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Vollkaskoversicherung – Rauchen am Steuer grob fahrlässig?

OLG Frankfurt, Az.: 23 U 108/94, Urteil vom 08.02.1995

Tatbestand

Der Kläger macht gegen die Beklagte Versicherungsleistungen aus einem mit ihr abgeschlossenen Vollkaskoversicherungsvertrag für seinen Pkw geltend, nachdem er mit diesem Fahrzeug am 25.12.1992 auf der Bundesautobahn einen Unfall erlitt, bei dem der Wagen ganz erheblich beschädigt wurde.

Rauchen am Steuer ist grob Fahrlässig
Symbolfoto: ArtOfPhoto/Bigstock

Nach der Darstellung des Klägers war es zu dem Unfall dadurch gekommen, daß er bei dem Versuch, sich eine Zigarette anzuzünden, auf den links neben der von ihm befahrenen linken Fahrspur gelegenen Seitenstreifen geraten sei; bei dem Versuch, das Fahrzeug auf die Fahrbahn zurückzusteuern, habe er es übersteuert und sei gegen die rechte Leitplanke geraten. Die Leitplanke mußte daraufhin, wie der Kläger nicht bestreitet, auf einer Länge von 48 m ausgetauscht werden. Das Fahrzeug des Klägers wurde auf die linke Fahrspur zurückgeschleudert und blieb dort quer zur Fahrbahn stehen.

Das LG hat die Klage abgewiesen. Die gegen dieses Urteil von dem Kläger eingelegte Berufung blieb ohne Erfolg.

Entscheidungsgründe

Das LG hat im Ergebnis zu Recht festgestellt, daß dem Kläger die begehrten Versicherungsleistungen nicht zustehen, weil er die Beschädigung seines Fahrzeugs grob fahrlässig herbeigeführt hat.

Dabei mag dahinstehen, ob mit dem LG zu fordern ist, daß das Anzünden einer Zigarette und Rauchen bei einer Geschwindigkeit von 130 km/h auf der Bundesautobahn generell zu unterlassen und zu diesem Zweck ein Rastplatz oder eine Ausweichstelle anzufahren ist; denn in diesen Handlungen liegt nicht der eigentliche Vorwurf, der dem Kläger vorliegend zu machen ist. Wie auch die vom Beklagten zitierte Rspr. zeigt, wird als grob fahrlässig vielmehr grundsätzlich angesehen, wenn sich ein Autofahrer durch Rauchen, heruntergefallene Gegenstände, die Suche nach ihnen oder das Greifen nach Gegenständen auf dem Beifahrersitz in einer Weise von dem Verkehrsgeschehen ablenken läßt, daß er die Übersicht darüber verliert und es – sei es auch nur reflexartig – dann zu Fehlreaktionen oder dazu kommt, daß er die Herrschaft über das Fahrzeug verliert. So hielt das OLG Karlsruhe (VersR 1979, 758) nicht das Rauchen während der Fahrt für grob fahrlässig, sondern die Außerachtlassung der im Straßenverkehr objektiv gebotenen Sorgfalt, wenn man sich nach der heruntergefallenen Zigarette bückt, dabei das Steuer „verreißt“, den Blick von der Fahrbahn abwendet und gegen die Leitplanke gerät. Auf derselben Linie liegen die Entscheidungen des LG Aachen (VersR 1986, 282), das dem durch die Suche nach einer brennenden Zigarette abgelenkten Autofahrer zur Last legt, daß er zu spät erkannt hat, daß er abbremsen mußte und dann durch zu starkes Bremsen ins Schleudern geriet, und das Urteil des OLG Düsseldorf (NJW 1980, 2262), das dem Fahrer zum Vorwurf macht, daß er wegen der nur mit den Lippen festgehaltenen und beim Niesen heruntergefallenen brennenden Zigarette die Gewalt über das Fahrzeug verlor. Gerade an Raucher werden wegen der erhöhten Risiken des Rauchens während der Fahrt gesteigerte Anforderungen in bezug auf die Sicherheit der Fahrzeugführung gestellt, so daß ihnen Vorkehrungen abverlangt werden, daß brennende Zigaretten oder Teile von Glut oder Asche nicht herunterfallen und Situationen schaffen können, auf die nicht mehr kontrolliert, sondern nur noch reflexartig reagiert werden kann (OLG Karlsruhe VersR 1993, 1096) oder daß keine Gefahrenlagen – wie z.B. durch einen in der Nähe eines gefüllten Reservekanisters befindlichen Aschenbecher – entstehen können (LG Berlin VersR 1990, 1006).

