Oberlandesgericht Saarbrücken – Az.: 5 W 69/13 – Beschluss vom 19.12.2013
1. Auf die sofortige Beschwerde der Antragstellerin wird der Beschluss des Landgerichts Saarbrücken vom 17.5.2013 – 14 O 43/13 – wie folgt abgeändert:
Der Antragstellerin wird für die erste Instanz ratenfreie Prozesskostenhilfe für die Geltendmachung von monatlichen Rentenleistungen in Höhe von 1.428,54 € (Antrag zu 1 des Klageentwurfs), für die Zahlung rückständiger Renten in Höhe von insgesamt 17.142,48 € (Antrag zu 2 des Klageentwurfs) und für die Freistellung von Beiträgen zur Berufsunfähigkeitsversicherung (Antrag zu 3 des Klageentwurfs) bewilligt und der Rechtsanwalt W., S., beigeordnet.
Im Übrigen wird die sofortige Beschwerde zurückgewiesen.
2. Die Kosten des Beschwerdeverfahrens werden nicht erstattet.
Gründe
I.
Die Antragstellerin begehrt Prozesskostenhilfe für eine Klage auf Leistungen aus einer seit dem 1.8.2008 bestehenden Berufsunfähigkeitsversicherung, welcher die Allgemeinen Versicherungsbedingungen der Beklagten (AVB, Bl. 14 ff. d.A.) sowie die Besonderen Versicherungsbedingungen für die selbständige Berufsunfähigkeitsversicherung der Berufsgruppen 1+ bis 3 und K, der Berufsgruppe 4 sowie der Heilberufe (BB-BU, Bl. 18 ff. d.A.) zugrunde liegen.
Sie macht geltend, wegen einer im Jahr 2010 aufgetretenen Epilepsie und hiermit verbundener neurologischer Ausfallerscheinungen außerstande zu sein, ihren Beruf als Kosmetikerin und Nageldesignerin auszuüben. Diesen habe sie zunächst in einem selbständig betriebenen Nagelstudio ausgeübt, ab dem Jahr 2009 als Angestellte einer GmbH ihres Ehemannes. Ab September 2009 habe sie sich in Mutterschutz, in der Folge in Elternzeit befunden.
Ihren Antrag auf Leistungen wegen Berufsunfähigkeit vom 24.1.2012 (Bl. 37 ff. d.A.) hat die Antragsgegnerin mit Schreiben vom 17.9.2012 (Bl. 57 d.A.) und vom 1.10.2012 (Bl. 58 d.A.) zurückgewiesen. Es lasse sich nicht beurteilen, ob die diagnostizierte idiopathische Epilepsie mit Absencen zu bedingungsgemäßer Berufsunfähigkeit geführt habe, weil die Antragstellerin nicht habe angeben können, mit welcher Häufigkeit solche Absencen auftreten.
Im vorliegenden Verfahren hat die Antragstellerin die Beschreibung ihrer beruflichen Tätigkeit und der krankheitsbedingten Einschränkungen dahin konkretisiert, dass ein Anteil von 70 % auf Nagelmodellage und ein Anteil von 30 % auf verschiedene kosmetische und fußpflegerische Tätigkeiten entfallen seien. An der Ausübung dieser Tätigkeit sei sie durch immer wiederkehrende unvorhersehbare neurologische „Aussetzer“ gehindert, welche täglich mehrfach, bis zu 20mal aufträten. Während dieser bis zu vier bis fünf Sekunden andauernden Phasen verliere sie gedanklich den Faden und wisse nicht was sie gerade tue. Dabei könne es vorkommen, dass sie ihr Werkzeug entweder fallen lasse oder krampfhaft festhalte. Es bestehe dann insbesondere die Gefahr, Kunden während der Behandlung mit Werkzeugen zu verletzen. Eine medikamentöse Behandlung, welche mit starken Nebenwirkungen verbunden gewesen sei, habe keine Besserung gebracht. Sie könne deshalb ihre Kerntätigkeit nicht mehr ausüben.
Die Klägerin beabsichtigt, im Klageweg Rentenleistungen in Höhe von monatlich 1.500 € ab Februar 2012 geltend zu machen.
Die Beklagte hat Ansprüche dem Grunde und der Höhe nach bestritten. Es fehle weiterhin sowohl eine konkrete nachvollziehbare Tätigkeitsbeschreibung unter Berücksichtigung der Anzahl der behandelten Kunden und zu Art und Häufigkeit „verschiedener Kosmetiktätigkeiten“ als auch eine hinreichend konkrete Beschwerdenschilderung. Wegen der Behauptung jeweils nur wenige Sekunden andauernder Ausfallzeiten fehle es außerdem an dem einem ununterbrochenen Außerstandesein wie es die Bedingungen forderten.
