichen eines Berufs beurteilt?
- Welche Bedeutung haben medizinische Gutachten bei der Geltendmachung von Berufsunfähigkeitsansprüchen?
- Aus welchen Gründen können Leistungen aus einer Berufsunfähigkeitsversicherung verweigert werden?
- Was sollten Versicherungsnehmer bei der Beantragung von Leistungen wegen psychischer Probleme beachten?
- Glossar – Fachbegriffe kurz erklärt
- Wichtige Rechtsgrundlagen
- Das vorliegende Urteil
Zum vorliegenden Urteil Az.: 8 U 177/24 | Schlüsselerkenntnis | FAQ | Glossar | Kontakt
Das Wichtigste in Kürze
- Gericht: Oberlandesgericht Nürnberg
- Aktenzeichen: 8 U 177/24
- Verfahren: Berufungsverfahren (Beschluss nach § 522 Abs. 2 ZPO)
- Rechtsbereiche: Versicherungsrecht, Zivilprozessrecht
Beteiligte Parteien:
- Kläger: Ein Versicherungsnehmer. Er wollte Leistungen aus seiner Berufsunfähigkeitsversicherung erhalten.
- Beklagte: Ein Versicherungsunternehmen. Es lehnte die Forderungen des Klägers ab.
Worum ging es genau?
- Sachverhalt: Ein Mann beantragte Leistungen aus seiner privaten Berufsunfähigkeitsversicherung. Die Versicherung lehnte die Zahlung ab.
Welche Rechtsfrage war entscheidend?
- Kernfrage: Steht einem Versicherten Geld aus seiner Berufsunfähigkeitsversicherung zu, wenn seine Schwierigkeiten im Beruf vor allem durch eine Persönlichkeitsstörung und nicht durch eine versicherte Krankheit verursacht werden?
Entscheidung des Gerichts:
- Urteil im Ergebnis: Die Berufung des Klägers soll zurückgewiesen werden.
- Zentrale Begründung: Die Gerichte sahen die Hauptursache der beruflichen Schwierigkeiten des Klägers in einer Persönlichkeitsstörung, die nicht als versicherte Krankheit im Sinne der Versicherungsbedingungen gilt.
- Konsequenzen für die Parteien: Der Kläger erhält keine Leistungen aus der Berufsunfähigkeitsversicherung und muss die Prozesskosten tragen.
Der Fall vor Gericht
Warum konnte ein Maschinenführer trotz psychischer Probleme keine Berufsunfähigkeitsrente beanspruchen?
Ein Mann, der jahrelang als „Anlagenfahrer Backwerk“ in einem Lebensmittelbetrieb gearbeitet hatte, meldete sich bei seiner Versicherung. Er sei seit Dezember 2018 berufsunfähig, erklärte er. Eine Mischung aus depressiven Störungen, chronischen Schmerzen und Problemen mit der Wirbelsäule mache es ihm unmöglich, seine Tätigkeit als Maschinenführer im Schichtbetrieb weiter auszuüben. Er forderte von seinem Versicherer, bei dem er seit 2004 eine Berufsunfähigkeits-Zusatzversicherung unterhielt, die vereinbarte monatliche Rente von 400 Euro und die Befreiung von den weiteren Beiträgen.

Die Versicherung leitete eine Prüfung ein, holte ein psychiatrisches Gutachten ein und kam zu einem klaren Ergebnis: Sie lehnte die Zahlung ab. Der Fall landete vor dem Landgericht Nürnberg-Fürth und schließlich vor dem Oberlandesgericht Nürnberg, das eine grundlegende Frage klären musste: Ist jede psychische Beeinträchtigung, die die Arbeit erschwert, automatisch eine versicherte Krankheit?
Worum ging der Streit zwischen dem Mann und seiner Versicherung?
Der Kläger hatte eine klare Forderung: Für den Zeitraum von Januar 2019 bis März 2021 verlangte er rückwirkend eine Rentenzahlung von insgesamt 10.800 Euro. Zusätzlich sollten ihm die in dieser Zeit gezahlten Versicherungsbeiträge von knapp 1.000 Euro erstattet werden. Ab April 2021 forderte er die laufende Zahlung der monatlichen Rente von 400 Euro und die dauerhafte Befreiung von der Beitragspflicht. Seine Argumentation stützte sich auf eine Liste von Diagnosen, die ihm das Weiterarbeiten unmöglich machten.
