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Berufsunfähigkeitsversicherung – Berufsunfähigkeit mehrdimensionale psychosomatische Störung

OLG Zweibrücken – Az.: 1 U 190/12 – Urteil vom 15.01.2014

1. Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Landgerichts Frankenthal (Pfalz) vom 08.11.2012, Az. 3 O 511/10, wird zurückgewiesen.

2. Die Klägerin hat die Kosten des Berufungsverfahrens zu tragen.

3. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Die Klägerin kann die Zwangsvollstreckung der Beklagten durch eine Sicherheitsleistung in Höhe von 110% des jeweils zu vollstreckenden Betrages abwenden, wenn nicht die Beklagte zuvor Sicherheit in Höhe von 110% des vollstreckbaren Betrages leistet.

4. Die Revision wird nicht zugelassen.

Gründe

I.

Die Klägerin verlangt von der Beklagten Leistungen aus einer im Jahr 2004 zwischen den Parteien vereinbarten Berufsunfähigkeitsversicherung.

Berufsunfähigkeitsversicherung - Berufsunfähigkeit mehrdimensionale psychosomatische Störung
Symbolfoto: Von Chinnapong /Shutterstock.com

Gemäß dem Versicherungsschein vom 16.03.2004 galt der Versicherungsschutz für den Zeitraum vom 01.10.2003 bis zum 01.10.2020. Bestandteil der Versicherung waren die „Bedingungen für die Berufsunfähigkeitsversicherung (TopLine)“ (nachfolgend: BBU). Der jährliche Bruttobeitrag der Beitragszahlungen war auf 1.096,60 € festgesetzt, wobei vereinbart worden war, dass Überschussanteile sofort mit den laufenden Beiträgen verrechnet werden und im Wege des Sofortrabatts der jährliche von der Klägerin zu zahlende (Netto-)Betrag  auf 712,80 € berechnet werden sollte. Gemäß § 2 (1) der BBU war die Beklagte verpflichtet, bei einer nachgewiesenen Berufsunfähigkeit von mindestens 50 % Beitragsbefreiung zu gewähren und an die Klägerin eine monatliche Barrente von 2.800,00 € zu entrichten. Ferner war vereinbart, dass die Rente monatlich im Voraus zu zahlen sei und der Anspruch auf Rente und Beitragsbefreiung mit Beginn des Monats, in dem die Berufsunfähigkeit eingetreten ist, entstehen sollte.

Die Klägerin war bis Juni 2008 (Minderheits-)Gesellschafterin und Geschäftsführerin der … GmbH (nachfolgend: …), welche sich vornehmlich als Bauträgerin für hochwertige Wohnungen auf einem am … gelegenen Gelände betätigte. Die Tätigkeit der Klägerin dort erstreckte sich im Wesentlichen auf den kaufmännischen Bereich. Spätestens im ersten Halbjahr 2008 kam es zwischen der Klägerin und ihren beiden Mitgesellschaftern bzw. Mitgeschäftsführern zu massiven Unstimmigkeiten, die schließlich im Rahmen einer gerichtlichen Auseinandersetzung am 21.08.2008 in einen Vergleich mündeten, wonach die Klägerin ihre Geschäftsführertätigkeit beendete und ihre Geschäftsanteile an die Mitgesellschafter veräußerte. Am 20.11.2008 beantragte die nunmehr einkommenslose Klägerin bei der Beklagten die Auszahlung einer Berufsunfähigkeitsrente. Die Klägerin ist der Auffassung, sie sei (spätestens) seit Juni 2008 zu 100 % berufsunfähig erkrankt.

Neben Rentenzahlungen, Rückforderung geleisteter Beitragszahlungen, Feststellung der Leistungspflicht für die Zukunft und Auskunftsansprüchen hinsichtlich der ihr zustehenden Überschussbeteiligung macht die Klägerin mit ihrer Klage außergerichtliche Rechtsanwaltskosten geltend, wobei zwischen den Parteien unstreitig ist, dass sie die Beklagte mit Schreiben vom 20.07.2010 angemahnt hat.

