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Berufsunfähigkeit eines Selbstständigen bei Umorganisationsmöglichkeit?

OLG Hamm, Urteil vom 10.11.2010, Az: I-20 U 64/10

Die Berufung des Klägers gegen das am 24.03.2010 verkündete Urteil der 4. Zivilkammer des Landgerichts Bochum wird zurückgewiesen.

Der Kläger trägt die Kosten der Berufung.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Der Kläger kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des auf Grund des Urteils vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht die Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet.

Gründe

A.

Berufsunfähigkeit eines Selbstständigen bei UmorganisationsmöglichkeitDer Kläger macht gegenüber der Beklagten Leistungen aus einer Berufsunfähigkeitszusatzversicherung für die Zeit vom 01.01.2007 bis zum 31.10.2020 geltend, weil er seinen Beruf als selbständiger Einzelhandelskaufmann (Bio-Laden mit eingeschränkter Öffnungszeit) nicht mehr ausüben könne.

Die durch Versicherungsschein der damals als T Rentenanstalt firmierenden Beklagten vom 02.12.1991 policierte Kapitalversicherung auf den Todes- und Erlebensfall sah den Einschluss einer Berufsunfähigkeits-Zusatzversicherung sowie eine Zusatzversicherung für Tod nach Unfall vor. In der Berufsunfähigkeits-Zusatzversicherung nach Tarif 30 war neben einer Beitragsbefreiung eine jährliche Rente von 30.000 DM vereinbart. Einbezogen waren die „Ergänzenden Bestimmungen betreffend Zusatzversicherung für Berufsunfähigkeit“ (Anlage K 3 = Bl. 20 ff d.A.) sowie u.a. die „Besonderen Vereinbarungen Nr. 102“, in der es heißt, dass § 21 der „Ergänzenden Bestimmungen“ dahin gehend modifiziert werde, dass dann, wenn der Versicherte zu mindestens 50 % berufsunfähig sei, die im Vertrag für vollständige Berufsunfähigkeit festgesetzten Leistungen gewährt würden; bei teilweiser Berufsunfähigkeit von weniger als 50 % sollten keine Ansprüche des Klägers bestehen.

Der Kläger war zunächst von 1979 bis 1994 als selbständiger Schreiner, sodann von 1996 bis 2003 als angestellter Einzelhandelskaufmann und von Oktober 2003 bis 2006 als selbständiger Einzelhandelskaufmann mit einem Verkaufsladen von 80 m² Größe und 60 m² Lager tätig.

Nachdem der Kläger mit Schreiben vom 27.12.2006 (Anlage K 4 = Bl. 22 d.A.) der Beklagten angezeigt hatte, dass er seit dem 26.06.2006 ununterbrochen krankgeschrieben sei, teilte die Beklagte mit Schreiben vom 12.09.2007 (Anlage K 5 = Bl. 23 d.A.) mit, dass es nicht allein darauf ankomme, inwieweit der Kläger seinen konkret zuletzt ausgeübten Beruf nicht mehr ausüben könne, sondern auch, inwieweit noch eine andere vergleichbare Tätigkeit ausgeübt werden könne; der Kläger könne den abstrakten Verweisungsberuf als Küchenfachberater ausüben.

Mit seiner Klage hat der Kläger für die Zeit ab dem 01.01.2007 Rentenzahlung und Beitragsfreistellung verlangt.

Wegen des erstinstanzlichen Vortrags der Parteien und wegen der gestellten Anträge wird auf das Urteil des Landgerichts Bezug genommen.

