Skip to content

Beendigung Lebensversicherungsvertrag – Auskunftsansprüche gegen Versicherung

LG Hamburg – Az.: 332 O 318/10 – Urteil vom 16.06.2011

1. Die Klage wird abgewiesen.

2. Der Kläger hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.

3. Das Urteil ist gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des zu vollstreckenden Betrags vorläufig vollstreckbar.

Tatbestand

Der Kläger verlangt von der Beklagten weitere Zahlungen nach Beendigungen eines Lebensversicherungsvertrages.

Der Kläger schloss bei der Beklagten im Jahr 1995 aufgrund seines Antrag vom 08.09.1995 (Anlage B 1) einen Vertrag über eine Kapitallebensversicherung ab, dessen Laufzeit ab dem 01.10.1995 begann. Im Oktober 1995 erhielt der Kläger den von der Beklagten in Kopie als Anlage B 2 vorgelegten Versicherungsschein vom 18.10.1995, auf den wegen der Einzelheiten verwiesen wird. Bezüglich der Prämienzahlung war eine Dynamisierung vereinbart. Die Beklagte übermittelte dem Klägerin insoweit jährlich sogen. „Dynamisierungs-Schreiben“, die als „Dynamik-Nachträge“ bezeichnet waren und in denen die Beklagte den Kläger darauf hinwies, dass er das Recht habe, der Dynamik zu widersprechen. Der Kläger widersprach der Dynamisierung nicht und zahlte bis Ende Juli 2009 monatlich seine Beiträge, insgesamt bis zur Beendigung des Vertrages zum 01.08.2009 jedenfalls Prämien i.H.v. 16.848,85 €.

Der Kläger trat seine Ansprüche aus dem Lebensversicherungsvertrag an die pC. Gesellschaft für P. u. D. AG (im Folgenden: „pC. AG“) ab und zeigte der Beklagten unter dem 23.06.2009 die Abtretung an (Anlage B 3). Mit Schreiben vom 26.06.2009 (Anlage B 4) erklärte der Bevollmächtigte der pC. AG gegenüber der Beklagten unter anderem Folgendes:

„Namens und in Vollmacht unserer Mandantschaft erklären wir

den Widerspruch gemäß §5a VVG/den Widerspruch nach § 8 VVG, vorsorglich die Anfechtung nach § 119 BGB, hilfsweise die Kündigung (…)“

und bat um Auszahlung auf das angegebene Konto.

Die Beklagte bestätigte unter dem 04.08.2009 (Anlage K 1) die Kündigung des Vertrags und kündigte an, den sich nach Kündigung ergebenden Rückkaufswert einschließlich Überschussanteilen und Bewertungsreserve i.H.v. insgesamt 14.825,37 € auf das benannte Konto zu zahlen, was in der Folgezeit geschah. Eine vollständige Rückzahlung der von dem Kläger geleisteten Beiträge lehnte die Beklagte ab. Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die Anlage K 2 Bezug genommen.

Der Kläger trägt vor, die Beklagte sei zur Rückerstattung der von ihm geleisteten Beiträge nebst angemessener Verzinsung von 7% abzüglich der Zahlungen der Beklagten entsprechend der Berechnung auf S. 13 der Klageschrift (Bl. 13 d.A.) verpflichtet.

Dem Kläger stünde gegen die Beklagte ein Anspruch auf Rückzahlung der Beiträge aus § 812 BGB zu. Der Kläger sei zum Widerruf des Vertrages berechtigt gewesen. § 5a VVG a.F. sei europarechtswidrig, so dass dem Kläger ein unbefristetes Widerrufsrecht zugestanden habe. Eine Belehrung im Antrag, wobei die von der Beklagten vorgelegte Anlage nicht lesbar sei, sei auch nicht ausreichend. Der Vertrag sei daher rückwirkend aufzuheben und abzurechnen gewesen, worauf sich der Klagantrag zu Ziff. 2) beziehe. Der Kläger habe sein Widerrufsrecht auch nicht verwirkt. Das Vertrauen der Beklagten in den Bestand des Vertrages sei nicht schutzwürdig.

Die Auskunftsansprüche des Klägers folgten aus § 176 Abs. 3 VVG i.V.m. § 242 BGB. Ohne die Angabe des Beitragsverlaufes und die in Ziff. 1 c) bezeichneten Eckwerte könne kein Versicherungsnehmer den Vertragsverlauf zurückverfolgen, geschweige denn den Rückkaufswert überprüfen. Der Anspruch des Versicherungsnehmers auf Auszahlung des Mindestrückkaufswerts beinhalte sinngemäß auch die sachgerechte Aufklärung über Stornokosten und die Angabe aller weiteren Daten, ohne welche sich der Mindestrückkaufswert nicht nachvollziehen lasse.

