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Berufsunfähigkeit bei Gesundheitsgefahren durch Medikamenteneinnahme

BGH,  Az.: IV ZR 5/11, Beschluss vom 11.07.2012

Leitsatz: Eine bedingungsgemäße Berufsunfähigkeit liegt nicht nur dann vor, wenn der Versicherungsnehmer zur Fortsetzung seiner zuletzt ausgeübten Tätigkeit infolge Krankheit, Körperverletzung oder Kräfteverfalls nicht mehr in der Lage ist, sondern ist auch anzunehmen, wenn eine durch Medikamenteneinnahme indizierte Gesundheitsbeeinträchtigung eine Fortsetzung der Berufstätigkeit unzumutbar erscheinen lassen. Die Beweislast für die Umstände, aus denen sich eine derartige Unzumutbarkeit ergibt, trägt der Versicherungsnehmer (Festhaltung BGH, 27. Februar 1991, IV ZR 66/90, VersR 1991, 450).(Rn.3)

Der Senat beabsichtigt, die Revision gegen das Urteil des 5. Zivilsenats des Saarländischen Oberlandesgerichts vom 8. Dezember 2010 gemäß § 552a ZPO auf Kosten des Klägers zurückzuweisen.

Die Parteien erhalten Gelegenheit, hierzu binnen eines Monats Stellung zu nehmen.

Streitwert: bis 80.000 €.

Gründe

berufsunfähig durch medikamenteneinnahme
Symbolfoto: akobchukOlena / Bigstock

Die Voraussetzungen für die Zulassung der Revision (§ 543 Abs. 2 ZPO) liegen nicht vor und das Rechtsmittel hat keine Aussicht auf Erfolg (§ 552a ZPO).

1. Die für die Entscheidungen bedeutsamen grundsätzlichen Fragen sind durch die Senatsrechtsprechung geklärt.

Zutreffend geht das Berufungsgericht davon aus, dass eine bedingungsgemäße Berufsunfähigkeit nicht nur dann vorliegt, wenn der Versicherungsnehmer infolge Krankheit, Körperverletzung oder Kräfteverfalls nicht mehr zur Fortsetzung seiner zuletzt ausgeübten Berufstätigkeit (zu deren Maßgeblichkeit vgl. Senatsurteil vom 26. Februar 2003 – IV ZR 238/01, VersR 2003, 631 unter II 1) imstande ist, sondern auch anzunehmen ist, wenn Gesundheitsbeeinträchtigungen eine Fortsetzung der Berufstätigkeit unzumutbar erscheinen lassen (OLG Koblenz r+s 2000, 301; Lücke in Prölss/Martin, VVG 28. Aufl. BU § 2 Rn. 29 m.w.N.). Letzteres kann nicht nur dann der Fall sein, wenn sich die fortgesetzte Berufstätigkeit des Versicherungsnehmers angesichts einer drohenden Verschlechterung seines Gesundheitszustandes als Raubbau an der Gesundheit und deshalb überobligationsmäßig erweist (vgl. dazu Senatsurteile vom 11. Oktober 2000 – IV ZR 208/99, VersR 2001, 89 unter II 1 m.w.N.; vom 30. November 1994 – IV ZR 300/93, VersR 1995, 159 unter 3 b; OLG Karlsruhe VersR 1983, 281), sondern kommt auch in Betracht, wenn andere mit der Gesundheitsbeeinträchtigung in Zusammenhang stehende oder zusammenwirkende Umstände in der Gesamtschau ergeben, dass dem Versicherungsnehmer die Fortsetzung seiner zuletzt ausgeübten Tätigkeit nicht mehr zugemutet werden kann (Senatsurteil vom 11. Oktober 2000 aaO; OLG Koblenz aaO). Eine solche Unzumutbarkeit kann grundsätzlich auch daraus folgen, dass zwar die Erkrankung des Versicherungsnehmers seiner Weiterarbeit vordergründig nicht im Wege steht, ihm dabei aber infolge einer durch die Erkrankung indizierten Medikamenteneinnahme ernsthafte weitere Gesundheitsgefahren drohen (vgl. dazu Senatsurteil vom 27. Februar 1991 – IV ZR 66/90, VersR 1991, 450 unter 2 b).

