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Anspruch Reiserücktritts- und Stornoversicherers auf Rückzahlung erstatteter Stornierungskosten

AG Rostock – Az.: 47 C 316/18 – Urteil vom 29.05.2019

1. Die Klage wird abgewiesen.

2. Die Klägerin hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.

3. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

4. Die Klägerin darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110% des zu vollstreckenden Betrages abwenden, wenn nicht die Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

Tatbestand

Die Klägerin fordert als Reiserücktritts- und Stornoversicherer die Rückzahlung erstatteter Stornierungskosten.

Die Beklagte hatte mit einem Versicherungsnehmer der Klägerin für den Zeitraum vom 01.07. bis 08.07.2017 einen Reisevertrag über eine Kreuzfahrtreise geschlossen. Der Reisepreis betrug für den Versicherungsnehmer und dessen bei der Klägerin mitversicherten Ehefrau 1.998,00 EUR. Der Versicherungsnehmer trat am 01.07.2017 vom Reisevertrag zurück. Die Beklagte berechnete diesem entsprechend der Vertragsbestandteil gewordenen Reisebedingungen eine sogenannte Stornierungspauschale im Umfang von 95 % und behielt von dem vollständig bezahlten Reisepreis einen Betrag in Höhe von 1.898,10 EUR ein. Die Klägerin erstattete dem Versicherungsnehmer hiervon unter Berücksichtigung eines vereinbarten Selbstbehalts in Höhe von 300,00 EUR 1.598,10 EUR. Dieser Betrag ist Gegenstand der Klage.

Die Beklagte ersparte durch den Rücktritt des Versicherungsnehmers der Klägerin für diesen und dessen Ehefrau jeweils 42,87 EUR an Steuern und Securitykosten. Der Umfang weiterer Ersparnisse ist strittig.

Die Klägerin meint, die in den allgemeinen Reisebedingungen der Beklagten geregelte Stornierungspauschale in Höhe von 95 % bei einer Stornierung am Tag der Abreise sei überhöht und unangemessen. Ein Rückzahlungsanspruch ihres Versicherungsnehmers aufgrund der Unwirksamkeit der Stornierungsklausel sei auf sie übergegangen. Weiter behauptet die Klägerin, Bestandteil des Reisepreises seien die Kosten für die Zugfahrt von Bremen nach Hamburg gewesen; diese Kosten seien entfallen. Letztlich trägt die Kläger vor, dass, gemessen am hohen Niveau der von der Beklagten angebotene Kulinarik, mindestens ein Betrag in Höhe von 40,00 EUR pro Person und Tag zu berücksichtigen sei, den die Beklagte erspart habe.

Die Klägerin beantragt, die Beklagte zu verurteilen, an die Klägerin einen Betrag in Höhe von 1.598,10 EUR nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit zu zahlen.

Die Beklagte beantragt, die Klage abzuweisen.

Sie behauptet, sie habe neben den unstrittig ersparten Kosten für Steuern und Security-Kosten durch den Rücktritt des Versicherungsnehmers der Klägerin und seiner Ehefrau aufgrund des Umstandes, dass der Wareneinkauf für die streitgegenständliche Reise am Abreisetag bereits abgeschlossen war (unstrittig) höchstens 0,5 % des Reisepreises für nichtverderbliche Waren erspart. Da die ganz überwiegende Anzahl aller im Reisepreis inbegriffenen Mahlzeiten während der Reise unstrittig in Buffetform dargereicht werden, seien Einsparungen bei den Verpflegungsleistungen kaum messbar.  Aus diesen Gründen wäre bei einer konkreten Berechnung des Entschädigungsanspruchs dieser mit 95,213 bis maximal 95,713 % des tatsächlichen Reisepreises zu berücksichtigen.

Weiter trägt die Beklagte vor, dass auf der streitgegenständlichen Reise neben der von dem Versicherungsnehmer der Klägerin gebuchten Verandakabine (unstrittig) mindestens eine weitere Verandakabine unverkauft geblieben sei.

Die Beklagte ist der Auffassung, dass die Klägerin nicht berechtigt sei, Einwendungen gegen die Wirksamkeit ihrer allgemeinen Reisebedingungen geltend zu machen.

Entscheidungsgründe

Die zulässige Klage ist unbegründet.

Anspruch Reiserücktritts- und Stornoversicherers auf Rückzahlung erstatteter Stornierungskosten
(Symbolfoto: Von moomsabuy/Shutterstock.com)

Die Klägerin hat gegen die Beklagte keinen Anspruch auf Erstattung der dem Versicherungsnehmer der Klägerin erstatteten Entschädigungskosten, die dieser gegenüber der Beklagten leisten musste bzw. die die Beklagte gegenüber dem Versicherungsnehmer der Klägerin geltend gemacht hatte. Die Vorschrift des § 86 Abs. 1 VVG ist nicht einschlägig, so dass ein evtl. Zahlungsanspruch des Versicherungsnehmers der Klägerin gegen die Beklagte nicht auf die Klägerin übergegangen ist.