Der Kläger beantragt,

1. Die Beklagte wird verurteilt, durch Vorlage nachvollziehbarer Unterlagen darüber Auskunft zu erteilen:

a) Welche Beiträge während der Laufzeit des Vertrages eingezahlt wurden und welcher Gesamtbeitrag sich einschließlich der erreichten Verzinsung daraus errechnet,

b) mit welchen Abschlusskosten sie den Zeitwert des Vertrages (§ 176 Abs. 3 VVG alt!) und

c) mit welchem Abzug sie den Auszahlungsbetrag (§ 174 VVG, alt!) belastet hat,

d) welche Höhe der nach der Kündigung des Vertrages ausgezahlte Betrag ohne Berücksichtigung der Stornokosten hatte und zwar ausgehend von der höchstrichterlichen Vorgabe, dass bei Abzug von Abschlusskosten ein Mindestbetrag verbleiben muss, der durch die Hälfte des mit den Berechnungsgrundlagen der Prämienkalkulation berechneten ungezillmerten Deckungskapitals bestimmt wird.

d) Sollte sich nach den zu Ziff. 1) a) – c) erteilten Auskünften ein Differenzbetrag zwischen dem so ermittelten und dem tatsächlich ausgezahlten Rückkaufswert zugunsten der klagenden Partei ergeben, wird die Beklagte verurteilt, diesen Betrag nebst 5% Zinsen über dem aktuellen Zinssatz der Europäischen Zentralbank seit Klageerhebung zu zahlen.

2. Die Beklagte wird ferner verurteilt, die eingezahlten Beiträge i.H.v. 14.274,29 € nebst Zinsen zurück zu zahlen.

3. Hilfsweise, für den Fall, dass sich das Gericht der nach Meinung der Klägerpartei notwendigen Auslegung des § 5a VVG a.F. auf der Grundlage des Gemeinschaftsrechts nicht anschließt, wird beantragt, das Verfahren auszusetzen und gem. Art. 234 EG das Vorabentscheidungsverfahren vor dem Europäischen Gerichtshof zu folgenden Fragen einzuleiten.

a) Besteht nach Art. 35 Abs. 1, 36 Abs. 1 i.V.m. Anhang III. A. der Lebensversicherungsrichtlinie 2002/83 EG und Art. 10, 249 III EG-Vertrag für die Mitgliedstaaten die Pflicht, ein zeitlich unbegrenztes Widerspruchsrecht vorzusehen, wenn das Versicherungsunternehmen die erforderlichen Verbraucherinformationen nicht vor Abgabe der Willenserklärung des Versicherungsnehmers übermittelt hat? Wenn ja: verstößt die in §5a VVG a.F. vorgesehene zeitliche Befristung des Widerspruchsrechts gegen die zuvor genannten Vorschriften des Gemeinschaftsrechts?

b) Wird die Widerspruchsfrist nach den zuvor genannten Vorschriften in Gang gesetzt, wenn das Versicherungsunternehmen die Verbraucherinformationen nachträglich übermittelt? Wenn ja, beginnt die Widerspruchsfrist auch dann zu laufen, wenn der Kunde nachträglich intransparente Verbraucherinformationen erhält?

4. Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger die außergerichtlich angefallene Geschäftsgebühr gem. den §§ 13, 14, Nr. 2300 VV RVG in Höhe von 1.303,53 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem aktuellen Basiszinssatz der Europäischen Zentralbank seit Klagerhebung zu zahlen.

Die Beklagte beantragt, die Klage abzuweisen.