Die Beklagte hat den Eintritt eines Versicherungsfalls bestritten und die Auffassung vertreten, die Klägerin habe eine mindestens 50 %ige Berufsunfähigkeit nicht nachgewiesen.

Die Zivilkammer hat Beweis erhoben durch Einholung eines nervenärztlichen Gutachtens nebst ergänzender nervenärztlicher gutachterlicher Stellungnahme sowie deren mündlicher Erläuterung durch den Arzt für Neurologie und Psychiatrie Dr. med. …. Sie hat zudem in der mündlichen Verhandlung vom 23.08.2012 die Klägerin nach §141 ZPO informatorisch angehört.

Die Kammer hat sodann mit Urteil vom 08.11.2012 die Klage mit der Begründung abgewiesen, die Klägerin habe den Beweis ihrer Berufsunfähigkeit im Sinne der Vertragsbedingungen nicht erbracht. Zwar habe der gerichtliche Sachverständige Dr. … festgestellt, dass die Klägerin an einer mehrdimensionalen (ängstlich-dysthym-somatoformen) psychosomatischen Störung mit einer relevanten Einschränkung der Erlebnis- und Gestaltungsfähigkeit im privaten und beruflichen Bereich leide. Hierbei handele sich jedoch nicht um eine derart schwere Gesundheitsstörung, dass die Auswirkungen auf die Ausübung einer Gewerbetätigkeit nicht durch zumutbare Willensanspannung beherrscht werden könnten. Der Wiederaufnahme und regelmäßigen Ausübung einer leidensgerechten Erwerbstätigkeit stünde die mit der Erkrankung einhergehende Beeinträchtigung der Aufmerksamkeit, Konzentrationsfähigkeit und Stressbelastbarkeit nicht entgegen. Nach den Ausführungen des Sachverständigen, denen sich die Zivilkammer angeschlossen hat, sei es bei allen von der Klägerin ausgeübten beruflichen Tätigkeiten möglich und auch zumutbar, besondere Stressbelastungen zu vermeiden oder zumindest zu reduzieren und diese durch eine quantitative (zeitliche) Reduktion der beruflichen Tätigkeit zu verringern. Unter Aufbietung einer „zumutbaren Willensanspannung“ sei der Klägerin eine Berufstätigkeit während 75 % des üblichen vollschichtigen Umfangs möglich, was sechs Arbeitsstunden am Tag an fünf Tagen pro Woche entspräche. Eine solche Arbeitseinteilung sei der Klägerin im konkreten Berufsbild einer geschäftsführende Gesellschafterin einer Bauträger GmbH möglich und zumutbar.

Auf die weiteren rechtlichen Ausführungen und tatsächlichen Feststellungen im angefochtenen Urteil wird ergänzend Bezug genommen (§ 540 Abs. 1 Nr. 1 ZPO).

Dieses Urteil greift die Klägerin unter Aufrechthaltung und Erweiterung (in Bezug auf mittlerweile fällig gewordener Rentenansprüche) ihrer erstinstanzlichen Anträge mit ihrer Berufung an. Sie ist der Auffassung, das Landgericht hätte zumindest einen der von ihr benannten Privatgutachter mündlich anhören müssen. Zum anderen sei die Zivilkammer auch zu Unrecht von der Annahme ausgegangen, es sei der Klägerin möglich, durch Vornahme von Umorganisationsmaßnahmen (Stundenreduzierung, Stundenumverteilung) eine leidensgerechte Arbeitseinteilung vorzunehmen.