Das Landgericht hat diese Einschätzung geteilt und hat den Prozesskostenhilfeantrag mit Beschluss vom 17.5.2013 (Bl. 83 d.A.) mangels hinreichender Erfolgsaussichten zurückgewiesen.
Gegen diesen am 22.5.2013 zugestellten Beschluss hat die Antragstellerin am 24.6.2013, einem Montag, sofortige Beschwerde eingelegt (Bl. 95 d.A.), welcher das Landgericht mit Beschluss vom 2.7.2013 (Bl. 100 d.A.) nicht abgeholfen hat.
II.
Die gemäß § 127 Abs. 2 Satz 2 und 3 ZPO zulässige, insbesondere fristgemäß eingelegte sofortige Beschwerde der Antragstellerin ist – bis auf die Versagung von Prozesskostenhilfe für das über eine monatliche Rentenleistung von 1.428,54 € hinausgehende Klagebegehren – begründet.
Gemäß § 114 ZPO ist einer Partei, die nach ihren persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen die Kosten der Prozessführung nicht, nur zum Teil oder nur in Raten aufbringen kann, auf ihren Antrag Prozesskostenhilfe zu bewilligen, wenn die beabsichtigte Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung hinreichende Aussicht auf Erfolg bietet und nicht mutwillig erscheint.
Entgegen der Ansicht des Landgerichts können der beabsichtigten Klage die Erfolgsaussichten nicht abgesprochen werden.
1.
Der Senat teilt insbesondere nicht die Ansicht des Landgerichts, die Antragstellerin habe nicht hinreichend substantiiert dargelegt, dass sie infolge Krankheit, Körperverletzung oder mehr als altersentsprechenden Kräfteverfalls voraussichtlich sechs Monate ununterbrochen zu mindestens 50 % außerstande war oder ist, ihrem vor Eintritt der gesundheitlichen Beeinträchtigung zuletzt ausgeübten Beruf, so wie er ohne gesundheitliche Beeinträchtigung ausgestaltet war, nachzugehen (§ 5 Abs. 1 Satz 1 BB-BU).
a)
Entsprechende Feststellungen setzen voraus, dass der Versicherungsnehmer im Einzelnen darlegt, welche gesundheitlichen Beeinträchtigungen ihn in welcher konkreten Weise hindern, bestimmte qualitative oder quantitative Anforderungen seines Berufs zu erfüllen. Dem wird ein Versicherungsnehmer im Regelfall allein durch die Angabe seiner gesundheitlichen Leiden und die Behauptung einer daraus folgenden Berufsunfähigkeit genügen. Von Tiefe und Breite der Darlegung darf von ihm als medizinischen Laien insoweit grundsätzlich nicht zu viel verlangt werden (Senat, Urt. v. 8.3.2006 – 5 U 269/05-22 – VersR 2007, 96). Für den Umfang der Darlegungslast ist ferner von Belang, ob nur einzelne – den Beruf prägende – Verrichtungen nicht mehr möglich sind, ohne welche ein sinnvolles Arbeitsergebnis nicht mehr erreicht werden kann. Denn in diesem Fall tritt vollständige Berufsunfähigkeit ein, ohne dass es darauf ankäme, welchen zeitlichen Anteil diese Verrichtung im Verhältnis zu anderen zur beruflichen Tätigkeit gehörenden Verrichtungen einnimmt (vgl. Senat, Urt. v. 8.12.2010 – 5 U 8/10 – VersR 2011, 1166).
b)
Diesen Anforderungen ist die Antragstellerin gerecht geworden.
aa)
Sie hat dargelegt, an einer Epilepsie zu leiden, welche mit nicht vorhersehbaren neurologischen „Aussetzern“ verbunden sei und kann sich insoweit auf einen Arztbrief des Neurologen Dr. N. vom 11.6.2012 (Bl. 54 d.A.) beziehen, welcher die Diagnose einer idiopathischen Epilepsie mit Absencen enthält. Letztere hat die Antragstellerin anschaulich dahin beschrieben, dass sie für mehrere Sekunden nicht wisse was sie tue, wie erstarrt bleibe und keine Kontrolle über sämtliche Funktionen ihres Körpers habe. In der Beschwerdeinstanz hat sie ferner konkretisierend dargelegt, dass sie ihren Bewegungsablauf in diesem Zustand nicht bzw. nicht kontrolliert fortsetzen könne. Halte sie etwa gerade ein Messer in der Hand, könne es sein, dass sie dieses fallen lasse oder in einer Krampfbewegung besonders fest halte. Dabei könnten Verkrampfungen ihrer Muskeln dazu führen, dass sie nicht willentlich gesteuerte Bewegungen ausführe. Auf diese Weise sei es in der Vergangenheit vorgekommen, dass sie Kunden leichtere Verletzungen zugefügt habe, was bei diesen zu massiven Irritationen geführt habe.
