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Deckungsklage gegen die Berufsunfähigkeitsversicherung

Vorgaben für medizinischen Sachverständigen

BGH, Az.: IV ZR 116/95, Urteil vom 12.06.1996

Leitsätze:

1. Im Rechtsstreit um die Eintrittspflicht der Berufsunfähigkeitsversicherung hat das Gericht dem hinzugezogenen medizinischen Sachverständigen unmißverständlich vor Augen zu führen, daß die Berufsunfähigkeit ein eigenständiger juristischer Begriff ist, der nicht mit der Berufsunfähigkeit oder gar Erwerbsunfähigkeit im Sinne des gesetzlichen Rentenversicherungsrechts gleichgesetzt werden darf.

2. Das Gericht muß ferner dem Sachverständigen den seiner Beurteilung zugrunde zu legenden außermedizinischen Sachverhalt vorgeben. Dazu gehört die Angabe, wie das Arbeitsfeld des Versicherten tatsächlich beschaffen ist und welche Anforderungen es an ihn stellt. So genügt dem die Vorgabe „Beruf als selbständig mitarbeitender Kraftfahrzeugmeister“ nicht. Das Gericht muß dem Sachverständigen mitteilen, von welcher Art und welchem Umfang körperlich-handwerklicher und beaufsichtigender und organisatorischer Tätigkeit des Versicherten er bei seiner medizinischen Beurteilung auszugehen hat.

Auf die Revision des Klägers wird das Urteil des 3. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Frankfurt am Main vom 23. März 1995 aufgehoben.

Die Sache wird zur anderweiten Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Revisionsverfahrens, an das Berufungsgericht zurückverwiesen.

Von Rechts wegen

Tatbestand

Deckungsklage gegen die Berufsunfähigkeitsversicherung: - Vorgaben für medizinischen Sachverständigen
Symbolfoto: megaflopp / Bigstock

Die Parteien streiten darum, ob der Kläger von der Beklagten die vertraglich für den Fall der Berufsunfähigkeit von mindestens 50% zugesagte, vierteljährlich im voraus zahlbare Jahresrente von 4.666 DM und die Übernahme des Jahresbeitrags von 1.470,31 DM ab 18. Februar 1991 bis längstens 1. Januar 2010 (Vertragsende) beanspruchen kann.

Der Kläger unterhält bei der Beklagten seit 1. Januar 1981 eine Lebensversicherung unter Einschluß einer Berufsunfähigkeits-Zusatzversicherung. Letzterer liegen Bedingungen zugrunde, die den Begriff der Berufsunfähigkeit übereinstimmend mit § 2 der Musterbedingungen für die Berufsunfähigkeits-Zusatzversicherung aus dem Jahre 1975 (VerBAV 1975, 2) definieren.

Der 1955 geborene Kläger ist von Beruf Kraftfahrzeugmeister. Er betreibt zusammen mit dem Mitgesellschafter S. in der Rechtsform einer GmbH ein Unternehmen, das sich mit der Durchführung von Pkw-Reparaturen befaßt und sechs Mitarbeiter beschäftigt.

Am 18. August 1990 erlitt der Kläger bei einem Verkehrsunfall eine Verletzung der Schlüsselbein-Schulterblattverbindung links sowie eine Augenverletzung und Prellungen. Im Mai 1992 zog er sich bei einem Unfall eine Verletzung des rechten Ellenbogens zu.

Der Kläger hat geltend gemacht, seit dem Unfall vom 18. August 1990 jedenfalls unter Einbeziehung der Ellenbogenverletzung und zweier früherer Verletzungen zu mindestens 50% berufsunfähig zu sein. Er sei nicht mehr in der Lage, in dem Betrieb körperlich mitzuarbeiten. Vor dem Unfall habe er nur technische und handwerkliche Arbeiten durchgeführt und beaufsichtigt. Für den kaufmännischen Bereich sei ausschließlich der Mitgesellschafter S. aufgrund seiner Vorkenntnisse und seiner Ausbildung zuständig.

Die Beklagte hat den Grad der Berufsunfähigkeit nur mit 30% angesetzt. Sie hat behauptet, der Kläger sei als Meister und Betriebsinhaber nicht vorwiegend körperlich, sondern die Arbeitsabläufe organisierend und überwachend tätig gewesen. Diese Arbeiten könne er nach wie vor ausüben.

