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Auslandsreisekrankenversicherung – Risikoausschluss – absehbare Behandlungsbedürftigkeit

KG Berlin – Az.: 6 U 18/12 – Beschluss vom 24.08.2012

In dem Rechtsstreit … hat der Senat nunmehr über die Berufung des Klägers gegen das Urteil der Zivilkammer 7 des Landgerichts Berlin vom 29. Dezember 2011 beraten und beabsichtigt, die Berufung durch einstimmigen Beschluss gemäß § 522 Abs. 2 ZPO zurückzuweisen.

Gründe

I. Die Berufung kann gemäß § 513 Abs. 1 ZPO nur darauf gestützt werden, dass die angefochtene Entscheidung auf einem Rechtsfehler beruht oder gemäß § 529 ZPO zugrunde zu legende Tatsachen eine andere Entscheidung rechtfertigen.

Die Berufung bleibt danach ohne Erfolg, denn die vorgenannten Voraussetzungen liegen offensichtlich nicht vor.

1. Die Klägerin begehrt von der Beklagten als Mitversicherte einer zwischen ihrem Lebensgefährten und der Beklagten abgeschlossenen Auslands-Reisekrankenversicherung Versicherungsleistungen in Form der Erstattung von Kosten und der Freistellung von offenen Rechnungen aufgrund ihrer zweimaligen stationären Behandlung wegen Herzrhythmusstörungen und des Einkaufs von Medikamenten während ihres Floridaaufenthaltes in der Zeit vom 6. bis 30. März 2010.

Auslandsreisekrankenversicherung - Risikoausschluss - absehbare Behandlungsbedürftigkeit
Symbolfoto: Von noppawan09 /Shutterstock.com

Die Beklagte hat geltend gemacht, Versicherungsschutz bestehe gemäß § 1 Ziffer 1 der AVB nur für akute, unerwartete Erkrankungen. Diese Voraussetzungen lägen nicht vor, da die Klägerin – was unstreitig ist – sich bereits vor Reiseantritt im Februar und Anfang März 2010 wegen Herzrhythmusstörungen in stationäre Behandlung begeben hatte und die ihr bei dem zweiten Krankenhausaufenthalt angeratene elektrophysiologische Untersuchung in Ablationsbereitschaft noch nicht durchgeführt worden war. Deshalb sei auch der in § 1 Ziffer 2 a) der AVB enthaltene Risikoausschluss gegeben, wonach kein Versicherungsschutz besteht, wenn der Versicherte vor Reiseantritt wusste oder es für ihn absehbar war, dass ihm vor Reiseantritt bekannte Beschwerden, Erkrankungen oder Verletzungen während des Auslandsaufenthaltes behandlungsbedürftig werden.

Das Landgericht hat die Klage abgewiesen mit der Begründung, jedenfalls greife der Risikoausschluss des § 1 Ziffer 2 a) der AVB.

Dagegen richtet sich die Berufung der Klägerin, die geltend macht, das Landgericht habe für die Absehbarkeit einen falschen Maßstab zugrunde gelegt. Es komme nicht darauf an, ob der Versicherte die Behandlungsbedürftigkeit „hätte erkennen müssen“, da es hierfür medizinischer Fachkenntnisse bedürfe, die er nicht habe. Es müsse ein Maßstab gefunden werden, der sich dem Begriff des positiven Wissens annähere, die Behandlungsbedürftigkeit müsse sich ihm also aufdrängen. Die Ausschlussklausel sei außerdem unwirksam, da intransparent und gegen § 307 Abs. 2 Nr. 2 BGB verstoßend. Bei richtiger Auslegung greife die Klausel in ihrem Fall nicht. Aufgrund welcher konkreten Umstände sie die Behandlungsbedürftigkeit hätte erkennen müssen, ergebe sich aus dem angefochtenen Urteil nicht. Das Landgericht habe sich nicht angemessen mit ihren Vortrag auseinander gesetzt, dass ihr von sämtlichen Ärzten, die sie vor Reiseantritt behandelten, bestätigt worden sei, dass sie mit einem Rückfall im Sinne einer erneuten Behandlungsbedürftigkeit nicht rechnen müsse. Wegen des weiteren Vorbringens im Einzelnen wird auf die Berufungsbegründung verwiesen.

Die Beklagte hält das angefochten Urteil für zutreffend und weiterhin auch schon die Voraussetzung einer unerwarteten Erkrankung nicht für gegeben.