Die Versicherung sah das gänzlich anders. Sie argumentierte, dass die vom Kläger behaupteten Beeinträchtigungen nicht die Schwelle zur Berufsunfähigkeit überschritten. Laut den Versicherungsbedingungen liegt eine solche erst vor, wenn der Versicherte seinen Beruf infolge von Krankheit, Körperverletzung oder Kräfteverfall für voraussichtlich mindestens drei Jahre zu mindestens 50 Prozent nicht mehr ausüben kann. Genau diesen Nachweis, so die Versicherung, habe der Anlagenfahrer nicht erbracht. Sie stützte sich dabei auf das von ihr beauftragte Gutachten, das zu dem Schluss kam, dass die Probleme des Mannes andere Ursachen hatten.
Wie urteilte das erste Gericht und warum?
Das Landgericht Nürnberg-Fürth wies die Klage vollständig ab. Nach einer umfangreichen Beweisaufnahme, zu der auch die Anhörung des Klägers und eines ehemaligen Arbeitskollegen sowie die Einholung eines gerichtlichen Sachverständigengutachtens gehörte, kamen die Richter zu einem Ergebnis, das die Sicht der Versicherung stützte.
Zwar bestätigte der vom Gericht bestellte Gutachter eine leichte depressive Störung. Doch diese stand nach seiner Einschätzung nicht im Vordergrund. Vielmehr sei das Hauptproblem eine seit Langem bestehende querulatorisch dissoziale Persönlichkeitsstörung. Dies ist keine Krankheit im klassischen Sinne, die plötzlich auftritt, sondern ein tief verwurzeltes Persönlichkeitsmerkmal. Zudem stellte der Sachverständige eine „deutliche Aggravationstendenz“ fest – eine klare Neigung des Klägers, seine Symptome schlimmer darzustellen, als sie tatsächlich waren. Schwerwiegende körperliche, insbesondere orthopädische, Erkrankungen konnten nicht bestätigt werden.
Das Gericht befasste sich auch detailliert mit der Tätigkeit des Maschinenführers. Diese umfasste zwar auch die Führung von fünf bis acht Mitarbeitern. Für diese Teiltätigkeit attestierte der Gutachter tatsächlich eine Beeinträchtigung von 50 Prozent. Das Landgericht befand jedoch, dass die Mitarbeiterführung nicht den Kern der Arbeit des Klägers ausmachte. Seine Hauptaufgabe sei die Bedienung und Überwachung der Maschinen gewesen. Da die Beeinträchtigung nur einen untergeordneten Teil seiner Arbeit betraf, reichte dies nicht für die Annahme einer Berufsunfähigkeit von insgesamt 50 Prozent.
Welche Regeln gelten für ein Berufungsverfahren?
Unzufrieden mit diesem Urteil legte der Kläger Berufung beim Oberlandesgericht (OLG) Nürnberg ein. Er wollte damit erreichen, dass das erste Urteil aufgehoben und seiner Klage doch noch stattgegeben wird. Doch ein Berufungsgericht ist keine einfache zweite Chance, bei der der gesamte Fall noch einmal von vorne aufgerollt wird. Das OLG erklärte zunächst die Spielregeln: Es ist grundsätzlich an die Fakten gebunden, die das erste Gericht festgestellt hat.
Eine neue Entscheidung ist nur möglich, wenn dem Landgericht klare Fehler unterlaufen sind. Hat es zum Beispiel wichtige Argumente übersehen, notwendige Beweise nicht erhoben oder gegen logische Denkgesetze verstoßen? Nur dann darf das Berufungsgericht eingreifen. Es reicht nicht aus, wenn der Kläger die Beweise einfach anders bewertet als die erste Instanz. Er muss konkrete Anhaltspunkte vorlegen, die Zweifel an der Richtigkeit des ersten Urteils wecken. Die entscheidende Last liegt dabei weiterhin beim Kläger: Er muss beweisen, dass er die Voraussetzungen für die Versicherungsleistung erfüllt.
Was offenbarte das entscheidende Gutachten über den Gesundheitszustand des Klägers?
Das OLG Nürnberg schaute sich die Arbeit des Landgerichts und insbesondere das dort eingeholte Sachverständigengutachten des Dr. A, eines Facharztes für Neurologie und Psychiatrie, sehr genau an. Dieses Gutachten war der Dreh- und Angelpunkt des Verfahrens. Der Sachverständige hatte den Kläger persönlich untersucht, psychologische Tests durchführen lassen und alle medizinischen Unterlagen ausgewertet.
