AG Singen
Az.: 3 C 15/12
Urteil vom 08.06.2012
1. Die Beklagte wird verurteilt, das vollständige Schadensgutachten des Sachverständigenbüro … zum Wasserschaden am 09.12.2010 im Anwesen des Klägers, … an seine Prozessbevollmächtigten zur Einsichtnahme und zur Fertigung von Fotokopien herauszugeben.
2. Die Beklagte trägt die Kosten des Rechtsstreits.
3. Das Urteil ist gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 2.500,00 EUR vorläufig vollstreckbar.
Tatbestand
Der Kläger begehrt Einsichtnahme in ein Sachverständigengutachten.
Die Beklagte ist der Wohngebäudeversicherer des Klägers. Dem Vertragsverhältnis liegen der Versicherungsschein vom 12.11.2009 sowie die Versicherungsbedingungen VGB 2008 zugrunde. Der Kläger zeigte am 09.12.2010 über den Versicherungsmakler – … GmbH – einen Wasserschaden an, der im Anwesen des Klägers … aufgetreten ist. Die Beklagte beauftragte das Sachverständigenbüro … mit der Erstellung eines Schadensgutachtens. Die Besichtigung erfolgte am 15.12.2010 durch die Sachverständige … ten, die in der Folge ein schriftliches Sachverständigengutachten erstellt hat. Im Rahmen der Besichtigung oder im Vorfeld der Besichtigung wurde der Kläger auf seine Auskunfts- und Aufklärungsobliegenheiten aus dem Versicherungsvertrag hingewiesen. Die Beklage verneint ihre Eintrittspflicht hinsichtlich des geltend gemachten Schadensereignisses sowie die Vorlagepflicht des erstellten Sachverständigengutachtens an den Kläger.
Der Kläger behauptet im Wesentlichen, bereits aus dem Versicherungsvertrag ergebe sich ein Anspruch des Klägers auf Vorlegung des von der Beklagten in Auftrag gegebenen Sachverständigengutachtens. Der Kläger sei zur Prüfung der Eintrittspflicht der Beklagten und zur Abschätzung seines möglichen Prozessrisikos auf die Vorlage des Gutachtens angewiesen.
Der Kläger beantragt zuletzt zu erkennen: Die Beklagte wird verurteilt, das vollständige Schadensgutachten des Sachverständigenbüro … zum Wasserschaden vom 09.12.2010 im Anwesen des Klägers, …, an seine Prozessbevollmächtigten zur Einsichtnahme und Fertigung von Fotokopien herauszugeben.
Die Beklagte beantragt, die Klage abzuweisen.
Die Beklagte behauptet im Wesentlichen, der Kläger sei zur Geltendmachung seiner angeblichen Ansprüche auf die Vorlage des Schadensgutachtens nicht angewiesen. Weder aus dem Versicherungsvertrag noch aus sonstigen gesetzlichen Vorschriften bzw. aus dem Grundsatz von Treu und Glauben ergebe sich ein Auskunfts- bzw. Herausgabeanspruch des Klägers gegen die Beklagte. Ein Herausgabeanspruch des Klägers scheitere bereits daran, dass ein Anspruch des Klägers auf Leistung überhaupt nicht bestehen könne, nachdem die Sachverständige dargelegt habe, dass es sich bei dem geltend gemachten Schadensereignis weder um einen Schaden der Elementardeckung noch um einen Überschwemmungsschaden im Sinne der Bedingungen handle. Im Übrigen habe der Kläger keinen Anspruch auf Herausgabe des Gutachtens, nachdem er zur Frage nach Vorschäden in der Schadensanzeige falsche Angaben gemacht habe.
Hierzu wendet der Kläger ein, dass eine Schadensursächlichkeit nicht bestehe, so dass die Beklagte sich nicht auf Leistungsfreiheit berufen könne.
Zur Ergänzung des Tatbestandes wird Bezug genommen auf alle Schriftsätze der Parteien nebst Anlagen und sonstigen Aktenteile sowie auf das Protokoll der mündlichen Verhandlung vom 24.05.2012.
Entscheidungsgründe
Die zulässige Klage ist begründet.
Der Kläger hat einen Anspruch auf Herausgabe des Gutachtens aus dem bestehenden Versicherungsvertrag.
Dies folgt zum einen daraus, dass nach § 85 Abs. 2 VVG (§ 66 Abs. 2 VVG alte Fassung) Kosten eines Sachverständigengutachtens dem Versicherungsnehmer nicht erstattet werden, da das VVG erkennbar davon ausgeht, dass dem Versicherungsnehmer solche Kosten nur bei Vorliegen besonderer Umstände entstehen, weil regelmäßig der Versicherer ein Schadensgutachten einholen wird. Dieses Gutachten wird in der Regel ausreichen, um die Schadensregulierung vornehmen zu können. Damit zwischen beiden Vertragspartnern Waffengleichheit herrscht, muss der Versicherungsnehmer auch Einsicht in das Ergebnis des Sachverständigengutachtens erhalten (so OLG Karlsruhe, Beschluss vom 26.04.2005, 12 W 32/05, RuS 2005, 385 – 386).