Das Landgericht hat die Klage aus im Wesentlichen folgenden Gründen abgewiesen:

Nach dem Ergebnis des Gutachtens der Sachverständigen Dr. N2 sei der Kläger seit Frühjahr 2007 an einer Tätigkeit als selbständiger Einzelhandelskaufmann nur im Umfang von 20 bis 30 % gehindert. Akut bestünden beim Kläger keine objektivierbaren Leistungs- oder Funktionsbeeinträchtigungen. Auch im Zeitraum Frühjahr 2007 sei der Kläger in der Lage gewesen, die von ihm als beschwerdeträchtig geschilderten Über-Kopf-Arbeiten, Hebe- und Tragebelastungen allein auszuführen. Denn es sei ihm möglich gewesen, diese Tätigkeiten durch ein zeitliches Auseinanderziehen oder Verteilen der an einem Tag bzw. innerhalb einer Woche anfallenden Über-Kopf-Arbeiten, Hebe- und Tragebelastungen allein zu bewältigen. Die das Berufsbild des Klägers prägende Tätigkeit bestehe nicht aus Über-Kopf-Arbeiten, Hebe- und Tragebelastungen. Da die Anwendung des Maßstabs der Arbeitszeit nicht ausgeschlossen gewesen sei, habe für die Einholung eines Berufsbildgutachtens keine Veranlassung bestanden.

Hiergegen richtet sich die Berufung des Klägers.

Das Landgericht habe nicht berücksichtigt, dass die Beklagte mit ihrer Einwendung, der Kläger sei nicht berufsunfähig, präkludiert sei. Es sei dem Versicherer nicht zugelassen, nach Jahr und Tag Einwendungen gegen den Anspruch zu erheben, die im Ablehnungsschreiben vom 12.09.2007 nicht enthalten seien.

Auch sei für die Berufungsinstanz daran festzuhalten, dass die Beklagte nach den hier vereinbarten Bedingungen ein Verweisungsrecht nicht besäße. Die Tätigkeit als Küchenberater, auf die ihn die Beklagte verwiesen habe, sei nach Lebensstellung, Qualifikation, Einkommen und soziale Wertschätzung nicht vergleichbar.

Gegen die Begutachtung seitens der Sachverständigen seien Bedenken zu erheben. Nach der Entscheidung der ihn behandelnden Ärzte sei er vom 01.06.2006 bis zum 31.12.2006 arbeitsunfähig gewesen. Da ein Behandlungsfehler nicht im Raum stehe, könne nur eine solche Begutachtung akzeptiert werden, die von dem ärztlicherseits bestätigten Zustand ausgehe. Das Landgericht habe nicht berücksichtigt, dass berufsunfähig schon derjenige sei, der seinen Beruf nur noch mit Schmerzen ausüben könne. Wenn er auch nur versuchsweise die alte Geschäftstätigkeit wieder ausüben würde, würde er sofort wieder in gleicher Weise Schmerzen ertragen müssen. Da er dies nicht müsse und die gesundheitliche Einschränkung nicht verschwunden sei, müsse Berufsunfähigkeit angenommen werden.

Die Erwägung des Landgerichts, dass er, der Kläger, den Vorgang der Bereitstellung der Waren im Laden auseinander ziehen und immer mal wieder Pausen einlegen könne, gehe an der Realität vorbei. Diese Art der Umorganisation sei nicht möglich und lasse nicht zu, dass der Kläger überhaupt noch eine Tätigkeit der beschriebenen Art ausführen könne. Berufsunfähigkeit sei schon dann anzunehmen, wenn der Versicherungsnehmer die zwingend mit seinem Beruf verbundenen Hebe- und Tragetätigkeiten nicht mehr übernehmen könne, auch wenn diese nur einen prozentual geringen Anteil ausmachten. Zur Klärung der Tätigkeiten eines Einzelhändlers sei die Einholung eines Berufsbildgutachtens erforderlich.

Der Kläger beantragt, abändernd

1. die Beklagte zu verurteilen, an Berufsunfähigkeitsrente 15.338,76 EUR nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszins seit dem 01.01.2008 sowie ab dem 01.01.2008 bis zum 31.10.2020, längstens aber bis zum Tod des Klägers monatlich 1.278,25 EUR und an Beitragsrückerstattung 3.826,20 EUR nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszins seit dem 01.01.2008 zu zahlen,

2. festzustellen, dass der Kläger leistungsfrei in der Lebensversicherung Nr. 6 486 219 – 7 ist und die ab dem 01.01.2008 gezahlten Beiträge zurückzuerstatten sind.