Seine Ergebnisse waren für den Anspruch des Klägers verheerend:
- Psychischer Zustand: Der Gutachter fand keine Anzeichen für eine schwere Depression. Die Stimmung des Klägers beschrieb er als gereizt, nicht als depressiv. Die Zusammenarbeit mit ihm sei schwierig gewesen. Vor allem aber ergaben die Tests deutliche Hinweise darauf, dass der Kläger seine Beschwerden gezielt überzeichnete. Der Experte sprach von willentlich kontrollierten Verhaltenseinflüssen und einem starken Rentenbegehren. Die psycho-physische Belastbarkeit sei allenfalls leicht vermindert.
- Körperlicher Zustand: Auch die behaupteten Schmerzen und orthopädischen Probleme hielten einer genauen Prüfung nicht stand. Die ohne relevanten Krankheitswert. Auch hier stellte er eine erhebliche Übertreibungstendenz fest.
- Die Hauptdiagnose: Die eigentliche Ursache für die Schwierigkeiten des Klägers, insbesondere im Umgang mit Kollegen, sei eine tiefgreifende Persönlichkeitsstörung. Diese sei jedoch nicht mit einer Berufsunfähigkeit gleichzusetzen.
Der Gutachter fasste zusammen, der Kläger sei aktiv zu der Entscheidung gekommen, nicht mehr in seinem alten Beruf arbeiten zu wollen. Die medizinischen Kriterien für eine Berufsunfähigkeit seien zu keinem Zeitpunkt erfüllt gewesen.
Warum war die Mitarbeiterführung für das Gericht nicht entscheidend?
Der Kläger klammerte sich an den einen Punkt, an dem ihm der Gutachter eine erhebliche Einschränkung bescheinigt hatte: die Mitarbeiterführung mit einer Beeinträchtigung von 50 Prozent. Doch das OLG folgte auch hier der Logik des Landgerichts. Um berufsunfähig zu sein, muss man in seiner Gesamttätigkeit zu 50 Prozent eingeschränkt sein. Wenn die Beeinträchtigung nur eine von mehreren Teiltätigkeiten betrifft, kommt es darauf an, welches Gewicht diese Teiltätigkeit hat.
Die Tätigkeit des Anlagenfahrers war, so das Gericht, überwiegend von körperlicher Arbeit an den Maschinen geprägt. Die Mitarbeiterführung war zwar ein Bestandteil, aber nicht das, was den Beruf im Kern ausmachte oder definierte. Man könnte es mit einem Handwerker vergleichen, der auch gelegentlich Angebote schreibt. Selbst wenn ihm das Schreiben schwerfällt, ist er nicht berufsunfähig, solange er seine eigentliche handwerkliche Arbeit noch verrichten kann. Da der Kläger die prägenden Merkmale seiner Tätigkeit weiterhin ausüben konnte, war die isolierte Beeinträchtigung bei der Mitarbeiterführung nicht ausreichend.
Was ist der entscheidende Unterschied zwischen einer Krankheit und einer Persönlichkeitsstörung?
Hier kam das OLG zum juristischen Kern des Falles. Die Versicherungsbedingungen sind eindeutig: Eine Leistung gibt es nur bei Berufsunfähigkeit infolge von Krankheit. Die entscheidende Feststellung des Sachverständigen war, dass die Probleme des Klägers nur zu einem winzigen Teil auf einer Krankheit im Sinne der Versicherung – der leichtgradigen depressiven Störung – beruhten.
Das alles überlagernde Problem war die querulatorisch dissoziale Persönlichkeitsstörung. Das Gericht definierte diesen Zustand als ein „mitgebrachtes“ Charaktermerkmal, das stabil über Jahrzehnte besteht. Es ist keine Krankheit, die plötzlich ausbricht und einen Versicherungsfall auslöst, sondern Teil der Persönlichkeit des Versicherten.
Wenn aber die Schwierigkeiten im Beruf, insbesondere die Probleme bei der Mitarbeiterführung, ihre Ursache in dieser nicht versicherten Persönlichkeitsstörung haben, dann kann der Versicherungsfall nicht eintreten. Die Kette der Argumentation war damit für das Gericht klar: Die festgestellten Beeinträchtigungen waren nicht die Folge einer versicherten Krankheit.
Warum konnte die leichte Depression den Anspruch nicht begründen?
Das OLG zog die finale Schlussfolgerung. Die einzige festgestellte „Krankheit“ im Sinne der Versicherungsbedingungen war die leichte depressive Störung. Es war für das Gericht jedoch denklogisch ausgeschlossen, dass allein diese leichte Störung zu einer 50-prozentigen Einschränkung in der Mitarbeiterführung führen könnte. Die Probleme in diesem Bereich waren, so das überzeugende Gutachten, eine direkte Folge der Persönlichkeitsstörung.