Hinzu kommt, dass vorliegend der Kläger durch die Beklagte ausdrücklich auf seine Auskunfts- und Aufklärungsobliegenheiten aus dem Versicherungsvertrag entsprechend § 28 Abs. 4 VVG hingewiesen wurde. Der Kläger hatte danach die Begutachtung des Schadens durch eine von der Beklagten ausgewählte Sachverständige zu dulden und Zugang zu dem versicherten Grundstück zu gewährleisten. Soweit der Kläger dieser Auskunfts- und Aufklärungsobliegenheit nicht nachgekommen wäre, hätte sich die Beklagte auf ihre Leistungsfreiheit berufen. Wenn der Kläger einerseits zur Mitwirkung verpflichtet ist, bzw. im Falle der Obliegenheitsverletzung seinen Leistungsanspruch verliert, besteht demgegenüber der Anspruch des Versicherungsnehmers auf Auskunft und Einsicht in das Gutachten (OLG Saarbrücken, Urteil vom 14.10.1998, 5 U 1011/97, NJW RR, 1999, 759 ff).
Soweit die Rechtsprechung teilweise eine Vorlagepflicht aus § 810 BGB oder aus § 242 BGB verneint, wird nicht berücksichtigt, dass zwischen den Parteien ein Vertragsverhältnis besteht, das die Vorlagepflicht umfasst (vgl. LG Berlin, Beschluss vom 13.03.2001, 7 O 76/00, Versicherungsrecht 2003, 94).
Der Vorlagepflicht der Beklagten steht auch nicht entgegen, dass die Beklagte davon ausgeht, dass ihre Eintrittspflicht nicht besteht. Gerade diese ist zwischen den Parteien streitig, so dass die Vorlage des Gutachtens erforderlich ist, damit sich der Kläger Gewissheit verschaffen kann, ob er wegen der Eintrittspflicht der Beklagten Klage erhebt oder nicht. Eine angemessene Abschätzung seine Prozessrisiko ist ohne Vorlage des Gutachtens nicht möglich und liefe auf eine in dem Vertragsverhältnis nicht angemessene Benachteiligung einer Vertragspartei, nämlich hier des Versicherungsnehmers, heraus.
Der Auffassung des Landgerichts Hannover, wonach eine Herausgabepflicht nicht besteht, wenn der Versicherungsnehmer zur Geltendmachung des ihm entstandenen Schadens nicht auf das vom Versicherer eingeholte Gutachten angewiesen ist (Landgericht Hannover, Beschluss vom 24.02.2011, 6 0 246/10, AS. 121 ff) kann sich das Gericht nicht anschließen. Dies folgt daraus, dass der Kläger sicherlich ein weiteres Schadensgutachten in Auftrag geben kann- und so gesehen nicht auf das eingeholte Gutachten angewiesen ist, diese Folge jedoch erkennbar nach § 85 Abs. 2 VVG nicht gewollt ist.
Auch die weiteren von der Beklagten zitierten Entscheidungen stehen einer Herausgabepflicht der Beklagten nicht entgegen. Das Landgericht Bielefeld hat sich in seiner Entscheidung NVersZ 2002, 278 mit der Frage der Haftung des Sachverständigen aus den Grundsätzen des Vertrages mit Schutzwirkung zugunsten Dritter auseinandergesetzt. Das OLG Bamberg, Versicherungsrecht 2006, 2010 hat einen Auskunftsanspruch für den Fall der Kfz-Kaskoversicherung verneint, wenn ein Anspruch auf Leistung überhaupt nicht bestehen kann. Dass ein Anspruch auf Leistung im vorliegenden Fall überhaupt nicht bestehen kann, ist nicht ersichtlich. Gerade diese Frage ist zwischen den Parteien streitig und erfordert die Einsicht des Klägers in das Schadensgutachten. Im Falle von BGH, VersR 2006, 968 wurde das Gutachten durch die betroffene Versicherung zwischenzeitlich zugänglich gemacht.
Aus den genannten Gründen ist die Beklagte zur Herausgabe des Gutachtens verpflichtet, wobei die Herausgabe regelmäßig durch Einsichtnahme in das Original und zur Fertigung von Fotokopien erfolgt, vgl. § 259 Abs. 1 BGB für die Verpflichtung zur Belegvorlage.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 91 ZPO, die Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit beruht auf § 709 ZPO.