Die Beklagte beantragt, die Berufung zurückzuweisen.

Sie verteidigt mit näheren Darlegungen die angefochtene Entscheidung.

Wegen des weiteren Vorbringens in der Berufungsinstanz wird auf die gewechselten Schriftsätze nebst ihrer Anlagen verwiesen.

Der Senat hat den Kläger persönlich angehört. Die Sachverständige Dr. N2 hat ihr schriftliches Gutachten vor dem Senat mündlich erläutert. Wegen des Ergebnisses der Anhörung und der Beweisaufnahme wird auf den Vermerk des Berichterstatters zur Senatssitzung vom 10.11.2010 verwiesen.

B.

Die zulässige Berufung des Klägers ist nicht begründet.

Das Landgericht hat zu Recht seine Klage abgewiesen. Der Kläger ist nicht bedingungsgemäß berufsunfähig (dazu nachfolgend I.); die Beklagte ist auch nicht gehindert, sich auf das Fehlen einer bedingungsgemäßen Berufsunfähigkeit zu berufen (dazu nachfolgend II).

I.

Der Kläger ist nicht bedingungsgemäß berufsunfähig.

Nach § 20 Abs. 1 AVB liegt (vollständige) Berufsunfähigkeit vor, wenn der Versicherte infolge Krankheit, Körperverletzung oder Kräfteverfalls, die ärztlich nachzuweisen sind, außerstande ist, seinen Beruf auszuüben. Nach § 20 Abs. 2 AVB liegt teilweise Berufsunfähigkeit vor, wenn die vorgenannten Voraussetzungen nur in einem bestimmten Grad erfüllt sind. Nach den „Besonderen Vereinbarungen Nr. 102“ werden bei mindestens 50 %iger Berufsunfähigkeit die für vollständige Berufsunfähigkeit festgesetzten Leistungen gewährt; bei einer teilweisen Berufsunfähigkeit von weniger als 50 % besteht danach kein Anspruch auf Leistungen.

Damit setzen Leistungsansprüche des Klägers voraus, dass er in einem Umfang von mindestens 50 % berufsunfähig ist. Nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme ist dies indes nicht der Fall.

1. Dabei ist die Frage der Berufsunfähigkeit nach dem zur Zeit des Eintritts des Versicherungsfalles ausgeübten Beruf in seiner konkreten Ausgestaltung zu beantworten (Senat r+s 1990, 355). Der Kläger hatte zuletzt in gesunden Tagen sein Ladenlokal dienstags und donnerstags ganztägig (10.00 Uhr bis 13.00 Uhr sowie 15.00 Uhr bis 18.00 Uhr) und samstags halbtägig von 9.00 Uhr bis 13.00 Uhr geöffnet. Deshalb ist der Kläger berufsunfähig, wenn er eine solche auf zweieinhalb Arbeitstage in der Woche beschränkte Tätigkeit in seinem Ladenlokal nicht mehr zu mindestens 50 % ausüben kann. Auf einen Einzelhändler mit einer regelmäßigen Arbeitszeit von 58 Stunden kann entgegen der Auffassung des Klägers dabei nicht abgestellt werden.

Die dem Senat als fachkundig und gewissenhaft bekannte Sachverständige Dr. N2 hat in ihrem schriftlichen fachorthopädischen Gutachten vom 05.10.2009 gestützt auf die persönliche Untersuchung des Klägers am 02.09.2009 festgestellt, dass die seitens des Klägers geklagten Schmerzen in der Schulter sowie die geklagten Beschwerden bzw. Instabilitätsereignisse im Handgelenk, im rechten Sprunggelenk und im Kniegelenk aktuell ohne Befund sind, allerdings folgt aus der vorliegenden radiologischen Bildgebung eine AC-Gelenkarthrose; gegeben sind danach ferner eine Haltungsinsuffizienz des Rumpfes sowie ein Spreizfuß.