Da der Kläger den Beweis für eine bedingungsgemäße Berufsunfähigkeit nicht erbringen konnte, hatte seine Berufung offensichtlich keine Aussicht auf Erfolg. Die Richter legten ihm nahe, die Berufung zurückzuziehen, um weitere Kosten zu vermeiden. Der Fall zeigt, dass nicht jede psychische Belastung, die die Arbeit erschwert, automatisch zu Leistungen aus einer Berufsunfähigkeitsversicherung führt. Das Gericht zog eine scharfe Grenze zwischen einer versicherten Krankheit und einem prägenden, aber nicht versicherten Persönlichkeitsmerkmal.
Wichtigste Erkenntnisse
Ein Anspruch auf Berufsunfähigkeitsleistungen entsteht nur, wenn eine versicherte Krankheit die Ausübung des Berufs maßgeblich verhindert.
- Versicherte Krankheit vs. Persönlichkeitsmerkmal: Eine Berufsunfähigkeitsversicherung leistet nur bei einer Krankheit, die den Versicherungsfall auslöst; tief verwurzelte Persönlichkeitsmerkmale oder Störungen, die keine akute Erkrankung darstellen, begründen in der Regel keinen Leistungsanspruch.
- Gesamter Beruf zählt, nicht einzelne Teilaufgaben: Eine Beeinträchtigung der Berufsfähigkeit muss den Beruf insgesamt zu mindestens 50 Prozent betreffen; ist nur ein untergeordneter Teil der Tätigkeit eingeschränkt, besteht in der Regel kein Anspruch auf Berufsunfähigkeit.
- Nachweispflicht und Symptom-Glaubwürdigkeit: Wer Leistungen aus einer Berufsunfähigkeitsversicherung fordert, muss seine tatsächliche gesundheitliche Einschränkung beweisen, wobei Gerichte die Glaubwürdigkeit der Symptome durch medizinische Gutachten genau prüfen.
Die sorgfältige Abgrenzung zwischen versicherten Leiden und persönlichen Eigenschaften bestimmt maßgeblich die Anerkennung einer Berufsunfähigkeit.
Benötigen Sie Hilfe?
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Das Urteil in der Praxis
Wie viel Charakter darf ein Versicherungsfall haben? Das OLG Nürnberg zieht hier eine überraschend klare Linie. Dieses Urteil entlarvt schonungslos die Illusion, dass jede psychische Beeinträchtigung automatisch zur Leistung aus der Berufsunfähigkeitsversicherung führt. Es trennt messerscharf zwischen einer versicherten Krankheit und einer „mitgebrachten“ Persönlichkeitsstörung, selbst wenn Letztere die Arbeitsfähigkeit massiv beeinträchtigt. Versicherer erhalten damit eine robuste Argumentationshilfe, während Kläger künftig präzise beweisen müssen, dass eine versicherte Krankheit und nicht bloß eine Charakterdisposition die Ursache für ihre Probleme ist. Ein Weckruf für alle, die glaubten, eine schwierige Persönlichkeit reiche als BU-Grund aus.
Häufig gestellte Fragen (FAQ)
Wann gilt eine psychische Beeinträchtigung im Rahmen einer Berufsunfähigkeitsversicherung als versicherte Krankheit?
Eine psychische Beeinträchtigung wird im Rahmen einer Berufsunfähigkeitsversicherung nur dann als versicherte Krankheit anerkannt, wenn es sich um eine medizinisch diagnostizierbare und klar abgrenzbare Erkrankung handelt. Dies bedeutet, dass nicht jede psychische Belastung oder Schwierigkeit automatisch einen Anspruch begründet.
Man kann es sich vorstellen wie den Unterschied zwischen einem plötzlich auftretenden Fieber, das als Krankheit gilt, und einer angeborenen Charaktereigenschaft, die ein Mensch schon immer hatte. Eine Berufsunfähigkeitsversicherung ist primär für den „plötzlichen Krankheitsfall“ gedacht und nicht für stabile, tief verwurzelte Persönlichkeitsmerkmale.
Der entscheidende Punkt ist, dass eine Persönlichkeitsstörung – ein über Jahrzehnte bestehendes Charaktermerkmal – in der Regel nicht als eine Krankheit im versicherungsrechtlichen Sinne gilt, die einen Versicherungsfall auslösen würde. Als versicherte Krankheiten kommen hingegen Zustände in Betracht, die einen spezifischen Krankheitswert haben und deren Auswirkungen eine Berufsunfähigkeit bedingen. Hierfür ist eine eindeutige Diagnose durch Fachärzte, wie Neurologen oder Psychiater, unerlässlich, die bestätigt, dass die Beeinträchtigung auf eine versicherte Erkrankung zurückzuführen ist.