Die Klägerin beantragt nunmehr:

1. unter Abänderung des am 08.11.2012 verkündeten Urteils des Landgerichts Frankenthal (Pfalz), Az.: 3 O 511/10 die Beklagte zu verurteilen, an sie gemäß dem Versicherungsschein vom 16.03.2004 zur Berufsunfähigkeitsversicherung Nr. 37426201 für die Zeit vom 01.06.2008 bis 01.10.2010 eine Berufsunfähigkeitsrente in Höhe von 78.400,00 € zu zahlen nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz aus jeweils 2.800,00 € seit dem 01.06.2008, 01.07.2008, 01.08.2008, 01.09.2008, 01.10.2008, 01.11.2008, 01.12.2008, 01.01.2009, 01.02.2009, 01.03.2009, 01.04.2009, 01.05.2009, 01.06.2009, 01.07.2009, 01.08.2009, 01.09.2009, 01.10.2009, 01.11.2009, 01.12.2009, 01.01.2010, 01.02.2010, 01.03.2010, 01.04.2010, 01.05.2010, 01.06.2010, 01.07.2010, 01.08.2010, 01.09.2010, 01.10.2010,

2. die Beklagte zu verurteilen, an sie weitere 75.600,00 € Berufsunfähigkeitsrente für den Zeitraum vom 01.11.2010 bis 01.02.2013 zu zahlen, nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz aus jeweils 2.800,00 € seit dem 01.11.2010, 01.12.2010, 01.01.2011, 01.02.2011, 01.03.2011, 01.04.2011, 01.05.2011, 01.06.2011, 01.07.2011, 01.08.2011, 01.09.2011, 01.10.2011, 01.11.2011, 01.12.2011, 01.01.2012, 01.02.2012, 01.03.2012, 01.04.2012, 01.05.2012, 01.06.2012, 01.07.2012, 01.08.2012, 01.09.2012, 01.10.2012, 01.11.2012, 01.12.2012, 01.01.2013, 01.02.2013,

3. die Beklagte zu verurteilen, an sie 2.851,60 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit als Beitragsrückerstattung zu zahlen,

4. festzustellen, dass die Beklagte verpflichtet ist, über den 01.02.2013 hinaus bis zum Ende der Berufsunfähigkeit, längstens jedoch bis zum 01.10.2020, eine monatliche Berufsunfähigkeitsrente in Höhe von 2.800,00 € an sie zu zahlen, zuzüglich Überschussbeteiligung, fällig jeweils zum 1. eines jeden Monats,

5. die Beklagte zu verurteilen, über die ihr für die Zeit vom 01.06.2008 bis 01.02.2013 zustehende Überschussbeteiligung abzurechnen,

6. die Beklagte weiter zu verurteilen, die gemäß Klageantrag zu 5) abgerechnete Überschussbeteiligung der Klägerin bekanntzugeben und den bekanntgegebenen Überschussbeteiligungsbetrag an sie auszuzahlen, zuzüglich Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz ab Fälligkeit,

7. die Beklagte zu verurteilen, an sie außergerichtliche Rechtsanwaltskosten in Höhe von 2.833,15 € zu zahlen.

Die Beklagte verteidigt das erstinstanzliche Urteil und beantragt unter Festhaltung und Ausweitung ihres erstinstanzlichen Vortrags die Zurückweisung der Berufung.

Der Senat hat die Klägerin im Termin vom 27.11.2013 persönlich angehört; auf den Inhalt der Protokollniederschrift wird ergänzend Bezug genommen.

II.

Die zulässige Berufung der Klägerin ist nicht begründet. Die Zivilkammer hat im Ergebnis zutreffend die Klage abgewiesen.

Auf die Beurteilung des Vertragsverhältnisses der Parteien ist das Versicherungsvertragsgesetz in seiner bis zum 31.12.2007 geltenden Fassung anzuwenden (vgl. § 1 Abs. 2 EGVVG).