bb)
Dies begründet Einschränkungen der beruflichen Fähigkeiten, welche bei wertender Betrachtung der Erkrankung zuzurechnen sind (vgl. hierzu Rixecker in Römer/Langheid, VVG, 4. Auflage 2014, § 172 Rdn. 29).
Dass der in dem Beruf der Antragstellerin unvermeidbare Umgang mit Scheren, Feilen, Pinzetten und ähnlichen Instrumenten die nicht vertretbare Gefahr von – auch schwereren – Körperverletzungen begründet, bedarf keiner näheren Begründung. Ihr kann auch durch die vom Landgericht in Betracht gezogene Verwendung „stumpfer“ oder sonst besonders konstruierter Maniküre- und Pediküreinstrumente nicht hinreichend wirksam begegnet werden. Dessen ungeachtet würde aber auch bei der Gefahr lediglich leichter Verletzungen nichts anderes gelten. Da die Berufsunfähigkeitsversicherung kein „Unmittelbarkeitserfordernis“ kennt, wäre bedingungsgemäße Berufsunfähigkeit sogar dann anzunehmen, wenn die Kunden infolge der von der Antragstellerin beschriebenen „Irritationen“ ausblieben (vgl. Rixecker, aaO.).
Da es sich um eine im oben beschriebenen Sinne prägende Verrichtung handelt, ist nicht von Belang, welchen zeitlichen Anteil der Gesamttätigkeit sie einnimmt und welche der übrigen, der Kerntätigkeit untergeordneten und durch diese bedingten Verrichtungen – wie Wareneinkauf, Buchhaltung, Terminplanung, Reinigungstätigkeiten etc. – die Antragstellerin noch ausführen kann.
2.
Die Erfolgsaussichten der beabsichtigten Klage sind schließlich auch nicht wegen eines Verstoßes gegen Behandlungsobliegenheiten zu verneinen.
Das Landgericht hat offen gelassen, ob der Antragstellerin deshalb keine Leistungen aus dem Versicherungsvertrag zustehen, weil diese sich – offenbar willentlich – gegen eine Behandlung ihrer angeblichen Erkrankung entschlossen habe, ohne dass ihr bisheriger Vortrag nachvollziehbare Gründe hierfür erkennen ließe.
Nach den Bedingungen der Antragsgegnerin ist die versicherte Person im Rahmen der allgemeinen Schadensminderungspflichten indessen lediglich angehalten, zumutbare Anweisungen ihrer Ärzte oder Heilpraktiker zur Besserung ihrer gesundheitlichen Verhältnisse Folge zu leisten. Zumutbar sind Maßnahmen, die gefahrlos und nicht mit besonderen Schmerzen verbunden sind und die außerdem sichere Aussicht auf Besserung des Gesamtzustandes bieten. Beispielhaft sind Maßnahmen wie die Verwendung von orthopädischen oder anderen Heil- und Hilfsmitteln, die Durchführung von logopädischen Maßnahmen oder das Tragen von Stützstrümpfen genannt (§ 7 Abs. 3 BB-BU). Eine medikamentöse Therapie, die nach dem Vorbringen der Antragstellerin mit schweren Nebenwirkungen verbunden ist und darüber hinaus keine Besserung bringt, fällt nicht hierunter.
3.
Wie die Antragsgegnerin in der Beschwerdeinstanz substantiiert vorgetragen hat, ist wegen des in ihren Bedingungen vorgesehenen rückwirkenden Wegfalls zwischen dem Eintritt der Berufsunfähigkeit und deren Anerkennung vorgenommener dynamischer Anpassungen indessen lediglich von einer monatlichen Rente in Höhe von 1.428,54 € auszugehen (Bl. 107 d.A.). Dem ist die Antragstellerin nicht entgegen getreten.
4.
Der Kostenausspruch beruht auf § 127 Abs. 4 ZPO.