Diese Unterscheidung dient dazu, die Versicherungsleistungen auf jene Fälle zu konzentrieren, die tatsächlich auf eine versicherte Krankheit zurückzuführen sind und nicht auf Aspekte, die zur grundlegenden Persönlichkeit gehören.
Wie wird der Grad der Berufsunfähigkeit bei verschiedenen Tätigkeitsbereichen eines Berufs beurteilt?
Der Grad der Berufsunfähigkeit wird beurteilt, indem man prüft, ob eine Person infolge von Krankheit, Körperverletzung oder Kräfteverfall voraussichtlich für mindestens drei Jahre zu mindestens 50 Prozent ihrer gesamten beruflichen Tätigkeit nicht mehr ausüben kann. Dabei kommt es entscheidend darauf an, welche Aufgaben den Beruf im Kern ausmachen oder definieren.
Stellen Sie sich einen Handwerker vor, dessen Hauptaufgabe die praktische Ausführung von Arbeiten ist. Fällt es ihm gelegentlich schwer, Angebote zu schreiben, macht ihn das allein nicht berufsunfähig, solange er seine wesentliche handwerkliche Tätigkeit weiterhin zu mindestens 50 Prozent ausüben kann.
Besteht ein Beruf aus mehreren Tätigkeitsbereichen, wird nicht jeder Bereich gleich gewichtet. Eine Beeinträchtigung muss die sogenannten prägenden oder wesentlichen Merkmale des Berufs betreffen. Dies sind jene Aufgaben, die den Beruf in seiner Definition oder seinem Kern bestimmen.
Eine isolierte Beeinträchtigung einer untergeordneten Teiltätigkeit reicht in der Regel nicht aus, um die Gesamt-Berufsunfähigkeitsschwelle von 50 Prozent zu erreichen. Selbst wenn eine Person in einem kleineren Aufgabenbereich eingeschränkt ist, muss die Beeinträchtigung die Hauptaufgaben der gesamten beruflichen Tätigkeit betreffen. Diese Herangehensweise stellt sicher, dass eine Berufsunfähigkeit nur dann anerkannt wird, wenn die Kernfunktionen des Berufs tatsächlich nicht mehr ausführbar sind.
Welche Bedeutung haben medizinische Gutachten bei der Geltendmachung von Berufsunfähigkeitsansprüchen?
Medizinische Gutachten sind bei der Geltendmachung von Berufsunfähigkeitsansprüchen von zentraler Bedeutung, da sie oftmals das entscheidende Beweismittel darstellen, um eine Berufsunfähigkeit zu belegen oder zu widerlegen. Ähnlich wie ein erfahrener Arzt nur nach umfassender Diagnose und Untersuchung eine genaue Behandlungsempfehlung abgeben kann, benötigen Gerichte fundierte medizinische Gutachten, um über Berufsunfähigkeitsansprüche zu entscheiden.
Versicherungsnehmer tragen die Beweislast dafür, dass sie die Voraussetzungen für Leistungen wegen Berufsunfähigkeit erfüllen. Hierfür sind medizinische Gutachten unerlässlich. Ein solches Gutachten basiert typischerweise auf einer persönlichen Untersuchung der betroffenen Person, der Auswertung aller vorhandenen medizinischen Unterlagen sowie gegebenenfalls psychologischen Tests. Ziel ist es, die tatsächliche Arbeitsfähigkeit einzuschätzen und die Ursachen von Beeinträchtigungen zu klären.
Gerichte stützen sich in der Regel auf die objektive Einschätzung unabhängiger, gerichtlich bestellter Sachverständiger. Diese medizinischen Einschätzungen haben ein hohes Gewicht bei der Entscheidungsfindung. Zudem können Gutachten aufzeigen, ob eine Tendenz zur Übertreibung von Symptomen (Aggravation) oder eine willentliche Verhaltensbeeinflussung vorliegt. Diese Vorgehensweise gewährleistet eine faire und medizinisch fundierte Entscheidungsfindung.
Aus welchen Gründen können Leistungen aus einer Berufsunfähigkeitsversicherung verweigert werden?