1. Allerdings bestehen – entgegen der Rechtsansicht der Beklagten – an der Zulässigkeit der Klage auch insoweit keine Bedenken, als die Klägerin im Berufungsrechtszug betreffend den Zeitraum 01.11.2010 bis 01.02.2013 ihren ursprünglichen Feststellungsantrag auf einen Zahlungsantrag umgestellt hat. Einen solchen Wechsel von der Feststellungs- zur Leistungsklage kann die Klägerin grundsätzlich auch noch im Berufungsrechtszug vollziehen (vgl. BGH NJW-RR 2002, 283). Hinsichtlich des Berufungsantrags Ziff. 4 (Feststellung zukünftiger Rentenansprüche) fehlt es nicht an einem Feststellungsinteresse.

2. Die Klägerin hat bereits die Voraussetzungen einer bedingungsgemäßen Berufungsunfähigkeit nicht hinreichend dargelegt; auf die weiteren Voraussetzungen des Rentenanspruchs kommt es nicht an.

a) Eine bedingungsgemäße Berufsunfähigkeit liegt nach den Versicherungsbedingungen vor, wenn die versicherte Person infolge Krankheit, Körperverletzung oder Kräfteverfalls, die ärztlich nachzuweisen sind, mindestens sechs Monate ununterbrochen außerstande war oder voraussichtlich außerstande sein wird, ihrem zuletzt ausgeübten Beruf wie in gesunden Tagen nachzugehen (§ 2 (1) BBU). Gemäß § 2 (7) BBU ist eine Berufsunfähigkeit von mindestens 50 % nachgewiesen, wenn die Berufsunfähigkeitsvoraussetzungen für mindestens 6 Monat ununterbrochen zu zumindest 50 % erfüllt oder voraussichtlich erfüllt sein würden.

b) Die Beurteilung der bedingungsgemäßen Berufsunfähigkeit beruht grundsätzlich auf einer ärztlichen Prognose darüber, dass nach dem Stand der medizinischen Wissenschaft der die Arbeitsunfähigkeit bedingende Zustand eine Erwartung auf Besserung nicht mehr rechtfertigt (BGH VersR 1989, 1182; 1984, 630). Ausgangspunkt ist der vom Versicherungsnehmer behauptete Zeitpunkt des Eintritts der Berufsunfähigkeit (BGH VersR 1995, 159; 2000, 349). Diese ist hier erst nachgewiesen, wenn feststeht, dass die Klägerin in der Zeit ab Juni 2008 für einen Zeitraum von sechs Monaten ununterbrochen nicht in der Lage war, zu mindestens 50% ihren Beruf auszuüben. Maßgeblich ist somit, wie sich die gesundheitlichen Beeinträchtigungen der Klägerin auf ihre konkrete Berufsausübung ausgewirkt haben. Deshalb muss sie substantiiert vortragen und nachweisen, wie ihre Arbeitsbedingungen im maßgeblichen Zeitraum tatsächlich beschaffen waren bzw. beschaffen gewesen wären, hätte sie gearbeitet, und welche Anforderungen sie in ihrem Beruf ausgesetzt war. Erst wenn der zuletzt ausgeübte Beruf der Klägerin in seiner konkreten Ausgestaltung feststeht, kann ein Sachverständiger dazu befragt werden, in welchem Ausmaß behauptete gesundheitliche Einschränkungen sich auf die dem Sachverständigen vorgegebene konkrete Berufsausübung ausgewirkt haben (vgl. BGHZ 119, 263, 266; VersR 2005, 676; 1996, 1090; Prölss/Martin VVG 28. Aufl. §172 Rn. 54 f.). Denn dem Sachverständigen ist es erst nach Feststellung des konkreten Berufsbildes möglich, Ausführungen dazu zu machen, ob und inwieweit Erkrankungen der Klägerin die Ausführung einzelner Arbeitsschritte beeinträchtigen. Ist ihm dies wegen des Fehlens eines bestimmten Berufsbildes nicht möglich, kann auch nicht festgestellt werden, ob die fragliche Erkrankung einzelne Anforderungen einschränkt oder die gesamte Arbeitsleistung derart beeinflusst, dass ein sinnvolles Arbeitsergebnis nicht mehr zu erzielen ist (vgl. dazu beispielsw.: BGH VersR 2003, 631; VersR 2011, 552; Beschl. v. 27.02.2008 – V ZR 45/06, juris). Anzugeben ist deshalb eine ganz konkrete Arbeitsbeschreibung, mit der die anfallenden Tätigkeiten ihrer Art, ihres Umfangs sowie ihrer Häufigkeit nach für einen Außenstehenden nachvollziehbar werden. Erst auf Grundlage dieses Vortrages nebst evtl. erforderlicher Beweisaufnahme kann ein medizinischer Sachverständiger eingeschaltet werden (BGHZ 119, 263; VersR 2005, 676). Nach der Rechtsprechung muss ein Betriebsinhaber, der bislang in seinem Betrieb mitgearbeitet hat und nunmehr behauptet, aus gesundheitlichen Gründen in seinem Betrieb arbeitsunfähig geworden zu sein, zudem darlegen – ggfs. unter Beweisantritt – wie sein Betrieb bisher organisiert gewesen ist, in welcher Art und in welchem Umfang er mitgearbeitet hat und weshalb er angesichts seiner gesundheitlichen Beeinträchtigung keine Betätigungsmöglichkeiten mehr hat bzw. dass ihm eine zumutbare Betriebsumorganisation keine die Berufsunfähigkeit ausschließende Betätigungsmöglichkeit mehr eröffnet. Schlüssig ist ein solcher Vortrag nur, wenn die von ihm bislang ausgeübte Arbeitsleistung die ihm nunmehr gesundheitlich noch mögliche Betriebsleitung zumindest um das Doppelte übersteigt (BGH VersR 1991, 1358; OLG Köln, VersR 1994, 1096). Eine solche Umorganisation muss dem Betriebsinhaber allerdings nicht nur möglich, sondern auch zumutbar sein und darf nicht mit auf Dauer ins Gewicht fallenden unzumutbaren Einkommenseinbußen verbunden sein (so OLG Frankfurt/Main, Urteil vom 09.02.2000 – 7 U 46/98 m.w.N., juris). In diesem Zusammenhang ist zu prüfen, ob die verbleibenden Tätigkeiten, die der Versicherte noch ausüben kann, seinem „Beruf“ gleichzusetzen sind, mithin ob er seine Arbeit mit den sie prägenden Merkmalen noch in dem erforderlichen Ausmaß (hier: mindestens 50 %) wahrnehmen kann.