Ferner hat die Sachverständige festgestellt, dass die AC-Gelenke nicht druckschmerzhaft waren und dass zum Zeitpunkt der Untersuchung in beiden Schultergelenken keine Bewegungs- bzw. Funktionseinschränkungen vorgelegen haben. Der Verschleiß des Schultergelenks zeigt seit 2006 keine durchgreifende Befundänderung im Sinne einer deutlicheren Progredienz. Zwar konnte die Sachverständige aufgrund des sozialmedizinischen Gutachtens von Dr. N vom 15.03.2007 feststellen, dass bei dem Kläger im Jahr 2006 bzw. im Frühjahr 2007 eine Symptomatik aufgrund einer aktivierten AC-Gelenksarthrose/Impingementproblematik bestanden hat; aktuell zum Untersuchungszeitpunkt der Sachverständigen war jedoch eine solche Symptomatik nicht feststellbar.

Die Sachverständige hat deshalb für die Zeit ab 2007 für den Kläger Tätigkeiten im Stehen, Gehen und Sitzen, mit Heben und Tragen von leichten und mittelschweren (bis 10 kg) und gelegentlich auch schweren Gewichten (15 bis maximal 20 kg) für möglich und zumutbar gehalten. Unter Heranziehung des individuellen Tätigkeitsprofils des Klägers hat die Sachverständige eine Beeinträchtigung der Berufstätigkeit des Klägers von 20 bis 30 % festgestellt, wobei die Beeinträchtigung beim Tragen von Lasten bis 10 kg bei 30 %, beim Tragen von Lasten von mehr als 10 kg bei 60 % und bei einer Regalpflege mit mehr als 30 Minuten Überkopfarbeiten von mehr als 50 % liegt.

Demgegenüber macht der Kläger ohne Erfolg geltend, dass die Schmerzen wieder auftreten würden, wenn er seine alte Berufstätigkeit wieder aufnehmen würde, so dass er an einer solchen gehindert sei. Denn die Sachverständige hat bei ihrer Beurteilung die Situation des Jahres 2007 zugrunde gelegt, und nicht etwa die aktuelle Situation zum Untersuchungszeitpunkt. Deshalb fußt die Beurteilung der Sachverständigen nicht etwa darauf, dass der Kläger seit dem Jahr 2006 seiner Berufstätigkeit nicht mehr nachgeht. Deshalb ist auch der Einwand des Klägers, die Fortführung seiner Berufstätigkeit hätte zu einem Raubbau an seiner Gesundheit geführt, widerlegt.

Nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme ist damit bei quantitativer Betrachtung eine zumindest 50 %ige Berufsunfähigkeit des Klägers nicht gegeben.

2. Anders als der Kläger meint, ist eine 50 %ige Berufsunfähigkeit auch bei einer zusätzlich vorzunehmenden qualitativen Bewertung der noch zu erbringenden Berufstätigkeit ebenfalls nicht gegeben.

Denn der Umstand, dass die Beeinträchtigung des Klägers beim Tragen von Lasten bis 10 kg bei 30 %, beim Tragen von Lasten von mehr als 10 kg bei 60 % und bei einer Regalpflege mit mehr als 30 Minuten Überkopfarbeiten von mehr als 50 % liegt, führt nicht dazu, dass der Kläger gehindert wäre, seinen Beruf als Inhaber eines kleinen Ladenlokals mit reduzierter Öffnungszeit auszuüben.