Leistungen aus einer Berufsunfähigkeitsversicherung können verweigert werden, wenn die im Versicherungsvertrag festgelegten Bedingungen für eine Berufsunfähigkeit nicht erfüllt sind. Die Gründe für eine Ablehnung können vielfältig sein und hängen stets von den individuellen Vertragsbedingungen sowie den konkreten Umständen des Einzelfalls ab.
Stellen Sie sich vor, eine Versicherung ist wie ein Wettbewerb mit klaren Regeln. Nur wer alle Vorgaben erfüllt – zum Beispiel eine bestimmte Punktzahl erreicht und keine verbotenen Mittel einsetzt – gewinnt den Preis. Ähnlich muss man im Fall einer Berufsunfähigkeit nachweisen, dass die versicherten Voraussetzungen lückenlos erfüllt sind, sonst kann die Leistung verweigert werden.
Eine Verweigerung ist beispielsweise möglich, wenn die gesundheitliche Beeinträchtigung nicht als eine im Sinne der Versicherungsbedingungen versicherte Krankheit gilt, wie es bei bestimmten Persönlichkeitsstörungen der Fall sein kann. Zudem muss die Berufsunfähigkeit in der Regel eine bestimmte Schwelle erreichen, meist 50 Prozent der bisherigen beruflichen Tätigkeit. Dabei ist entscheidend, dass die Einschränkung die prägenden oder wesentlichen Aufgaben des Berufs betrifft und nicht nur untergeordnete Teiltätigkeiten.
Ein weiterer wichtiger Ablehnungsgrund besteht darin, dass die versicherte Person die Voraussetzungen für die Leistungen nicht ausreichend nachweisen kann. Dies kann der Fall sein, wenn medizinische Gutachten ergeben, dass Symptome bewusst übertrieben dargestellt wurden (sogenannte Aggravation), oder wenn schlicht keine ausreichenden Beweise für das Ausmaß der Beeinträchtigung vorliegen.
Diese genaue Prüfung dient dazu, sicherzustellen, dass Leistungen nur bei Vorliegen der vertraglich vereinbarten und objektiv nachweisbaren Voraussetzungen erbracht werden.
Was sollten Versicherungsnehmer bei der Beantragung von Leistungen wegen psychischer Probleme beachten?
Bei der Beantragung von Berufsunfähigkeitsleistungen aufgrund psychischer Probleme ist es entscheidend, die eigenen Versicherungsbedingungen genau zu kennen und umfassende medizinische Nachweise vorzulegen, die eine tatsächliche Krankheit belegen und die Kernaufgaben des Berufs beeinträchtigen. Man sollte zudem stets ehrlich und offen mit den beauftragten Gutachtern zusammenarbeiten, da Übertreibungen den Anspruch gefährden können.
Stellen Sie sich vor, ein Fußballschiedsrichter muss beurteilen, ob ein Spieler wirklich verletzt ist oder nur simuliert. Er benötigt klare Beweise und muss prüfen, ob die Verletzung so schwerwiegend ist, dass der Spieler seine Hauptaufgabe – das Fußballspielen – nicht mehr erfüllen kann, und nicht nur leichte Beeinträchtigungen vorliegen. Ähnlich benötigen Versicherer eindeutige Belege für eine versicherte Krankheit und deren Auswirkungen auf die Haupttätigkeit.
Es ist wichtig zu verstehen, dass nicht jede psychische Beeinträchtigung eine versicherte Krankheit im Sinne der Bedingungen darstellt. Persönlichkeitsmerkmale oder langfristige Wesenszüge, die nicht als Krankheit definiert sind, reichen in der Regel nicht aus. Sammeln Sie daher alle relevanten medizinischen Unterlagen, wie Diagnosen und Therapieberichte, die den Krankheitswert Ihrer Beschwerden untermauern.
Zeigen Sie klar auf, inwieweit die psychischen Probleme konkret die Ausführung der wesentlichen oder prägenden Aufgaben Ihres Berufs behindern. Es reicht oft nicht aus, wenn nur untergeordnete oder geringfügige Teiltätigkeiten beeinträchtigt sind. Vermeiden Sie unbedingt, Symptome zu übertreiben oder falsch darzustellen; Sachverständige können solche Tendenzen erkennen, was die Glaubwürdigkeit und den gesamten Anspruch untergräbt.
Dieses Vorgehen sichert eine transparente und faktenbasierte Prüfung des Leistungsanspruchs und schützt das Vertrauen in die korrekte Abwicklung von Versicherungsfällen.