2. Das Berufungsgericht hat zu Recht angenommen, der Kläger trage als Versicherungsnehmer die Beweislast für diejenigen Umstände, aus denen sich eine solche Unzumutbarkeit ergeben soll (vgl. dazu Senatsurteil vom 26. Februar 2003 – IV ZR 238/01, VersR 2003, 631 unter II). Dass es diesen Nachweis als nicht erbracht angesehen hat, betrifft lediglich den zur Entscheidung stehenden Einzelfall und lässt keinen Rechtsfehler erkennen.

a) Soweit das Berufungsgericht nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme davon ausgeht, beim Kläger liege keine wesentliche Einschränkung der Lungen- oder Bronchialfunktion vor und auch die Gefahr äußerer Verletzungen sei für die Frage der Unzumutbarkeit der weiteren Berufsausübung unerheblich, weil sich Schürf- oder Platzwunden trotz längerer Blutgerinnungszeiten ausreichend behandeln ließen, hat die Revision dagegen nichts erinnert.

b) Ob dem Kläger eine Fortsetzung seiner früher ausgeübten Berufstätigkeit zugemutet werden kann, hängt mithin davon ab, wie die Gefahr innerer Blutungen nach Stürzen beurteilt werden muss. Das Berufungsgericht hat zugunsten des Klägers unterstellt, er habe im Rahmen seiner zuletzt ausgeübten Tätigkeit auch auf Leitern oder Gerüsten in Höhen von bis zu sechs Metern arbeiten müssen.

aa) Unstreitig liefe der Kläger nach einem Sturz von einer Leiter oder einem Gerüst infolge seiner medikamentös gehemmten Blutgerinnung Gefahr, innere Blutungen – insbesondere auch Gehirnblutungen – zu erleiden, die zu schwersten Schäden bis hin zum Tode führen können. Ungeachtet des Umstands, dass ein Sturz – zumal aus bis zu sechs Metern Höhe – auch bei Gesunden zu massiven Gesundheitsbeeinträchtigungen führen kann, trifft den Kläger insoweit ein zusätzliches Risiko.

bb) Dennoch lässt sich die Frage der Unzumutbarkeit allein mit dieser Feststellung nicht beantworten. Im Rahmen der gebotenen Gesamtabwägung der Fallumstände ist vielmehr von erheblicher Bedeutung, mit welchem Grad der Wahrscheinlichkeit ein solcher Unfall befürchtet werden muss. Zwar ist dem Versicherungsnehmer eine Fortsetzung seiner bisherigen beruflichen Tätigkeit dann nicht zuzumuten, wenn diese nachweislich bereits zu weitergehenden gesundheitlichen Beeinträchtigungen geführt hat oder solche Schäden ernsthaft zu erwarten sind (Senatsurteile vom 11. Oktober 2000 – IV ZR 208/99, VersR 2001, 89 unter II 1; vom 27. Februar 1991 – IV ZR 66/90, VersR 1991, 450 unter 2 b; OLG Saarbrücken VersR 2004, 1165). Davon kann aber nicht schon dann ausgegangen werden, wenn lediglich feststeht, dass dem Versicherungsnehmer besondere Gesundheitsgefahren nur bei Eintritt bestimmter Unfallereignisse drohen.

Die gesundheitliche Einschränkung des Klägers geht nicht mit einer maßgeblichen verminderten körperlichen Leistungsfähigkeit, insbesondere nicht mit Einschränkungen seiner Beweglichkeit einher, so dass sie keine erhöhte Sturzgefahr begründet. Das besondere Gesundheitsrisiko des Klägers wirkte sich mithin erst aus, wenn es aus anderen Gründen zu einem Sturz käme. Dem Kläger wäre ein Arbeiten auf Leitern oder Gerüsten erst dann nicht mehr zuzumuten, wenn sich Anhaltspunkte dafür finden ließen, dass berufsbedingt eine konkrete Absturzgefahr besteht. Selbst wenn im Falle eines Unfalls – wie hier – besonders schwerwiegende gesundheitliche Schäden drohen, kann auf das Erfordernis einer hinreichend konkreten Gefahr des Unfalleintritts nicht vollends verzichtet werden, mögen auch die Anforderungen an den Grad der Wahrscheinlichkeit bei – wie hier – drohenden schwerwiegenden Unfallfolgen herabgesetzt sein.

cc) All das hat das Berufungsgericht zutreffend erkannt. Seine Bewertung, eine ernsthaft und konkret bestehende Absturzgefahr habe der Kläger nicht bewiesen, erweist sich als rechtsfehlerfrei.