Andererseits gelten diese strengen Grundsätze der Rspr. aber auch nicht nur für die mit dem Rauchen verbundenen Gefahren, sondern grundsätzlich für alle Handlungen, durch die sich der Autofahrer ohne zwingende und ohne sein Hinzutun aufgetretene Notwendigkeit von dem Verkehrsgeschehen in einer Weise ablenken läßt, die ihm nicht mehr erlaubt, den Anforderungen gerecht zu werden, so z.B. für herunterfallende Musikkassetten (OLGR Frankfurt 1993, 221), Gegenstände auf dem Beifahrersitz (OLG Celle ZfS 1994, 20) oder bei einem schreienden Baby auf dem Rücksitz (Senat OLGR Frankfurt 1994, 101).

Gemessen an diesen Grundsätzen ist auch dem Kläger vorliegend eine grob fahrlässige Unfallverursachung anzulasten; denn entgegen seinem Vorbringen trifft es nicht zu, daß er keinerlei konkrete Anforderungen außer acht gelassen hat, die das Verkehrsgeschehen an ihn stellte.

Wäre dies der Fall, so hätte er bei relativ freier Autobahn, guten Licht- und Witterungsverhältnissen und einer hinreichenden Konzentration nicht von der Fahrbahn abkommen dürfen. Das ohne jede Einwirkung Dritter von ihm herbeigeführte Unfallgeschehen mit erheblichen Schadensfolgen zeigt, daß er den Straßenverlauf entgegen demnach den oben zitierten Entscheidungen an ihn zu stellenden Anforderungen und entgegen seiner Darstellung in einer als grob fahrlässig einzustufenden Weise außer acht gelassen hat. Inwieweit diese Unaufmerksamkeit durch den Versuch bedingt war, sich eine Zigarette anzuzünden, ist dabei unerheblich, denn dies würde den Kläger nicht entlasten.

Von dem danach vom LG zu Recht erhobenen Vorwurf grober Fahrlässigkeit kann den Kläger auch sein Hinweis auf die Rspr. des BGH zum sog. Augenblicksversagen nicht befreien. Der BGH (NJW 1992, 2418) hat dazu nämlich gerade festgestellt, daß der Begriff des „Augenblicksversagens“ nicht geeignet sei, zwischen grober Fahrlässigkeit und geringer zu bewertenden Schuldformen zu unterscheiden; denn auch ein nur kurzfristiges, also „augenblickliches“ Versagen bleibe grob fahrlässig, wenn es zu einem Zeitpunkt geschehe, in dem wegen der besonderen Gefährlichkeit der Situation eine ihr entsprechende besondere Aufmerksamkeit zu fordern sei, weil mit der Größe der möglichen Gefahr auch das Maß der zu erwartenden Sorgfalt wachse; ein durchschnittlich sorgfältiger Kraftfahrer dürfe sich nicht von weniger wichtigen Vorgängen und Eindrücken ablenken lassen. Zwar können nach Auffassung des BGH subjektive Besonderheiten im Einzelfall durchaus zu einer Entlastung von dem schweren Vorwurf der groben Fahrlässigkeit führen; solche können aber generell nicht allein in der eventuell nur kurzen Dauer eines „augenblicklichen“ Versagens gesehen werden und müssen darüber hinaus ein hinreichendes Gewicht haben, um das Fehlverhalten verständlich und entschuldbar erscheinen zu lassen. Derartige Besonderheiten hat der Kläger nicht vorgetragen.

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