Zwar ist ein Versicherter auch dann berufsunfähig, wenn er prägende Elemente seiner bisherigen Tätigkeit nicht mehr ausführen kann, auch wenn diese zeitlich einen geringen Umfang ausmachen (vgl. Senat VersR 1995, 84 sowie Senat VersR 1998, 442). Denn die dem Versicherten in seinem Beruf konkret abverlangten Verrichtungen dürfen nicht nur einzeln, sondern müssen auch im Zusammenhang mit denjenigen bewertet werden, mit denen sie einen einheitlichen Lebensvorgang bilden (BGH VersR 2003, 631 sowie BGH VersR 2008, 770). Vorliegend ist jedoch, entgegen der Auffassung der Berufung, eine solche Gestaltung, in der die Unfähigkeit zur Ausübung einzelner Arbeitsschritte dergestalt Auswirkungen auf die gesamte Arbeitsleistung hat, dass ein sinnvolles Arbeitsergebnis nicht mehr zu erzielen ist, nicht gegeben.

Denn ein Selbständiger ist grundsätzlich dann nicht berufsunfähig, wenn er die Folgen seiner Gesundheitsbeeinträchtigung durch einfache Maßnahmen vermeiden kann, die ihm möglich und zumutbar sind (vgl. BGH VersR 2003, 631, 632). Mit dem Landgericht ist der Senat der Überzeugung, dass dem Kläger eine solche Umorganisation praktisch möglich und dass dieser in der Lage war, alle in seinem kleinen Ladenlokal anfallenden Arbeiten allein zu bewältigen insbesondere durch eine andere Organisation des Warentransportes innerhalb seines Ladenlokals, durch ein zeitliches Auseinanderziehen sowie durch Verteilen auf den Tag oder die Woche.

Nach den Feststellungen der Sachverständigen war dem Kläger innerhalb einer Spitzenbelastungszeit von zwei bis drei Stunden nicht nur das Heben und Tragen schwerer Gewichte möglich, sondern auch das Einräumen des Ladens unter Ausführen von Überkopftätigkeiten beim Bestücken hoher Regale. Zu diesen Tätigkeiten war der Kläger nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme zu mehr als 50 % in der Lage. Aus medizinischer Sicht war deshalb eine Umorganisation überhaupt nur angezeigt, wenn und insoweit die Spitzenbelastung eine öffnungstägliche Dauer von zwei bis drei Stunden überschritt, bzw. soweit mehr als fünf bis sechs Vorgänge des Tragens schwerer Lasten anfiel.

Eine hierauf bezogene Umorganisation war mit den Belangen des Betriebes des Klägers ohne weiteres vereinbar. Weitergehend kann sogar festgestellt werden, dass nach der konkreten Ausgestaltung der Berufstätigkeit des Klägers derartige Belastungen schlechthin durch eine zumutbare Umorganisation vermeidbar waren.