c) Zwischen den Parteien ist jedenfalls im Berufungsrechtszug nicht streitig, dass die Klägerin – entsprechend den Feststellungen des Landgerichts – an einer mehrdimensionalen (ängstlich-dysthym-somatoformen) psychosomatischen Störung mit einer relevanten Einschränkung der Erlebnis- und Gestaltungsfähigkeit im privaten und beruflichen Bereich leidet und dass diese zu einer (zumindest) leichten bis mittleren Beeinträchtigung ihrer Aufmerksamkeits- sowie Konzentrationsfähigkeit und Stressbelastbarkeit führt, weshalb Tätigkeiten, die mit erhöhtem Stress verbunden sind, nicht leidensgerecht sind. Auf dieser Grundlage kommt es entscheidend darauf an, in welchem zeitlichen und inhaltlichem Umfang die Klägerin bei Eintritt der behaupteten Berufsunfähigkeit mit solchen in erhöhtem Maße stressauslösenden Tätigkeiten betraut gewesen war. Das danach zur Beurteilung ihrer bedingungsgemäßen Berufsunfähigkeit notwendige Berufsbild bei ihrem Ausscheiden aus der … im Juni/August 2008 hat die Klägerin jedoch auch im Berufungsrechtszug nicht in genügender Weise präzisiert. Ihr Vortrag gibt kein hinreichend klares Bild der wirklich für die Klägerin unmittelbar vor Eintritt der behaupteten Berufsunfähigkeit angefallenen Tätigkeiten und ihren Anforderungen an die Leistungsfähigkeit der Klägerin.