Hinweis: Bitte beachten Sie, dass die Beantwortung der FAQ Fragen keine individuelle Rechtsberatung darstellt und ersetzen kann. Alle Angaben im gesamten Artikel sind ohne Gewähr. Haben Sie einen ähnlichen Fall und konkrete Fragen oder Anliegen? Zögern Sie nicht, uns zu kontaktieren. Wir klären Ihre individuelle Situation und die aktuelle Rechtslage.
Glossar – Fachbegriffe kurz erklärt
Aggravationstendenz
Eine Aggravationstendenz beschreibt die Neigung einer Person, ihre Symptome oder Beschwerden schlimmer darzustellen, als sie tatsächlich sind. Dies ist ein wichtiges Konzept in der medizinischen Begutachtung, da es die Glaubwürdigkeit der Angaben einer Person beeinflusst und somit die objektive Beurteilung des Gesundheitszustands erschwert. Sachverständige achten darauf, um eine realistische Einschätzung der Beeinträchtigung zu gewährleisten.
Beispiel: Im vorliegenden Fall stellte der gerichtliche Sachverständige eine „deutliche Aggravationstendenz“ beim Kläger fest, was bedeutete, dass dieser seine depressiven und körperlichen Beschwerden absichtlich übertrieben darstellte, um den Anspruch auf Berufsunfähigkeitsrente zu untermauern.
Berufsunfähigkeit
Berufsunfähigkeit liegt vor, wenn eine Person ihren zuletzt ausgeübten Beruf infolge von Krankheit, Körperverletzung oder Kräfteverfall für voraussichtlich mindestens drei Jahre zu mindestens 50 Prozent nicht mehr ausüben kann. Dies ist die zentrale Voraussetzung, um Leistungen aus einer Berufsunfähigkeitsversicherung zu erhalten. Die Definition stellt sicher, dass nur schwerwiegende und dauerhafte Beeinträchtigungen, die die berufliche Existenz grundlegend bedrohen, abgesichert sind.
Beispiel: Der Maschinenführer beanspruchte eine Berufsunfähigkeitsrente, weil er meinte, aufgrund seiner psychischen und körperlichen Probleme nicht mehr in der Lage zu sein, seine Tätigkeit als Anlagenfahrer zu mindestens 50 Prozent auszuüben, was aber vom Gericht verneint wurde.
Beweislast
Die Beweislast legt fest, welche Partei in einem Gerichtsverfahren die Fakten beweisen muss, die für ihre Behauptungen sprechen. Dieses Prinzip ist fundamental im Recht und sorgt für Klarheit darüber, wer die Verantwortung trägt, bestimmte Tatsachen nachzuweisen. Wenn eine Partei die ihr zugewiesene Beweislast nicht erfüllen kann, geht der Fall in diesem Punkt zu ihren Ungunsten aus.
Beispiel: Im Fall des Maschinenführers lag die entscheidende Beweislast beim Kläger, der nachweisen musste, dass er die Voraussetzungen für die Versicherungsleistung – also die Berufsunfähigkeit – tatsächlich erfüllte.
Krankheit (im Sinne der Berufsunfähigkeitsversicherung)
Eine Krankheit im Sinne der Berufsunfähigkeitsversicherung ist eine medizinisch diagnostizierbare und klar abgrenzbare Erkrankung, die einen spezifischen Krankheitswert hat und nicht lediglich ein tief verwurzeltes Persönlichkeitsmerkmal darstellt. Die Versicherungsbedingungen definieren genau, welche gesundheitlichen Zustände einen Anspruch auf Leistungen begründen. Dieser enge Begriff soll verhindern, dass dauerhafte Charaktereigenschaften oder nicht-krankhafte Zustände als Versicherungsfall gelten, und konzentriert sich auf Zustände, die einen plötzlichen, pathologischen Beginn haben.
Beispiel: Das OLG Nürnberg stellte klar, dass die querulatorisch dissoziale Persönlichkeitsstörung des Klägers keine „Krankheit im Sinne der Versicherung“ war, da sie ein stabiles Charaktermerkmal war und nicht die Ursache für die geltend gemachte Berufsunfähigkeit darstellte, im Gegensatz zu einer diagnostizierten Depression.
Medizinisches Gutachten
Ein Medizinisches Gutachten ist eine schriftliche Stellungnahme eines medizinischen Sachverständigen, die den Gesundheitszustand einer Person objektiv beurteilt und im Gerichtsverfahren als wichtiges Beweismittel dient. Gutachten helfen Richtern, komplexe medizinische Sachverhalte zu verstehen und die tatsächliche Arbeitsfähigkeit oder die Ursache von Beeinträchtigungen zu klären. Sie sind oft der Dreh- und Angelpunkt, um Ansprüche wie die Berufsunfähigkeit fundiert zu beurteilen.