Die Beklagte rügt die Aktivlegitimation des Klägers und trägt vor, der Kläger bzw. die pC. AG sei nicht zum Widerruf des Vertrages berechtigt gewesen. Der Kläger sei mit dem Antrag und dem Policenbegleitschreiben vom 18.10.1995 über sein Widerrufsrecht belehrt worden. In dem Versicherungsschein, bei dem es sich um eine ganzheitlich geöste, einheitliche Versicherungsurkunde handele, seien die Versicherungsbedingungen und Verbraucherinformationen vollständig enthalten gewesen, so dass das 14-tägige Widerrufsrecht gem. § 5a VVG begonnen habe. § 5a VVG a.F. sei auch nicht europarechtswidrig. Aber auch wenn dies der Fall wäre, könne der Kläger allenfalls Staatshaftungsansprüche geltend machen. Eine richtlinienkonforme Auslegung verpflichte und berechtige nicht zur Auslegung contra legem. Die Beklagte sei ferner entreichert, weil mit dem Risikoanteil der Prämie Versicherungsschutz gewährt worden sei. Verbliebene Überschüsse seien über die Überschussbeteiligung weitestgehend den Versicherungsnehmern gutgeschrieben worden, der Sparanteil sei dem Kläger über dem Rückkaufswert erstattet worden, der Kostenanteil sei verbraucht worden und etwaige Überschüsse größtenteils über die Überschussbeteiligung zugeführt worden.

Ein Widerspruchsrecht sei jedenfalls verwirkt. Der Kläger habe den Vertrag fast 14 Jahre unbeanstandet laufen lassen, insbesondere den Dynamisierungsschreiben nicht widersprochen und damit zu erkennen gegeben, dass er den Vertrag durchführen und nicht widersprechen möchte. Die Beklagte habe in berechtigter Weise auf die Durchführung des Vertrages vertraut und Versicherungsschutz gewährt. Die Ansprüche seien ferner verjährt.

Die in dem Abrechnungsschreiben vom 04.08.2009 mitgeteilten Werte seien vertragsgemäß. Soweit der Kläger mit den Anträgen zu Ziff. 1 a) bis d) Auskunft über die Höhe des Mindestrückkaufswerts (BGH Urteil vom 12.10.2005) verlange, stünden ihm die Auskunftsansprüche nicht zu, weil er mit der Auszahlung des Rückkaufswertes i.H.v. 12.990,41 € weit mehr als die Hälfte der von ihm eingezahlten Beiträge erhalten habe. Das ungezillmerte Deckungskapital betrage 13.270,91 €, der Mindestrückkaufswert von 50% betrage 6.635,45 €.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die zwischen den Parteien gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

I.

Die zulässige Klage bleibt in der Sache Erfolg.

Zwar dürfte der Kläger angesichts der mit dem Schriftsatz vom 14.06.2011 vorgelegten Ermächtigung trotz der unstreitig an die pC. AG erfolgten Abtretung der Ansprüche aus der streitgegenständlichen Lebensversicherung zur Prozessführung im eigenen Namen und Geltendmachung der Leistungen an sich berechtigt sein. Dem Kläger stehen die geltend gemachten Ansprüche indes schon aus anderen Gründen nicht zu, so dass es auf die Frage der Aktivlegitimation nicht weiter ankommt. Der Beklagten war daher vor der Entscheidung des Rechtsstreits keine Stellungnahmemöglichkeit zu dem Schriftsatz des Klägers vom 14.06.2011 einzuräumen.

1. Dem Kläger bzw. der pC. AG als Zessionarin steht der mit dem Antrag zu Ziff.1) geltend gemachte Anspruch auf Auskunft und Zahlung des unter Ziff. 1 e) aufgeführten Differenzbetrages nicht zu.

Der Kläger begehrt mit den Anträgen zu 1) a) bis d) von der Beklagten die Mitteilung der eingezahlten Beiträge, der Höhe der Belastung des Zeitwerts mit Abschlusskosten, des Abzuges von dem Auszahlungsbetrag und insbesondere der Höhe, den der nach Kündigung des Vertrages ausgezahlte Betrag „ausgehend von der höchstrichterlichen Vorgabe, dass bei Abzug von Abschlusskosten ein Mindestbetrag verbleiben muss, der durch die Hälfte des mit den Berechnungsgrundlagen der Prämienkalkulation berechneten ungezillmerten Deckungskapitals bestimmt wird“ hatte sowie den Beleg der Auskünfte durch Unterlagen. Damit begehrt der Kläger die Mitteilung des sogen. BGH-Mindestrückkaufwertes, auf den ein Versicherungsnehmer im Wege der ergänzenden Vertragsauslegung nach der Rechtsprechung des BGH im Falle der vorzeitigen Beendigung eines Vertrages über eine kapitalbildende Lebensversicherung einen Anspruch hat, sofern die Regelungen in dem Vertrag über die Berechnung des Rückkaufswerts und der Verrechnung von Abschlusskosten etc. gem. §§ 305 ff. BGB intransparent sind (vgl. BGH, Urteil vom 12.10.2005, Az. IV ZR 162/03, Rn. 51, zit. nach Juris). Diesen Wert hat die Beklagte dem Kläger indes jedenfalls mit dem Schriftsatz vom 18.05.2011mitgeteilt, in welchem sie den Betrag des ungezillmerten Deckungskapitals mit 13.270,91 € angibt und die Hälfte davon – rechnerisch zutreffend – mit 6.635,45 €.