2. Das Landgericht hat bereits auf der Grundlage des unstreitigen und eigenen Vorbringens der Klägerin zutreffend entschieden, dass die Behandlungsbedürftigkeit für die Klägerin „absehbar“ war. Medizinische Fachkenntnisse hat es gerade nicht vorausgesetzt, sondern seine Würdigung, dass die konkret aufgetretene Behandlungsnotwendigkeit für sie absehbar war, auf der Grundlage des eigenen Wissens und der gemachten Erfahrungen der Klägerin vor Reiseantritt vorgenommen, wie im Einzelnen auf S. 5 unten der Urteilsausfertigung ausgeführt (zweimalige stationäre Behandlung, ambulante Behandlung nach der ersten Notaufnahme, Ausstehen der empfohlenen weiterführenden Untersuchung, zusätzliche körperliche Belastungen durch Flugreise und Zeitverschiebung).

a) „Absehbarkeit“ der Behandlungsbedürftigkeit ist gegeben, wenn der Versicherte aus seinem eigenen Kenntnisstand heraus mit einer Behandlungsbedürftigkeit der ihm bekannten Vorerkrankungen oder Beschwerden rechnen muss. Das bedeutet, dass ihm Tatsachen bekannt sein müssen, die die Notwendigkeit einer Behandlung nahe legen.

b) Bedenken gegen die Wirksamkeit der Klausel bestehen nicht. Denn jedem durchschnittlichen Versicherungsnehmer leuchtet ein, dass ein Auslandsreisekrankenversicherer lediglich die speziellen Risiken der Entstehung von solchen Krankheitskosten auf einer Auslandsreise übernehmen will, mit deren Eintritt der Versicherte nicht schon vor Reiseantritt rechnen muss. Die Klausel ist damit weder intransparent (§ 307 Abs. 1 S. 2 BGB) noch stellt sie eine die Erreichung des Vertragszwecks gefährdende Einschränkung der Hauptleistungspflicht des Versicherers und damit eine unangemessene Benachteiligung des Versicherungsnehmers dar (§ 307 Abs. 2 Nr. 2 BGB). Indem für die Absehbarkeit allein auf den Kenntnisstand des Versicherungsnehmers in seiner konkreten Situation vor dem Antritt der Reise abgestellt wird, bürdet sie diesem lediglich auf, bei absehbarer Behandlungsbedürftigkeit ihm bekannter Vorerkrankungen oder Beschwerden entweder zu Hause zu bleiben oder die Kosten selbst zu tragen. Dies ist zugleich im Interesse des Versichertenkollektivs. Denn für die potentiellen Versicherungsnehmer einer Reisekrankenversicherung soll der Abschluss dieser Versicherung einfach und schnell handhabbar sein ohne vorherige Untersuchungen und Beantwortung von Fragen des Versicherers und zugleich kostengünstig. Dies ist nur möglich, wenn die in § 1 Ziffer 2 a) genannten Risiken ausgeschlossen werden.

c) Einer – erneuten – höchstrichterlichen Entscheidung hierzu bedarf es nicht, nachdem der Bundesgerichtshof in dem Urteil vom 2.3.1994 – IV ZR 109/93 – (VersR 1994,339) grundsätzliche Ausführungen dazu gemacht, dass eine Einschränkung des Reiskrankenversicherungsschutzes auf eine subjektiv für den Versicherungsnehmer vorhersehbare Heilbehandlung zulässig gewesen wäre, und in dem Beschluss über die Nichtzulassung der Revision gegen das Urteil des OLG Köln vom 30.10.2009 – 20 U 62/09 (VersR 2010, 379) vom 21.9.2011 – IV ZR 227/09 – (ZfS 2010,33) ausgeführt hat, bei dem Vergleich der Leistungsbeschreibung in § 1 Nr. 1 AVB mit dem Risikoausschluss in § 1 Nr. 2 a S. 1 AVB erkenne der durchschnittliche Versicherungsnehmer, „dass akute, mithin im versicherten Zeitraum neu und plötzlich auftretende Erkrankungen Versicherungsschutz genießen, während die Behandlung bereits bestehender und bekannter Vorerkrankungen einschließlich möglicher Behandlungsfolgen vom Versicherungsschutz ausgenommen ist“ (Rz. 7 zitiert nach Juris). Für die absehbare Behandlungsbedürftigkeit bereits bekannter Vorerkrankungen hat das OLG Köln entschieden, darunter verstehe ein durchschnittlicher Versicherungsnehmer mehr als nur ein gering erhöhtes Risiko; die Behandlungsbedürftigkeit müsse sich für den Versicherungsnehmer oder die versicherte Person aufgrund konkreter Kenntnisse über den vor Reiseantritt bestehenden Gesundheitszustand wenigstens als wahrscheinlich darstellen; es müssten Anhaltspunkte dafür gegeben sein, dass es im versicherten Zeitraum voraussichtlich zu einer Behandlung der schon vorhandenen Erkrankung kommen wird. Dem folgt der Senat.