aa) Zur inhaltlichen Ausgestaltung ihres Tätigkeitsgebietes hat die Klägerin erstinstanzlich zusammengefasst vorgetragen, die von ihr und ihren beiden Mitgesellschaftern geführte … habe im Jahr 1999 in … für 12,5 Mio. DM ein Gelände im Umfang von 72.808 m² erworben, um diesen Grundbesitz mit Wohnungen, Gewerbebebauung und einem Yachthafen zu bebauen. Sie selbst sei als kaufmännische Leiterin auch in die Bauträgertätigkeit eingebunden gewesen, ihre Tätigkeit habe sich auf die ganze Projektphase erstreckt, wobei ein Schwerpunkt in der kaufmännischen Baukontrolle gelegen habe. Nach Aufforderung durch die Zivilkammer hat die Klägerin diese Ausführungen im Verlaufe des Prozesses näher konkretisiert und zu verschiedenen Projektphasen („Projektierung“, „Durchführung“, „Verkauf“ sowie sonstige Tätigkeiten) in Bezug gesetzt; auf die von der Klägerin mit Schriftsatz ihres Prozessbevollmächtigten vom 28.02.2011 vorgelegte „Präzisierung“ Bl. 29 – 31 d.A. wird Bezug genommen.

Zum zeitlichen Umfang der beruflichen Tätigkeit der Klägerin im Juni 2008 hat das Ausgangsgericht darüber hinaus die Feststellung getroffen, dass diese als geschäftsführende Gesellschafterin der … mit einer durchschnittlichen Arbeitszeit von 40 Wochenstunden tätig gewesen war. Eine darüber deutlich hinausreichende Arbeitsbelastung vermochte die Kammer hinsichtlich des für die Beurteilung maßgeblichen Zeitraums nicht festzustellen.

Im Berufungsverfahren hat die Klägerin ferner ausgeführt, eine Stressbelastung sei, da sie an „vorderster Front“ in der Baubranche tätig gewesen sei, in keiner Weise zu reduzieren oder gar zu vermeiden gewesen. Ihr Arbeitsalltag sei weder planbar, noch in irgendeiner Weise vorhersehbar gewesen. Kurzfristig eintretende Ereignisse, wie etwa unvorhergesehene Witterungsumschwünge und sich dadurch verändernde Fertigstellungszeiten hätten den geplanten Arbeitstag durcheinandergeworfen und weiteren Stress verursacht.

Auf einen mit Verfügung des Senatsvorsitzenden vom 21.08.2013 erteilten Hinweis hat die Klägerin ihre konkrete Berufsausübung an einem durchschnittlichen Arbeitstag vor Eintritt der behaupteten Berufsunfähigkeit zuletzt wie folgt beschrieben (vgl. insbesondere den Schriftsatz ihrer Prozessbevollmächtigten vom 30.10.2013):

(1) Projektierungsphase

– 2 h täglich: Vorgespräche

– 16 h wöchentlich: Gespräche mit

– Bank (4 h )

– Stadt (8 h)

– Bauaufsicht etc. (4 h)

– 2 h täglich Gespräch mit Architekten

– 2 h täglich: Angebote einholen bzw. Gespräch mit Bauunternehmer

– 2 h täglich: Präsentation

– 2 h täglich: Korrespondenz

(2) Durchführungsphase

– 2 h täglich: Ein- und Ausgabekontrolle Rechnungen

– 3 h wöchentlich: Vorarbeiten für Steuerbüro

– 3 x mehrere h wöchentlich: Baustellenbesprechungen

– 2-3 h täglich: Folgearbeiten aus Baustellenbesprechungen

– wöchentlich 4 h: Werbung/Akquise

(3) Verkaufsphase

– 4-5 h täglich: Verkaufsgespräche

– 2 h wöchentlich: Pflege der Verkaufsliste

– 3 h wöchentlich: Vorbereitung Notarunterlagen

– mehrere h monatlich: Pflege der Vermietungsliste

– mehrere h wöchentlich: Bearbeitung Reklamation

– mehrere h wöchentlich: Bearbeitung Baumängel

– mehrere h wöchentlich: Betreuung von Kunden

Im Rahmen ihrer Anhörung durch den Senat hat die Klägerin diese Angaben wie folgt ergänzt:

Die Projektierungs- und die Bauphase seien spätestens im Jahr 2007 beendet worden. Während ihrer Tätigkeit für die … seien bis auf vier Objekte sämtliche Wohneinheiten des Projekts und ca. die Hälfte von 150 Liegeplätzen verkauft worden. Neben Tätigkeiten im Rahmen der Vermietung der nicht verkauften Liegeplätze an Gastlieger habe sie für die Käufer der Wohnobjekte Maklerdienste (Vermietung, Veräußerung sonstiger Liegenschaften) erbracht. In den Jahren 2007 und 2008 habe der Schwerpunkt ihrer Tätigkeit in der Weiterveräußerung von Objekten in der Anlage und Verwaltung der nicht veräußerten Liegeplätze bestanden.

bb) Diese Behauptungen der Klägerin lassen nicht hinreichend erkennen, wie ihre durchschnittliche Arbeitstätigkeit im Zeitpunkt des Eintritts der behaupteten Berufsunfähigkeit (Juni 2008) konkret beschaffen war und welche, mit erhöhtem Stress verbundenen und deshalb zu vermeidenden Tätigkeiten sie zu diesem Zeitpunkt noch zu verrichten hatte.

(1) Soweit die Klägerin ihre Tätigkeiten während der Projektierungs- und der Bau- bzw. Durchführungsphase näher beschrieben hat, sind diese Angaben schon deshalb nicht relevant, weil diese Phasen nach den Ausführungen der Klägerin im Termin vom 27.11.2013 zum verfahrenserheblichen Zeitpunkt bereits vollständig abgeschlossen waren. Wegen des bis dahin nahezu vollständigen Abschlusses des Verkaufs der Wohnungen des Bauobjekts waren Verkaufsverhandlungen im Wesentlichen lediglich noch hinsichtlich der noch nicht veräußerten Liegeplätze erforderlich. Vor diesem Hintergrund bleibt offen, wie sich der von der Klägerin angegebene zeitliche Aufwand für Verkaufsgespräche entwickelt und im Juni 2008 dargestellt hat.

(2) Es fehlen, bezogen auf den Zeitpunkt Juni 2008, hinreichend konkrete Angaben zur durchschnittlichen Wochenarbeitszeit und zum durchschnittlichen Tagesablauf. Zu einer differenzierten Darstellung hätte schon deshalb Anlass bestanden, weil die Klägerin zuletzt selbst darauf abgestellt hat, dass ihre Arbeitszeiten „entsprechend der unterschiedlichen Baufortschritte bzw. der anfänglichen Planungsphase“ unterschiedlich waren (vgl. Schriftsatz ihrer Prozessbevollmächtigten vom 30.10.2013, S. 2). Soweit die Klägerin im Berufungsrechtszug abweichend von der Feststellung des Landgerichts, dass von einer durchschnittlichen Tagesarbeitszeit von acht Stunden ausgegangen war, nunmehr behauptet, ihre durchschnittliche tägliche Arbeitszeit habe „teilweise sogar bis zu 16 Stunden“ betragen, zeigt sie zudem keine Anhaltspunkte auf, die Zweifel an der Richtigkeit und Vollständigkeit der von der Zivilkammer getroffenen Feststellungen begründen und eine erneute Feststellung gebieten könnten (§ 529 Abs. 1 Nr. 1 ZPO). Denn die Klägerin hat auch auf entsprechenden Hinweis des Senats im Termin vom 27.11.2013 nicht darzulegen vermocht, wie im Beurteilungszeitraum (Juni 2008) der zeitliche Aufwand konkret bemessen war. Zwar hat sie nach Schluss der mündlichen Verhandlung (vgl. den Schriftsatz ihrer Prozessbevollmächtigten vom 17.12.2013) ergänzend ausgeführt, nach Beendigung der Bauphase habe es drei sich jeweils über mehrere Jahre erstreckende Gewährleistungsprozesse mit Generalunternehmern der … gegeben, für deren Vorbereitung in tatsächlicher Hinsicht sie zuständig gewesen sei und die eine Tätigkeit von wöchentlich mehreren Stunden Arbeitszeit eingenommen habe. Dieser Vortrag gibt indes keinen Anlass, die mündliche Verhandlung wieder zu eröffnen, § 156 ZPO. Denn er enthält keine konkreten Angaben dazu, welcher Art diese Tätigkeiten konkret waren und in welchem Umfang mit deren Erledigung besondere Stressfaktoren verbunden gewesen sind. Dieser Vertrag ist zudem neu und müsste wegen Verspätung zurückgewiesen werden (§§ 531 Abs. 2 Nr. 3, 530, 520, 296 ZPO), weshalb ebenfalls eine Wiedereröffnung der mündlichen Verhandlung ausscheiden müsste. Die der Klägerin bewilligte Schriftsatzfrist erfasst diesen neuen Vertrag nicht, da er nicht durch den Schriftsatz der Gegenseite vom 25.11.2013 veranlasst wurde. Entsprechendes gilt für den Schriftsatz vom 14.01.2014.