Aus der eigenen Übersicht des Klägers (Anlage K 11 = Bl. 111 ff d.A.) folgt, dass der Kläger an den drei Öffnungstagen je Woche jeweils um 7.00 Uhr mit dem Auspacken der in der vorangegangenen Nacht angelieferten Waren begonnen hat; hierfür sowie für den Transport innerhalb des Ladenlokals und für das Bestücken der Regale hat ihm morgens jeweils die Zeit bis zur Ladenöffnung um 10.00 Uhr zur Verfügung gestanden. Angesichts der Angaben des Klägers im Senatstermin zu den Größenordnungen der zu transportierenden Ware, dass je Öffnungstag an schweren Wasser- und Saftkästen 5 bis 6 Kisten und etwas mehr als eine Kiste Äpfel verkauft wurde, kann kein Zweifel bestehen, dass dem Kläger ausreichend Zeit zur Verfügung stand, die zu transportierende Ware, soweit sie in schweren Gebinden angeliefert wurde, in kleinere Gebinde umzupacken und diese in den Verkaufsraum zu verbringen. Der Senat übersieht nicht, dass als Folge dieses Umpackens in kleinere Gebinde eine erhöhte Lauftätigkeit für den Kläger angefallen wäre. In gesundheitlicher Sicht war ihm dies jedoch ohne weiteres möglich, und zwar auch über die Treppe, wie die Sachverständige vor dem Senat ausdrücklich klargestellt hat. In zeitlicher Hinsicht stand dem Kläger für den zusätzlichen Aufwand des Portionierens der Ware in leichtere Gebinde und die häufigeren Gänge innerhalb des Ladenlokals nicht nur die dreistündige Zeit vor Ladenöffnung, sondern auch die öffnungstägliche Mittagspause von 13.00 bis 15.00 Uhr zur Verfügung. Diese konnte der Kläger erforderlichenfalls für das Nachlegen von in schweren Gebinden angelieferten Waren nutzen. Samstags hat der Kläger sein Ladenlokal ohnehin bereits um 13.00 Uhr geschlossen. Zu berücksichtigen war dabei insbesondere, dass der Kläger sein Ladenlokal mit sehr geringem Wareneinsatz betrieben hat. So betrug nach den Einnahme-Überschussrechnungen des Klägers der Warenumsatz im Jahr 2004 insgesamt 8.019,58 EUR (entspricht bei 150 Öffnungstagen einem Tagesdurchschnitt von rund 54 EUR), im Jahr 2005 insgesamt 6.109,63 EUR (Tagesdurchschnitt rund 41 EUR) und im Jahr 2006 insgesamt 16.314,94 (entspricht bei 75 Öffnungstagen im ersten Halbjahr einem Tagesdurchschnitt von rund 218 EUR). Der Senat hat keinen Zweifel, dass der Kläger in der konkreten Ausgestaltung seiner Berufstätigkeit mittels des ihm zur Verfügung stehenden Zeitrahmens von fünf Stunden öffnungstäglich ohne weiteres in der Lage war, seine Tätigkeit so umzuorganisieren, dass der Transport schwerer Gebinde ganz entfiel. Schließlich war zu berücksichtigen, dass der Kläger lediglich dienstags und donnerstags ganztätig (10.00 Uhr bis 13.00 Uhr sowie 15.00 Uhr bis 18.00 Uhr) und samstags von 9.00 Uhr bis 13.00 Uhr sein Ladenlokal geöffnet hatte, so dass ihm die weiteren viereinhalb Wochentage zur Erholung zur Verfügung standen.

Überdies ist nicht erkennbar und seitens des hierfür darlegungs- und beweisbelasteten Klägers nicht dargetan, dass bei der Regalbestückung nicht hinreichend Spielräume bestanden haben, um das Anheben schwerer Kisten in die oberste Reihe der etwa 1,80 m hohen Regale zu vermeiden. Auch wenn sich die Präsentation von Waren in gewissem Umfang an den Kundenerwartungen auszurichten hat, gehen Kunden eines Bio-Ladens nicht davon aus, schwere Ware in der obersten Regalreihe vorzufinden.

Das vom Kläger beantragte Berufsbildgutachten war nicht einzuholen. Denn maßgeblich sind nicht die allgemeinen Anforderungen an die Tätigkeit eines Einzelhändlers; entscheidend ist vielmehr die konkrete Berufstätigkeit des Klägers in seinem damaligen Einzelhandelsgeschäft.

3. Damit kann der Senat wegen des Fehlens einer bedingungsgemäßen Berufsunfähigkeit die Frage der Verweisbarkeit offen lassen, wobei allerdings entgegen der Auffassung des Klägers aus der „Besonderen Vereinbarung Nr. 102“ kein Ausschluss einer Verweisungsmöglichkeit folgt. Dies folgt bereits daraus, dass hierin lediglich eine teilweise Änderung von § 21 der vereinbarten AVB enthalten ist, während das Recht der Beklagten zur Verweisung des Klägers in § 20 Abs. 1 der AVB geregelt ist.

II.

Ohne Erfolg macht die Berufung des Klägers geltend, die Beklagte sei gehindert, eine Berufsunfähigkeit des Klägers in Abrede zu stellen, weil ihr dieser Ablehnungsgrund im Zeitpunkt ihrer Ablehnungsentscheidung bereits bekannt oder sie ihn bei sorgfältiger Prüfung dem Sachverhalt hätte entnehmen können.