Das Landgericht hat die auf Zahlung rückständiger Rente und Beitragserstattung und auf die Feststellung der zukünftigen Leistungspflicht gerichtete Klage abgewiesen. Die Berufung wurde zurückgewiesen. Mit der Revision verfolgt der Kläger seine Anträge weiter.

Entscheidungsgründe

Die Revision des Klägers führt zur Aufhebung der angefochtenen Entscheidung und zur Zurückverweisung der Sache an das Berufungsgericht.

I. Das Landgericht hatte durch Einholung eines orthopädischen Gutachtens Beweis darüber erhoben, ob der Kläger in seinem Beruf als selbständig mitarbeitender Kraftfahrzeugmeister zu mindestens 50% berufsunfähig sei. Die Sachverständigen waren zu dem Ergebnis gelangt, daß die Berufsunfähigkeit des Klägers in den ersten drei Monaten nach dem Unfall 100%, vom dritten bis zum sechsten Monat 50% und anschließend – also ab dem 18. Februar 1991 – 20% betragen habe. Zwar sei der Kläger in seinem Beruf als Kraftfahrzeugmeister insbesondere bei Überkopfarbeit und Arbeiten unter Beteiligung des linken Armes auf Dauer beeinträchtigt. Die berufsbezogene Gebrauchsfähigkeit des linken Armes sei gegenüber der gesunden Seite auf Dauer jedoch zu nicht mehr als 20% eingeschränkt. Eine dauerhafte Berufsunfähigkeit von über 50% sei auch unter Berücksichtigung der nicht durch den Unfall vom 18. August 1990 verursachten Krankheiten nach dem Stand der Untersuchung vom 1. September 1992 nicht zu rechtfertigen. Mit einer Erwerbsminderung von 20% seien sie – die Sachverständigen – schon an die Obergrenze des Vertretbaren gegangen. Bei der Bewertung der Erwerbsminderung hätten sie sich im Rahmen der Regelung gehalten, die vom Gesundheitsministerium herausgegeben worden sei. Das Landgericht war dieser Bewertung der Sachverständigen gefolgt.

Das Berufungsgericht hat im wesentlichen unter Bezugnahme auf das landgerichtliche Urteil ausgeführt, der Kläger habe nicht nachgewiesen, daß er über den 18. Februar 1991 hinaus weiterhin oder später zu mindestens 50% berufsunfähig gewesen wäre. Es hat insoweit nur noch hinzugefügt, es sei nicht erkennbar, daß das gerichtliche Sachverständigengutachten die vom Kläger geschilderten berufstypischen Bewegungen nicht einbezogen habe. Darin sei ausdrücklich erwähnt, daß die „berufsbezogene Gebrauchsfähigkeit“ des linken Armes im Vergleich zur gesunden Seite zu nicht mehr als 20% eingeschränkt sei.

II. Das hält rechtlicher Nachprüfung nicht stand. Die angefochtene Entscheidung ist schon deshalb aufzuheben, weil das Landgericht und ihm folgend das Berufungsgericht von einem rechtsfehlerhaften Verständnis der Berufsunfähigkeit ausgegangen sind.

1. Berufsunfähigkeit in der – auch in den hier vereinbarten Bedingungen übernommenen – Definition der Musterbedingungen aus dem Jahre 1975 (VerBAV 1975, 2) ist nach der Rechtsprechung des Senats (BGHZ 119, 263, 265 ff.) ein eigenständiger juristischer Begriff und darf nicht mit Berufsunfähigkeit oder gar Erwerbsunfähigkeit im Sinne des gesetzlichen Rentenversicherungsrechts gleichgesetzt werden. Dies muß medizinischen Sachverständigen stets unmißverständlich vor Augen geführt werden. Berufsunfähigkeit im privatversicherungsrechtlichen Sinn ist ein Tatbestand, der sich nicht allein aus gesundheitlichen Komponenten zusammensetzt. Deshalb ist die Beeinträchtigung der allgemeinen Leistungsfähigkeit oder der Belastbarkeit nicht schlechthin maßgeblich. Es geht vielmehr darum, wie sich gesundheitliche Beeinträchtigungen in einer konkreten Berufsausübung auswirken. Bei dieser Beurteilung muß bekannt sein, wie das Arbeitsfeld des betreffenden Versicherten tatsächlich beschaffen ist und welche Anforderungen es an ihn stellt. Diesen außermedizinischen Sachverhalt hat das Gericht dem medizinischen Sachverständigen als Grundlage für seine Beurteilung vorzugeben, ob und in welchem Ausmaß der Versicherte in seiner Fähigkeit eingeschränkt ist, seine bisherige berufliche Tätigkeit weiterhin auszuüben (BGHZ 119, 263, 266 f.; Senatsurteil vom 29.11.1995 – IV ZR 233/94 – r+s 1996, 116 unter 2).