(3) Zweifel an der Richtigkeit der Ausführungen der Klägerin im Berufungsverfahren ergeben sich im Übrigen aus dem Umstand, dass diese hinsichtlich ihrer durchschnittlichen täglichen Arbeitsbelastung im Verfahren widersprüchliche Angaben gemacht hat. Diese Zweifel hat die Klägerin nicht ausgeräumt. Dabei kann dahin stehen, ob die Klägerin – wie von ihr behauptet – die Fragen im Leistungsantrag vom 09.12.2008 (Anlage K1 zur Klageschrift vom 15.12.2010) tatsächlich krankheitsbedingt missverstanden hat und deshalb dort zu Unrecht ihre durchschnittliche Arbeitszeit mit (lediglich) acht Stunden täglich an 5 Arbeitstagen die Woche angegeben hat. Allerdings hat die Klägerin in der Klageschrift vortragen lassen, die in dem Vordruck gestellten Fragen „wahrheitsgemäß und komplett“ ausgefüllt zu haben. Im Rahmen ihrer Befragung durch das Landgericht hat die anwaltlich vertretene Klägerin angegeben, sie habe „morgens so 8 Uhr angefangen“ und sei „den ganzen Tag bis 16 Uhr oder 17 Uhr in der Firma“ gewesen, auch „am Wochenende (…) wenn wir bestimmte Kunden hatten, die nur am Wochenende Zeit hatten“, (vgl. S. 4 der Niederschrift über den Termin vom 23.08.2012, Bl. 101 d.A.). Diese Ausführungen sind mit ihrer Behauptung einer durchschnittlichen täglichen Arbeitszeit von bis zu 16 Stunden und einem täglichen Arbeitseinsatz bis mindestens 19 Uhr nicht in Einklang zu bringen.

III.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 Abs. 1 ZPO und die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit auf den §§ 708 Nr. 10 S. 2, 711 ZPO.

Die Zulassung der Revision ist nicht veranlasst, weil die Voraussetzungen hierfür (§ 543 Abs. 2 ZPO) nicht vorliegen.

Beschluss

Der Streitwert wird für das Berufungsverfahren auf bis zu 260.000,00 € festgesetzt.

Antrag 1:  78.400,00 €

Antrag 2:  75.600,00 €

Antrag 3:  2.851,60 €

Antrag 4:  94.080,00 € (2.800,00 €x 12 x 3,5 abzgl. 20 %)

Antrag 5 + 6:  5.000,00 €

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