Denn die Beklagte war nicht gehalten, in ihrem Ablehnungsschreiben vom 12.09.2007 neben der Verweisung auf den Beruf des Küchenberaters zusätzlich ausdrücklich das Vorliegen einer Berufsunfähigkeit in Abrede zu stellen, um sich die Möglichkeit zu eröffnen, sich auf deren Fehlen im Prozessfalle berufen zu können.

1. Die von dem Kläger herangezogene Regelung des § 17 Abs. 1 Satz 2 ARB 75 findet im Recht der Berufsunfähigkeit keine Entsprechung. Nach § 17 Abs. 1 ARB 75 hat der Versicherer dann, wenn er die Wahrnehmung der rechtlichen Interessen für nicht hinreichend aussichtsreich oder mutwillig erachtet, dies dem Versicherungsnehmer unverzüglich schriftlich unter Angabe der Gründe mitzuteilen, woran § 17 Abs. 2 ARB 75 die Möglichkeit des Stichentscheids des beauftragten Rechtsanwalts knüpft.

Der BGH hat in seiner vom Kläger herangezogenen Entscheidung VersR 2003, 638 darauf abgestellt, dass es sich beim Blick auf den Anspruchsverlust bei Verletzung der Obliegenheit zur unverzüglichen vollständigen und wahrheitsgemäßen Unterrichtung des Versicherers nicht nur aufdränge, dass der Versicherer seinerseits gehalten sei, die Prüfung der Erfolgsaussicht unverzüglich vorzunehmen und eine Leistungsablehnung wegen ihres Fehlens dem Versicherungsnehmer unverzüglich mitzuteilen, sondern dass ein Verstoß dagegen den Verlust dieses Ablehnungsrechts zur Folge habe. Denn der verständige Versicherungsnehmer könne nicht davon ausgehen, dass ihm selbst mit der Sanktion des Leistungsverlusts verknüpfte, unverzüglich zu erfüllende Aufklärungsobliegenheiten aufgegeben werden, der Versicherer aber seine Entschließung über das Vorliegen von Ablehnungsgründen beliebig – und ohne gleichzeitigen Verlust des Ablehnungsrechts – hinausschieben könne.

Diese Erwägungen lassen sich entgegen der Auffassung des Klägers jedenfalls nicht auf das Recht der Berufsunfähigkeitsversicherung übertragen. Eine dem § 17 Abs. 1 Satz 2 ARB 75 entsprechende Regelung („hat er …. unter Angabe der Gründe unverzüglich schriftlich mitzuteilen“) findet sich in den hier vereinbarten AVB nicht. Der im Bereich der Rechtsschutzversicherung gegebene Regelungszusammenhang mit dem Stichentscheid des Rechtsanwalts in § 17 Abs. 2 ARB 75 und der Fristsetzungsbefugnis in § 17 Abs. 3 ARB 75 besteht hier nicht; das Recht der Berufsunfähigkeitsversicherung kennt eine vergleichbare Regelung nicht. Nach § 24 der vereinbarten AVB war die Beklagte nur verpflichtet, sich zur Frage des Anerkenntnisses einer Leistungspflicht zu äußern. Ein Begründungserfordernis war damit nicht vereinbart. Dem entspricht es, dass es anerkannt ist, dass eine Ablehnung nach § 12 Abs. 3 VVG a.F. nicht mit Gründen versehen sein musste und dass eine gegebene Begründung den Versicherer nicht präjudizierte (BGH VersR 1970, 826; Prölss/Martin, Versicherungsvertragsgesetz, 27. Aufl., § 12 Rz 27a m.w.N.).