d) Vorliegend hat das Landgericht die der Klägerin bekannten Tatsachen zutreffend dahin gewürdigt, dass die Behandlungsbedürftigkeit ihrer bekannten Herzbeschwerden „absehbar“ war. Denn die Klägerin wusste vor Reisentritt, dass sie trotz der in der Asklepios Nordseeklinik durchgeführten Untersuchungen in der Zeit vom 14. bis 19. 2. 2010 und der anschließenden Einnahme von Medikamenten sowie der ambulanten Weiterbehandlung erneut akute Herzrhythmusstörungen erlitt und am 1. 3.2010 über die Rettungsstelle stationär im Charité-Centrum für Herz-, Kreislauf- und Gefäßmedizin aufgenommen werden musste. Die dortigen Untersuchungen hatten zum Ergebnis, dass die Klägerin an einer „paroxysmalen supraventrikulären Tachykardie“ litt. Auch wenn sie diesen Begriff nicht kennt, wusste sie jedenfalls, dass ihr eine weitergehende Untersuchung zur Ursachenklärung empfohlen wurde. Wie sich aus dem an sie gerichteten, zur Vorlage an den weiterbehandelnden Arzt erstellten Brief vom 4.3.2010 (Anlage B 2) ergibt, wollte die Klägerin diese Untersuchung ( „elektrophysiologische Untersuchung in Ablationsbereitschaft“) aktuell allerdings nicht durchführen, „da sie eine länger geplante Reise vorhat“. Der Klägerin wurden deshalb zur Prophylaxe eine antirhythmische Therapie mit Medikamenten empfohlen. Damit wurde stationär begonnen. Bei der Entlassung in die ambulante Betreuung am 4.3.2010 war sie rhythmisch stabil und das EKG zeigte keine relevanten Veränderungen.

Bei diesem Vorgeschehen bis zum Tag der Abreise am 6.3.2010 lag es für die Klägerin auf der Hand, dass der bei der Entlassung am 4.3.2010 erreichte rhythmisch stabile Zustand angesichts der erst wenige Tage vor dem Abflug begonnenen Einnahme der Medikamente und der noch ausstehenden, empfohlenen Untersuchung zur weiteren Abklärung der Ursachen der seit Mitte Februar dreimal aufgetretenen Episoden plötzlichen Herzrasens für die Dauer der geplanten dreieinhalbwöchigen Reise möglicherweise nicht anhalten würde. Das Erfordernis der Behandlungsbedürftigkeit war damit absehbar.

e) Die Klägerin hat demgegenüber entgegen ihrer Berufungsrüge erstinstanzlich nicht vorgetragen und unter Beweis gestellt, dass sie mit einem Rückfall im Sinne einer erneuten Behandlungsbedürftigkeit nicht habe rechnen müssen. Ihr Vortrag ging vielmehr dahin, von sämtlichen Ärzten die Auskunft erhalten zu haben, dass sie die Reise aus medizinischer Sicht antreten könne. Dieses Vorbringen hat das Landgericht zu Recht nicht für nicht erheblich gehalten. Denn diese Auskünfte besagen nur, dass die Ärzte aus medizinischer Sicht unter Berücksichtigung der Behandlungsmöglichkeiten in dem Reiseland – die für die USA bekanntermaßen gut sind – keinen Hinderungsgrund für den Antritt der Reise gesehen haben. Über die Eintrittspflicht eines Reisekrankenversicherers besagt dies nichts. Der behandelnde Arzt muss bei der Frage nach der Reisefähigkeit nicht zugleich die Bedingungen einer von seinem Patienten eventuell abgeschlossenen Reisekrankenversicherung prüfen.

3. Die Sache hat keine grundsätzliche Bedeutung und gibt zur Fortentwicklung des Rechts keinen Anlass. Auch zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung ist eine Entscheidung des Senats nach mündlicher Verhandlung nicht erforderlich. Auch aus anderen Gründen ist eine mündliche Verhandlung nicht geboten.

Dem Kläger wird Gelegenheit gegeben, zu den vorstehenden Hinweisen binnen einer Frist von drei Wochen Stellung zu nehmen und ggfs. die Berufung aus Kostengründen zurückzunehmen.

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