Daraus ergibt sich ferner, dass der Kläger bzw. die pC. AG, welcher die Beträge nach Abtretung entsprechend der Aufforderung (Anlage B 3, B 4) ausgezahlt wurden, mit dem von der Beklagten geleisteten Wert von 14.825,37 € bereits mehr als das Doppelte des sogen. BGH-Mindestrückkaufswertes erhalten hat. Damit ist auch nicht ersichtlich, dass der Kläger bzw. die pC. AG hier im Falle der Annahme der Intransparenz der Klauseln über den Rückkaufswert und die Verrechnung von Abschlusskosten (in der Police und den Allgemeinen Versicherungsbedingungen, Anlage B 9) einen weitergehenden Zahlungsanspruch gegen die Beklagte haben könnte. Es bestehen zudem keine Anhaltspunkte für die Annahme, dass der von der Beklagten mitgeteilte Betrag falsch angegeben wurde. Insbesondere bestehen aber auch keine Anhaltspunkte für die Annahme, dass dem Kläger angesichts des Auszahlungsbetrages von 14.825,37 €, mithin über 80% der nach dem Vortrag des Klägers gezahlten Beiträge von 16.848,85 €, tatsächlich ein weitergehender Anspruch zustehen könnte. Soweit der Kläger von der Beklagten die Mitteilung der von ihm eingezahlten Beiträge begehrt hat, ist auch ein Auskunftsinteresse des Klägers deshalb nicht ersichtlich, weil der Kläger die Beiträge selbst aufgebracht hat und daher in der Lage sein dürfte, deren Höhe anzugeben, was er in der Klage ja auch getan hat. Anhaltspunkte für die Annahme, dass der Kläger weitergehende Beiträge geleistet hat, sind nicht ersichtlich.

Angesichts der vorstehenden Ausführungen besteht auch kein Anspruch des Klägers auf einen Beleg der erteilten Auskünfte durch Unterlagen. Dies auch nicht angesichts des Umstandes, dass einem Auskunftsinteresse des Klägers Geheimhaltungsinteressen der Beklagten im Hinblick auf ihre Geschäftsgeheimnisse entgegenstehen und der Kläger die Möglichkeit hat, die Berechnung der Beklagten durch die unabhängige Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht (BaFin) überprüfen zu lassen. Dies gilt im Übrigen auch, soweit der Kläger mit den Ausführungen auf S. 2 des Schriftsatzes vom 11.04.2011 in Zweifel gezogen haben sollte, dass der von der Beklagten angegebene und bezahlte Rückkaufswert vertragsgemäß ermittelt wurde. Auch insoweit steht dem Kläger die Möglichkeit der Überprüfung durch die BaFin zu. Soweit die BaFin hier gegenüber den Versicherern als unabhängige Kontrollinstanz zur Verfügung steht und im Interesse der Versicherungsnehmer eine neutrale Prüfung der jeweiligen Ablaufleistungen vornimmt, besteht kein schutzwürdiger Anspruch des Versicherungsnehmers auf Mitteilung der für die Überprüfung der zutreffenden Ermittlung der Ablaufleistung erforderlichen Werte (vgl. LG Hamburg, VersR 2002, 221).

Auf die Frage, ob der Kläger die von der Beklagten vorgelegten Versicherungsbedingungen vollständig erhalten hat, insbesondere, ob sein Bestreiten angesichts des Vortrags der Beklagten substantiiert ist, und die Frage der Transparenz der Klauseln bezüglich der Rechtsfolgen bei Kündigung und der Verrechnung von Abschlusskosten kommt es daher nicht an.

Aus den vorgenannten Gründen fehlt es auch an einem möglichen Zahlungsanspruch des Klägers nach Auskunftserteilung, so dass auch der mit dem Antrag zu Ziff. 1 e) begehrte Zahlungsanspruch nicht besteht.

2. Ferner hat der Kläger bzw. die pC. AG keinen Anspruch auf Zahlung von 14.274,29 € nebst Zinsen (Klagantrag zu Ziff. 2).