Beispiel: Sowohl die Versicherung als auch das Landgericht Nürnberg-Fürth holten ein medizinisches Gutachten ein, um zu klären, ob die psychischen und körperlichen Probleme des Klägers tatsächlich eine Berufsunfähigkeit begründeten.
Prägende Merkmale (eines Berufs)
Die prägenden Merkmale eines Berufs sind die zentralen oder wesentlichen Tätigkeiten, die den Beruf in seinem Kern ausmachen und definieren. Bei der Beurteilung einer Berufsunfähigkeit kommt es darauf an, ob die Person die Hauptaufgaben ihres Berufs nicht mehr ausüben kann. Eine Beeinträchtigung einer untergeordneten Teiltätigkeit reicht in der Regel nicht aus, um die Schwelle der Berufsunfähigkeit zu erreichen, wenn die Kernaufgaben weiterhin ausführbar sind.
Beispiel: Obwohl der Anlagenfahrer eine 50-prozentige Beeinträchtigung bei der Mitarbeiterführung hatte, galt dies nicht als ausreichend für eine Berufsunfähigkeit, da die Mitarbeiterführung nicht zu den prägenden Merkmalen seiner Tätigkeit als Maschinenführer gehörte, sondern die Bedienung und Überwachung der Maschinen im Vordergrund stand.
Wichtige Rechtsgrundlagen
- Die Definition der Berufsunfähigkeit (Versicherungsbedingungen)
Eine Berufsunfähigkeitsversicherung zahlt grundsätzlich nur, wenn die versicherte Person ihren Beruf infolge von Krankheit, Körperverletzung oder Kräfteverfall voraussichtlich für mindestens drei Jahre zu mindestens 50 Prozent nicht mehr ausüben kann und die Einschränkung den Kern der beruflichen Tätigkeit betrifft.
→ Bedeutung im vorliegenden Fall: Die Versicherung lehnte die Zahlung ab, da sie die im Vertrag festgelegten Bedingungen für eine Berufsunfähigkeit, insbesondere die 50-Prozent-Regel in Bezug auf die Haupttätigkeit des Maschinenführers, nicht als erfüllt ansah und die vorliegenden Beeinträchtigungen nicht als versicherte Krankheit wertete. - Die Abgrenzung von Krankheit und Persönlichkeitsstörung (Juristisches Prinzip)
Im Kontext von Berufsunfähigkeitsversicherungen wird eine Leistung nur bei einer „Krankheit“ erbracht, während eine tief verwurzelte Persönlichkeitsstörung in der Regel nicht als eine solche versicherte Krankheit gilt, da sie ein dauerhaftes Charaktermerkmal und keine akute Erkrankung darstellt.
→ Bedeutung im vorliegenden Fall: Das Gericht stellte fest, dass die Hauptursache der Schwierigkeiten des Klägers eine nicht versicherte querulatorisch dissoziale Persönlichkeitsstörung war und nicht die leichte depressive Störung, die als einzige „Krankheit“ im Sinne der Bedingungen eingestuft werden konnte. - Die Beweislast im Zivilprozess (§ 286 ZPO)
Wer vor Gericht eine Forderung geltend macht, muss die Tatsachen beweisen, die seinen Anspruch begründen.
→ Bedeutung im vorliegenden Fall: Der Kläger trug die Beweislast dafür, dass er die Voraussetzungen für die Leistung aus seiner Berufsunfähigkeitsversicherung erfüllte, insbesondere dass seine Beeinträchtigung auf einer versicherten Krankheit beruhte und zu einer mindestens 50-prozentigen Berufsunfähigkeit führte. - Die Bindung des Berufungsgerichts an Tatsachenfeststellungen (§ 529 Abs. 1 Nr. 1 ZPO)
Ein Berufungsgericht überprüft ein erstinstanzliches Urteil hauptsächlich auf Rechtsfehler und ist grundsätzlich an die Tatsachen gebunden, die das erste Gericht festgestellt hat, es sei denn, es gibt konkrete Anhaltspunkte, die ernsthafte Zweifel an deren Richtigkeit begründen.
→ Bedeutung im vorliegenden Fall: Das Oberlandesgericht konnte das Urteil des Landgerichts nur aufheben, wenn diesem klare Fehler bei der Beweisaufnahme oder -würdigung unterlaufen wären; eine einfache Neubewertung der bereits festgestellten Tatsachen durch das Berufungsgericht war nicht möglich.
Das vorliegende Urteil
OLG Nürnberg – Az.: 8 U 177/24
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