§ 86 Abs. 1 VVG regelt, dass ein Ersatzanspruch des Versicherungsnehmers gegen einen Dritten auf den Versicherer übergeht, soweit der Versicherer den Schaden ersetzt. Vorliegend fehlt es an der Tatbestandsvoraussetzung, dass der Versicherungsnehmer der Klägerin einen Schadensersatzanspruch gegen die Beklagte hatte bzw. hätte.

Ob es sich bei der Reisekostenrücktrittsversicherung um eine Schadens- oder um eine Summenversicherung handelt, kann dahingestellt bleiben. Gleiches gilt für die Bewertung, ob die vom Reisenden gesetzliche geschuldete Entschädigungsleistung nicht nur bei natürlicher Betrachtungsweise als Schaden, d. h. als Vermögenseinbuße im Sinne von § 86 VVG zu bewerten ist, sondern auch unter Berücksichtigung des dualistischen Schadensbegriffs, d. h. unter Berücksichtigung von wirtschaftlichen und normativen Wertungen (vgl. Palandt/Grüneberg BGB 78. Aufl., Vorbemerkung v. § 249 Rn. 12 ff.). Denn die Vermögenseinbuße des Versicherungsnehmers der Klägerin, die durch die Zahlung der Klägerin überwiegend ausgeglichen wurde, basiert nicht auf einem schädigenden Ereignis, für das ein Dritter bzw. eine Dritte (hier die Reiseveranstalterin) verantwortlich ist. Vielmehr handelt es sich bei der der Beklagten zustehenden Entschädigungsleistung gemäß § 651i Abs. 2 Satz 2 BGB a.F. um einen vertraglichen Anspruch. Dieser steht zumindest teilweise dem gem. § 651i Abs. 2 Satz 1 BGB a.F. vertraglichen Anspruch des Versicherungsnehmers der Klägerin auf Rückzahlung des Reisepreises aufgrund des als Folge des Rücktritts entstandenen Abwicklungsschuldverhältnisses gegenüber. Die Beklagte als Reiseveranstalterin ist berechtigt, ihren Entschädigungsanspruch mit dem Anspruch auf Rückzahlung des Reisepreises zu verrechnen, d. h. diese Forderung gegen die Forderung des Reisenden aufzurechnen. Erfolgt wie hier eine solche Aufrechnung und wäre diese beispielsweise aufgrund einer unwirksamen pauschalisierten Entschädigungsforderung bzw. einer fehlenden konkreten Entschädigungsberechnung unwirksam bzw. unbegründet, hätte der Reisende weiterhin den gemäß § 651i Abs. 2 Satz 1 BGB a.F. geregelten gesetzlichen Anspruch auf Rückzahlung des Reisepreises als Folge des Anspruchsverlustes der Beklagten auf den Reisepreis.

Soweit in der Rechtsprechung die Tatbestandsvoraussetzungen des § 86 Abs. 1 VVG für eine Reisekostenrücktrittsversicherung bejaht wurden, handelt es sich, soweit ersichtlich, stets um die Fälle, bei denen der Rücktritt vom Reisevertrag Folge eines schädigenden Ereignisses (z. B. Verkehrsunfall) war, bei dem ein Dritter letztlich für den Nichtantritt der Reise verantwortlich war. Diese Fälle sind auf den vorliegenden Fall nicht übertragbar. Zudem entschied das Landgericht Hannover mit Urteil vom 09.06.2016 (Az.: 4 S 36/15, recherchiert in Juris), dass neben der Feststellung, dass die Reiserücktrittsversicherung eine Schadensversicherung sei, für den Übergang eines Anspruchs auf die Versicherung als weitere Voraussetzung hinzukommen müsse, dass den Versicherungsnehmern der Klägerin auch ein Anspruch in der genannten Höhe gegen die dortige Beklagte, d. h. in diesem Fall die Haftpflichtversicherung des Unfallverursachers zustehen müsste. Damit ist klargestellt, dass entsprechend des Gesetzeswortlautes in § 86 Abs. 1 VVG tatsächlich ein Schadensersatzanspruch gegen den Dritten bestehen muss. Dieser liegt wie bereits dargestellt, hier nicht vor.

Dahingestellt bleiben kann, ob auch Ansprüche aus ungerechtfertigter Bereicherung Gegenstand eines Forderungsübergangs nach § 86 Abs. 1 VVG sein können (vgl. Pröhls/Martin/Armbrüster VVG 30. Aufl., § 86 Rn. 7), wobei nach dem Wortlaut der Vorschrift eine Anwendung fraglich erscheint. Denn vorliegend wäre der übergegangene Anspruch ein Anspruch auf Rückzahlung des Reisepreises gemäß §§ 651 Abs. 2 Satz 1 BGB a.F. i.V.m. dem Schuldrückabwicklungsverhältnis, d.h. i.V.m. § 346 BGB.

Für eine analoge Anwendung des § 86 Abs. 1 VVG auf den vorliegenden Fall besteht keine Veranlassung, denn es ist nicht ersichtlich, dass hier eine planwidrige Regelungslücke vorliegt.

Mangels berechtigter Hauptforderung besteht auch kein Anspruch auf die geltend gemachte Nebenforderung.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 91 ZPO.

Die Entscheidungen zur vorläufigen Vollstreckbarkeit beruhen auf den §§ 708 Nr. 11, 711 ZPO.

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