Der Kläger hat gegen die Beklagte keinen Anspruch auf Rückzahlung der geleisteten Beiträge sowie von gezogenen Nutzungen (abzüglich der bereits erhaltenen Zahlung) aus §§ 812 ff. BGB.

a) Der zwischen den Parteien geschlossene Versicherungsvertrag ist nicht durch einen wirksamen Widerruf des Klägers bzw. der pC. AG erloschen.

Dem Kläger stand jedenfalls ein etwaiges Widerrufsrecht nicht mehr zu.

Es kann insoweit dahin stehen, ob der Kläger hier in der Versicherungspolice vom 18.10.1995 (Anlage B 2) und insbesondere dem Policenbegleitschreiben (Anlage B 8, dort S. 2) wirksam über sein Widerrufsrecht gem. §5a Abs. 2 S. 1 VVG a.F. belehrt worden ist. Ebenso kann dahin stehen, ob die Regelungen über das sogen. Policenmodell in § 5a VVG a.F. sowie die Regelung über das Erlöschen des Widerrufsrechts ein Jahr nach Zahlung der ersten Prämie auch im Falle der fehlenden oder unzureichenden Belehrung gem. § 5a Abs. 2 S. 4 VVG a.F. europarechtskonform sind. Schließlich kann dahin stehen, ob die Folge einer etwaigen Europarechtswidrigkeit des § 5a VVG a.F. ein – grundsätzlich – zeitlich unbeschränktes Widerrufsrecht wäre.

Ein etwaiges Widerrufsrecht des Klägers ist jedenfalls verwirkt. Der Kläger hat den hier streitgegenständlichen Versicherungsvertrag im Oktober 1995 geschlossen und in der Folgezeit, bis zur Abtretung an die pC. AG im Juni 2006, regelmäßig beanstandungslos die monatlichen Prämien für diesen Vertrag geleistet. Der Kläger hat zudem auch den regelmäßigen Erhöhungen der von ihm zu leistenden Beiträge aufgrund der „Dynamik-Nachträge“ trotz Belehrungen über ein diesbezügliches Widerrufsrecht nicht widersprochen, sondern auch die entsprechend erhöhten Prämien regelmäßig gezahlt. Erstmals mit Schreiben der pC. AG vom 26.06.2009, mithin über 13 Jahre später, hat die pC. AG einen Widerruf erklärt. Der Kläger hat damit gegenüber der Beklagten über einen Zeitraum von mehr als 13 Jahren zum Ausdruck gebracht, dass er den Vertrag als gültig anerkennt und an ihm festhält. Insoweit ist auch zu berücksichtigen, dass der Kläger jedenfalls in dem Policenbegleitschreiben vom 18.10.1995 (Anlage B 8, dort S. 2), dessen Erhalt der Kläger nicht bestritten hat, über sein Widerrufsrecht belehrt worden ist. Mag dies in inhaltlicher Hinsicht nicht den strengen Anforderungen des §5a Abs. 2 S. 1 VVG a.F. entsprechen, ist doch nicht zu verkennen, dass der Kläger hier grundsätzlich ohne weiteres von dem Widerrufsrecht Kenntnis nehmen konnte. Dass ein Widerruf im Zweifel gegenüber der Beklagten bzw. der in dem Schreiben vom 18.10.1995 genannten Geschäftsstelle zu erklären gewesen wäre, dürfte für den Kläger auch ohne weiteres ersichtlich gewesen sein. Der Kläger hat zudem auch in der Folgezeit den regelmäßigen Erhöhungen der Versicherungsprämie aufgrund der regelmäßigen Dynamik-Nachträge nicht widersprochen und die erhöhten Beiträge gezahlt. Angesichts dieses Verhaltens des Klägers und des ganz erheblichen Zeitablaufs stellt somit der Ende Juni 2009 erklärte Widerruf einen erheblichen Verstoß gegen Treu und Glauben gem. § 242 BGB dar, welcher den Kläger an der Ausübung eines etwaigen Widerrufsrechts hinderte.

Soweit der Kläger ausführt, das Vertrauen der Beklagten in den Bestand des Vertrages sei nicht schutzwürdig, weil sie den Kläger aufgrund unzureichender Belehrung und unzureichender Unterlagen zum Vertragsschluss gebracht habe, kann dem auch nicht gefolgt werden. Dass die Beklagte dem Kläger gegenüber bewusst das bestehende Widerrufsrecht verschleiert hat, um ihn an einer rechtzeitigen Ausübung zu hindern, ist nicht ersichtlich. Dem steht insbesondere entgegen, dass die Beklagte in dem Policenbegleitschreiben vom 18.10.1995 durchaus drucktechnisch – durch Einrücken – hervorgehoben, über sein Widerrufsrecht belehrt hat. Selbst wenn der Kläger daher im Übrigen die Versicherungsunterlagen nur unvollständig erhalten hätte, war er aufgrund dieser Mitteilung in der Lage, bei der Beklagten nachzufragen oder gegebenenfalls vorsorglich einen Widerruf zu erklären.