2. Diese Grundsätze haben die Vorinstanzen nicht ausreichend beachtet.

a) Das Landgericht hat die medizinischen Sachverständigen nicht mit der gebotenen Deutlichkeit auf die Besonderheiten des privatversicherungsrechtlichen Begriffs der Berufsunfähigkeit hingewiesen. Es ist deshalb nicht auszuschließen, sondern nach dem Inhalt der Gutachten naheliegend, daß die Sachverständigen und ihnen folgend das Landgericht und das Berufungsgericht sich bei ihrer Beurteilung entscheidend von sozialversicherungsrechtlichen oder – hier ebenfalls nicht anwendbaren – unfallversicherungsrechtlichen Grundsätzen haben leiten lassen. Dies ergibt sich daraus, daß die Sachverständigen den Grad der Berufsunfähigkeit ab dem 18. Februar 1991 entsprechend dem Grad der berufsbezogenen, unfallbedingten Einschränkung der Gebrauchsfähigkeit des linken Armes gegenüber der gesunden Seite mit 20% bemessen haben und sich bei der Bewertung der „Erwerbsminderung“ im Rahmen der Regelung gehalten haben, die vom Gesundheitsministerium herausgegeben worden ist.

b) Insbesondere ist es rechtsfehlerhaft unterlassen worden, den Sachverständigen den ihrer Beurteilung zugrunde zu legenden außermedizinischen Sachverhalt vorzugeben. Die Angabe „Beruf als selbständig mitarbeitender Kraftfahrzeugmeister“ genügt dem nicht. Das Landgericht hätte vielmehr – gegebenenfalls nach ergänzendem Vortrag durch den Kläger (§§ 139 Abs. 1, 278 Abs. 3 ZPO) und einer Beweisaufnahme dazu – den Sachverständigen mitteilen müssen, von welcher Art und welchem Umfang körperlich-handwerklicher und beaufsichtigender und organisatorischer Tätigkeit des Klägers sie bei ihrer medizinischen Beurteilung auszugehen haben.

c) Da die Sachverständigengutachten wegen unzureichender Vorgaben des Landgerichts keine tragfähige Grundlage für die Beurteilung der Berufsunfähigkeit des Klägers bilden, kommt es auf die von der Revision erhobenen weiteren Rügen zu den Gutachten nicht an.

III. Eine abschließende Entscheidung durch den Senat ist nicht möglich, weil es an den hierfür erforderlichen Feststellungen zur Berufsunfähigkeit fehlt.

1. Nach der Zurückverweisung wird zunächst dem Kläger Gelegenheit zu geben sein, entsprechend den Grundsätzen der genannten Senatsentscheidungen seinen Vortrag zur bisherigen Berufstätigkeit zu ergänzen und zu präzisieren. Dabei hat er als mitarbeitender Betriebsinhaber auch vorzutragen und erforderlichenfalls zu beweisen, daß die Tätigkeitsfelder, in denen er mit seiner gesundheitlichen Beeinträchtigung noch arbeiten kann, ihm keine Betätigungsmöglichkeiten belassen haben oder bei zumutbarer Umorganisation eröffnen, die bedingungsgemäße Berufsunfähigkeit ausschließen (Senatsurteil vom 29.11.1995, aaO unter 4.).

2. Die Voraussetzungen einer Berufsunfähigkeit im Sinne von § 2 Abs. 3 der genannten Musterbedingungen liegen bisher ebenfalls nicht vor. Entgegen der Ansicht der Revision genügt es hierfür nicht, daß der Kläger mindestens sechs Monate ununterbrochen wegen Arbeitsunfähigkeit krankgeschrieben war und Krankengeld bezogen hat. Berufsunfähigkeit im Sinne dieser Klausel setzt ebenfalls voraus, daß der Versicherte sechs Monate lang ununterbrochen gesundheitsbedingt.

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