(1) Zu Unrecht beanstandet die Revision, das Berufungsgericht habe sich ohne ausreichende eigene Sachkunde über die Gefahreneinschätzung des arbeitsmedizinischen Sachverständigen Dr. S.  hinweggesetzt. Das ergibt sich schon daraus, dass das Berufungsgericht sich mit der anderslautenden Auffassung des Landgerichts auseinandersetzt, welches sich seinerseits auf die Ausführungen des Sachverständigen gestützt hatte. Da hier keine medizinischen Fragen danach zu beantworten waren, inwiefern bestimmte Bewegungseinschränkungen des Klägers sich auf seine Fähigkeit, auf Leitern oder Gerüsten zu arbeiten, auswirken könnten, war zur Beurteilung des Absturzrisikos besondere medizinische Sachkunde nicht erforderlich. Soweit sich der Sachverständige bei seiner Einschätzung auf die vom Hauptverband der gewerblichen Berufsgenossenschaften herausgegebene Arbeitsunfallstatistik 2002 gestützt hat, wonach für das Jahr 2002 insgesamt 31.000 Leiter- und 14.000 Gerüstunfälle registriert sind, lässt sich aus diesen absoluten Zahlen eine für den Kläger relevante Unfallwahrscheinlichkeit nicht ablesen. Zum einen fehlt eine Gegenüberstellung mit der Zahl der im Berichtszeitraum auf Leitern und Gerüsten tätigen Arbeitnehmer und ihrer dabei geleisteten Arbeitsstunden, zum anderen sind diese Unfallzahlen nicht nach Berufsgruppen aufgeschlüsselt und weisen mithin auch nicht aus, in welchem Umfang gerade Schweißer von solchen Unfällen betroffen waren.

(2) Dass das Berufungsgericht in seine Abwägung auch die Überlegung eingestellt hat, die Gefahr von Stürzen aus größerer Höhe könne durch Beachtung zumutbarer Arbeitsschutzmaßnahmen eingedämmt werden, ist entgegen dem Vorwurf der Revision keine sachfremde Erwägung. Auch der Sachverständige geht davon aus, dass der Sturzgefahr mittels der gebotenen Unfallverhütungsmaßnahmen in aller Regel entgegengewirkt werden könne. Soweit die Revision beanstandet, das Berufungsgericht habe dem Kläger ein besonderes Maß an Vorsicht abverlangen wollen, obwohl eine solche Forderung im Arbeitsalltag und insbesondere auf Baustellen unrealistisch sei, findet dies im Berufungsurteil keine Stütze. Das Berufungsgericht hat vielmehr ausgeführt, dass jeder, der in großen Höhen arbeite, im eigenen Interesse das Absturzrisiko minimieren müsse.

(3) Der Revision geht es im Kern darum, die tatrichterliche Würdigung der Fallumstände durch eine vermeintlich bessere zu ersetzen. Damit kann sie keinen Erfolg haben. Dass das Berufungsgericht keine hinreichend konkreten Anhaltspunkte für die Prognose gefunden hat, der Kläger laufe bei Wiederaufnahme seiner früheren Berufstätigkeit Gefahr, aus Höhen von bis zu sechs Metern abzustürzen, ist revisionsrechtlich hinzunehmen.

3. Der von der Revision gerügte Verstoß gegen § 139 ZPO ist jedenfalls nicht entscheidungserheblich.

Die Revision beanstandet, das Berufungsgericht habe den Kläger nicht ausreichend darauf hingewiesen, dass es abweichend vom Landgericht Zweifel an einer für die Unzumutbarkeit der Berufsausübung ausreichenden Wahrscheinlichkeit für einen Sturz des Klägers hatte. Auf entsprechenden Hinweis hätte der Kläger vorgetragen, dass er mit hoher Wahrscheinlichkeit schwere bis tödliche Folgen erlitte, sollte er von einem Gerüst oder einer Leiter stürzen. Davon ist das Berufungsgericht aber ohnehin ausgegangen. Die in Aussicht gestellten Tatsachenbehauptungen und Beweisantritte waren für die Frage, mit welcher Wahrscheinlichkeit der Kläger einen Sturz von einer Leiter oder einem Gerüst erleiden würde, unerheblich.

4. Die allgemeine Gefahr, dass der Kläger auch bei gewöhnlichen Stürzen, wie sie etwa beim Gehen geschehen können, oder bei ähnlichen Unfällen, etwa dem Anstoßen des Kopfes an einen harten Gegenstand, innere Blutungen mit schwerwiegenden Folgen erleiden kann, hat das Berufungsgericht zu Recht dem allgemeinen Lebensrisiko zugerechnet. Es ist nicht ersichtlich, dass durch die Fortsetzung der Berufstätigkeit des Klägers insoweit eine konkret erhöhte Gefahr gegenüber den sonstigen Gefahren des täglichen Lebens eintritt. Ein spezifischer Zusammenhang zu den gerade aus der Berufstätigkeit herrührenden Gefahren ist nicht erwiesen. Die allgemeine Erwägung, auf Baustellen gebe es schon nach der Lebenserfahrung mehr „Stolperfallen“ als etwa im Haushalt, reicht dafür nicht aus. Das ergibt sich auch daraus, dass der Sachverständige angenommen hat, die mit Stürzen aus weniger als zwei Metern Höhe verbundenen Gefahren rechtfertigten die Annahme einer Berufsunfähigkeit nicht. Auf den vom Berufungsgericht angestellten Vergleich mit den Gefahren des Straßenverkehrs kommt es im Weiteren nicht an.

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