Da es nicht auf die Frage der Europarechtswidrigkeit der Regelung in § 5a VVG a.F. ankam, war hier auch keine Vorlage an den EuGH gem. Art. 234 EG-Vertrag geboten. Die Frage der Verwirkung gem. §242 BGB beurteilt sich allein nach nationalem Recht. Ob ein Verstoß gegen das Gebot von Treu und Glauben vorliegt, ist insoweit eine in jedem Einzelfall vorzunehmende Wertungsfrage.

Auf die Frage, welche Rechtsfolgen sich aus einer Rückabwicklung aus §§ 812 ff. BGB ergeben, insbesondere, wie die von der Beklagten für den Vertrag aufgewendeten Kosten und das von der Beklagten über die Laufzeit des Vertrages übernommene Todesfallrisiko zu bewerten sind sowie in welcher Höhe gegebenenfalls von der Beklagten Zinsen zu zahlen sind, kommt es daher ebenfalls nicht mehr an.

b) Dem Kläger stand auch kein Anfechtungsrecht gem. § 119 BGB zu. Ungeachtet des Umstandes, dass ein Irrtum i.S.d. § 119 BGB schon gar nicht dargelegt ist, steht einer Anfechtung jedenfalls der Ablauf der absoluten Anfechtungsfrist gem. § 121 Abs. 2 BGB entgegen. Die mit dem Schreiben vom 26.06.2009 erfolgte „vorsorgliche Anfechtung nach § 119 BGB“ (Anlage B 4) erfolgte über 13 Jahre nach Abschluss des Versicherungsvertrages aufgrund des Antrages des Klägers vom September 1995.

c) Da es an einem Anspruch in der Hauptsache fehlt, kommt auch ein Anspruch auf Verzinsung und auf Zahlung vorgerichtlicher Anwaltskosten (Antrag zu Ziff. 4.) nicht in Betracht.

3. Die hilfsweise begehrte Aussetzung zur Einleitung eines Vorabentscheidungsverfahrens des EuGH gem. Art. 234 EG kam aus den vorstehend genannten Gründen nicht in Betracht.

II.

Die Nebenentscheidungen folgen aus §§ 91, 709 ZPO.

Hinweis: Informationen in unserem Internetangebot dienen lediglich Informationszwecken. Sie stellen keine Rechtsberatung dar und können eine individuelle rechtliche Beratung auch nicht ersetzen, welche die Besonderheiten des jeweiligen Einzelfalles berücksichtigt. Ebenso kann sich die aktuelle Rechtslage durch aktuelle Urteile und Gesetze zwischenzeitlich geändert haben. Benötigen Sie eine rechtssichere Auskunft oder eine persönliche Rechtsberatung, kontaktieren Sie uns bitte.

Unsere Hilfe im Versicherungsrecht

Egal ob Ihre Versicherung die Zahlung verweigert oder Sie Unterstützung bei der Schadensregulierung benötigen. Wir stehen Ihnen zur Seite.

 

Rechtsanwälte Kotz - Kreuztal

Wissenswertes aus dem Versicherungsrecht

Urteile aus dem Versicherungsrecht

Unsere Kontaktinformationen

Rechtsanwälte Kotz GbR

Siegener Str. 104 – 106
D-57223 Kreuztal – Buschhütten
(Kreis Siegen – Wittgenstein)

Telefon: 02732 791079
(Tel. Auskünfte sind unverbindlich!)
Telefax: 02732 791078

E-Mail Anfragen:
Kontaktformular für Anfragen auf Ersteinschätzung
info@ra-kotz.de oder ra-kotz@web.de

Rechtsanwalt Hans Jürgen Kotz
Fachanwalt für Arbeitsrecht

Rechtsanwalt und Notar Dr. Christian Kotz
Fachanwalt für Verkehrsrecht
Fachanwalt für Versicherungsrecht
Notar mit Amtssitz in Kreuztal

Bürozeiten:
MO-FR: 8:00-18:00 Uhr
SA & außerhalb der Bürozeiten:
nach Vereinbarung

Für Besprechungen bitten wir Sie um eine Terminvereinbarung!