Zwar hat sich der BGH in einer weiteren Entscheidung mit den an eine Mitteilung des Versicherers betreffend eine Berufsunfähigkeitsversicherung zu stellenden Anforderungen befasst. Er hat dort (VersR 1993, 559 Rz 45 ff bei juris) für eine Verweisungsentscheidung des Versicherers im Nachprüfungsverfahren verlangt, dass über den Wortlaut der Klausel hinaus nach Sinn und Zweck der Versicherer eine „nachvollziehbare Begründung“ für die ausgesprochene Verweisung geben muss. Zur Begründung hat der BGH auf die „ungewöhnliche Mitwirkungsobliegenheit des Gläubigers (des Versicherungsnehmers) bei der Beweisführung seines Schuldners (des Versicherers), die darauf abziele, von einer anerkannten Leistungspflicht loszukommen“ und darauf, dass der Versicherer „im Gegenzug zu den Obliegenheiten … dafür Sorge tragen muss, dass der Versicherte seine Rechte aus dem Versicherungsverhältnis sachgerecht wahren kann“, abgestellt. Damit stellt der Bundesgerichtshof auch in dieser Entscheidung – ebenso wie in seiner vom Kläger herangezogenen Entscheidung VersR 2003, 638 – auf Symmetrie-Überlegungen ab, die speziell gelagerte Konstellationen betreffen und hier im Rahmen einer allgemeinen Leistungsablehnung nicht zum Tragen kommen. Denn damit, dass im Streitfall weitere Begründungen für den eingenommenen Prozessstandpunkt angeführt werden als vorgerichtlich im Raum standen, muss grundsätzlich jede Prozesspartei rechnen.

2. Eine ausdrückliche Erklärung, sich auf das Fehlen von Berufsunfähigkeit nicht zu berufen, hat die Beklagte nicht abgegeben; eine solche Erklärung ist auch nicht in dem Schreiben der Beklagten vom 12.09.2007 (Anlage K 5 = Bl. 23 d.A.) enthalten. Sonstige Hinweise auf einen solchen Verzichtswillen der Beklagten finden sich ebenfalls nicht. Vielmehr hat die Beklagte in dem vorgenannten Schreiben ausdrücklich formuliert, dass es nicht allein darauf ankomme, inwieweit der Kläger seinen Beruf nicht mehr ausüben könne. Damit war der Sache nach klar gestellt, dass die Frage der Berufsunfähigkeit letztlich dahin gestellt war. Somit war für den Kläger erkennbar, dass es nicht nur auf die Frage der Verweisbarkeit, sondern auf das Vorliegen einer Berufsunfähigkeit ankommen könnte. Die Beklagte hat sich sodann auch bereits in der Klageerwiderungsschrift auf das Fehlen der Berufsunfähigkeit berufen. Hinzukommt, dass weder in dem seitens des Klägers vorgelegten sozialmedizinischen Gutachten (Anlage K 6 = Bl. 26 d.A.), das lediglich eine Stellungnahme zum „Reha-Bedarf“ enthält, noch in dem von ihm vorgelegten Attest betreffend Arbeitsunfähigkeit (Anlage K 7 = Bl. 32 d.A.) von Berufsunfähigkeit die Rede ist. Gründe des Vertrauensschutzes stehen deshalb einem Berufen der Beklagten auf das Fehlen von Berufsunfähigkeit nicht entgegen; die Beklagte hat den Kläger auch nicht etwa durch ihr Schreiben vom 12.09.2007 irregeführt. Selbst wenn dieses Schreiben – wie nicht – allein auf die Verweisung gestützt worden wäre und andere Verweigerungsgründe explizit verneint worden wären, wäre die Dispositionsfreiheit des Klägers nicht beeinträchtigt gewesen.

Schließlich handelt es sich bei der Erklärung der Leistungsverweigerung auch nicht um die Ausübung eines Gestaltungsrechts, bei dem es erforderlich ist, dass der Versicherungsnehmer erkennen kann, auf welchen tatsächlichen Grund sich der Versicherer stützt.

III.

Die Nebenentscheidungen folgen aus den §§ 97, 708 Nr. 10, 711, 543 Abs. 2 ZPO.

Die Revision war nicht zuzulassen, da die Rechtssache keine grundsätzliche Bedeutung hat und auch die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung keine Entscheidung des Revisionsgerichts erfordern. Die für die Entscheidung maßgeblichen Rechtsfragen sind solche des Einzelfalls.

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